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nmz-archiv
nmz 2003/02 | Seite 3
52. Jahrgang | Februar
Feature
Genügsamkeit war seine Stärke
Fritz Büchtger in der Erinnerung seiner Schüler und
Mitarbeiter
Fritz Büchtger, gebürtiger Münchner, könnte
am 14. Februar seinen 100. Geburtstag feiern. Er gehörte zu
den prägenden Persönlichkeiten des musikalischen Lebens
im Nachkriegsdeutschland. Nicht nur als Komponist wirkte er weit
über München hinaus. Seine wichtigen Impulse als Organisator,
Verbands- und Kulturpolitiker und weitsichtiger Pädagoge werden
hier nachgezeichnet. Er kommt hier selbst authentisch zu Wort, gestützt
auf ein Interview, das Klaus Bernbacher, vormals Musikchef bei Radio
Bremen und zugleich Büchtgers Nachfolger als Vorsitzender der
Musikalischen Jugend Deutschlands, ein Jahr vor dessen Unfalltod
1978, mit ihm geführt und aufgezeichnet hat.
vl.n.r. Fritz Büchtger,
Hans Zender und Theodor Antonioni. Foto: Timpe
Neue Musik in München – eine Selbstverständlichkeit,
vielleicht die Stadt mit dem vielfältigsten und dauerhaftesten
Angebot, oder wie es Milko Kelemen aus dem Blickwinkel 1956 einschätzte:
München – „eines der wichtigsten Weltzentren der
Neuen Musik“. „Musica Viva“ steht für die
großen, orchestralen Formen der Musik. Kammermusik im Konzertsaal,
im Kirchenraum hatte und hat ihren Platz in dem 25 Jahre lang von
Fritz Büchtger gestalteten Studio für Neue Musik, in den
Konzertreihen der Avantgardisten Josef Anton Riedl „Neue Musik“,
Wilfried Hiller „musik unserer zeit“ und bei weiteren
mutigen und munteren Initiatoren.
Die um 1900 Geborenen waren nach dem 1. Weltkrieg neugierig, ja
unruhig geworden, etwas zu verpassen. Das Abwenden von akademischen
Gesetzlichkeiten machte Schule. Man hörte Mitte der zwanziger
Jahre von den künstlerischen Ideen und Experimenten der Wiener
Neutöner und wollte mitbekommen, was in den damaligen Zentren
Wien, Paris, London und Berlin an neu entstandener Musik Tagesgespräch
war. Oder was sich bei den Musikfesten für zeitgenössische
Tonkunst in Donaueschingen und Baden-Baden seit 1921 abspielte.
In München wurde einer von ihnen, von der Neugierde gepackt,
initiativ: Fritz Büchtger. Er drängte darauf, teilzuhaben
an den Hörerlebnissen und -erfahrungen und sich an der Diskussion
zu beteiligen, vor allem aber selbst daraus zu lernen für seinen
eigenen kompositorischen Weg. Das machte ihn zum Wegbereiter neuer
Musik in München: „1927 habe ich mit einer Gruppe von
jungen Leuten, teils Studierenden, teils jungen Lehrern, die Vereinigung
für zeitgenössische Musik gegründet, und –
offen gestanden – eigentlich aus Egoismus, weil ich nämlich
als Kompositionsschüler der Hochschule endlich mal die Neue
Musik kennen lernen wollte, die es damals eben gab.“
Mutig wandte er sich an Musiker wie Hermann Scherchen, Paul Hindemith
und andere, von deren Musik er in Frankfurt gehört hatte. Geld
hätten sie keines, aber sie kamen und fanden sich bereit. So
kam der junge Büchtger als Vorsitzender dieser Vereinigung,
die 1931 schon 400 Mitglieder registrierte, in beste Beziehungen
zu den wenig älteren Komponisten der Zeit. Bei Carl Orff erbat
er sich Rat, als es um seine Zulassungsarbeit an der Musikhochschule
ging. Daraus wurde eine lebenslang gute Beziehung. Über die
Vereinigung für zeitgenössische Musik konnte er eine Vielzahl
Komponisten und Musiker ansprechen und einladen: „Schönbergs
3. Streichquartett war eines der Schreckgespenster unserer Konzerte.
Bartok hat uns sein viertes Streichquartett gegeben zur Uraufführung
durch das Pro Arte Quartett Brüssel.“
Der Beginn des Dritten Reiches schränkte die Aktionsfähigkeit
ein. Denn unter der zahlreich aufgeführten neuen Musik waren
auch uner- wünschte Namen. „So hieß es sofort,
ich bin Kulturbolschewist, und ich durfte zunächst nichts mehr
machen...“ Mit einem Jahreszuschuss von 500 Mark von Münchens
Kulturreferent konnte die mittlerweile in eine harmlosere Bezeichnung
umbenannte „Neue musikalische AG München“ mit regelmäßigen
Konzerten „aus dem Gesamtgebiet der Musikliteratur“
(so die fingierte Bezeichnung) vorerst weitermachen, „in den
Souterrain-Räumen der Tonhalle, im Untergrund halt, und da
waren eben nur 20 bis 30 Leute da. Doch alle Musiker haben mitgemacht.“
Nach dem 2. Weltkrieg bekam Fritz Büchtger das 1946 von Wolfgang
Jacobi und Hans Mersmann begründete Studio für Neue Musik
übertragen, das er von 1948 bis Mitte der siebziger Jahre leitete
– „die ganze Epoche der Neuen Musik im Bewusstsein behaltend“,
wie er es programmatisch ausdrückte: „Da habe ich mich
wieder da hinein gekniet, das Studio als Informationsquelle aufgebaut
für Menschen, die Neue Musik während des Dritten Reichs
nicht hören konnten. Das Ergebnis ist, dass wir heute ein anständiges
Publikum in München haben...“
In diesem dem Münchner Tonkünstlerverband angeschlossenen
Studio für Neue Musik haben viele Generationen von Komponisten
ihren Namen teilweise zum ersten Mal gedruckt gesehen, zum ersten
Male ihre Werke gehört. Besonders bemerkenswert, dass mit Hunderten
von Veranstaltungen in all den Jahren, motiviert von Entdeckerfreudigkeit,
ein offenes Podium für alle stilistischen Bereiche Neuer Musik
gepflegt wurde, offen von der Generation um Karl Marx und Grete
von Zieritz bis zu seinen jüngsten kompositorischen Entdeckungen,
die er maßgeblich gefördert hat. Dazu gehören Killmayer,
Kelterborn, Lachenmann und „ein großer Teil der Schüler,
die an der Hochschule bei Bialas waren, die bei mir gearbeitet haben
wie Hamel, Stranz, Ronnefeld“.
Der Organisator
Mit den 1928 bis 1932 von Büchtger durchgeführten fünf
Festwochen eroberte sich die damals Neue Musik ihr Münchner
Terrain. Ähnlich tolerant war sein Konzept für die noch
„gesamtdeutsch“ organisierten Musikfeste 1955 in Weimar,
1956 in Coburg sowie bei dem Versuch, „die Deutschen Allgemeinen
Musikfeste wieder aufzuleben, die seinerzeit Liszt begründet
hatte. Wir haben das erste 1967 in München durchgeführt
und das Erstaunliche war, dass es ein merkwürdiger Erfolg war,
sogar beim Publikum...“ Ein zweites ebenso erfolgreiches und
verbunden mit den von Klaus Bernbacher über Jahrzehnte geführten
Tagen der Neuen Musik Hannover folgte und ein drittes Musikfest
in Stuttgart, dessen Resonanz allerdings bescheiden blieb.
Das war in jenen Jahren, in denen Büchtger den 1964 von ihm
betriebenen, wiederbegründeten Tonkünstlerverband, den
Verband deutscher Musikerzieher und konzertierender Künstler,
erst als Vizepräsident, ab 1972 als Präsident, musikalisch
wie verbands- und kulturpolitisch mit zahlreichen Aktivitäten
prägte. Aus den Erfahrungen der Jugendwettbewerbe für
Klavier, die in der Obhut der Tonkünstlerverbände standen,
kam speziell von ihm die logische Forderung, auch andere Instrumente
im Wechsel einzubeziehen. Mit der Erweiterung des Wettbewerbskonzeptes
„Jugend musiziert“ ging es ihm auch darum, den Musikerziehern
ein wachsendes Aufgaben- und Orientierungsfeld zu geben. Längst
bevor die Bundesregierung mit der Künstler-Enquete sich auch
der freischaffenden Künstler angenommen hatte, weckte Büchtger
in dem neu formierten Berufsverband berufspolitisches Bewusstsein.
Er rief zu gemeinsamem kulturpolitischen Handeln auf, gründete
1971 mit den Berufsverbänden und pädagogischen Institutionen
die Aktionsgemeinschaft Musik in Bayern. Sie wurde Ausgangspunkt
für den sich sechs Jahre später unter Alexander Suders
gründenden Bayerischen Musikrat.
Der Pädagoge
Büchtger interessierte nicht nur das Schöpferische,
nicht nur das Management, sondern gerade auch die dritte, die pädagogische
Dimension. „Auch das kam wieder ganz von selbst an mich heran“,
ist seine wiederholte Redensart, und so war es auch mit der Musikalischen
Jugend, den 1950 in Bayreuth gegründeten Jeunesses Musicales
in Deutschland, die gewisse Schwierigkeiten in ihrer Weiterführung
sahen. Da wichtige Impulse immer wieder aus München von Fritz
Büchtger kamen, hatte eine bayerische Initiative vorgeschlagen,
ihn für diese junge Organisation Musikalische Jugend 1953 zu
ihrem Vorsitzenden zu wählen, den Sitz nach München zu
holen. Das von ihm damals eingebrachte Kitzinger Manifest mit seiner
Hinwendung zur alten wie zur neuen Musik hat auf die jungen Menschen
einen starken und nachhaltigen Eindruck gemacht und von da an Weg
und Ziel der Musikalischen Jugend richtungsweisend bestimmt.
Als zeitweiser Präsident der internationalen Föderation
und als Gastgeber hat er den Jeunesse-Kongressen in Hannover und
Berlin mit seinen jüngeren Mitstreitern – dafür
stehen Namen wie Bernbacher, Hashagen, Bieringer, Rohlfs, Busemann
– Profil verliehen. „Neue Laienmusik“, wie er
das neue Aufgabenfeld nannte, wurde einwichtiges Stichwort für
ihn, nämlich auch für Laien technisch und musikalisch
zu bewältigende Musik zu realisieren und die Amateurspieler,
die auf alte Musik fixiert waren, dafür zu motivieren. Zunächst
bekamen die in Bayreuth fortgeführten Fest- und Arbeitswochen
der Jeunesses Musicales in Bayreuth einen der aktuellen Musik gewidmeten
Akzent.
1956 wurde er Initiator des Zentrums der Musikalischen Jugend
auf Schloss Weikersheim, wo er die Möglichkeit sah, eine ruhige,
einzigartige Arbeitsstätte mit Inhalt zu füllen. Die Konzeption
der Orchester-, Kammermusik- und Opernkurse in Weikersheim ging
auf ihn zurück, nämlich dem Defizit an Ensemblespiel an
den Musikhochschulen etwas entgegen zu setzen. Dieses Weikersheim,
das war das „Dritte Semester“, das praktische Semester.
Es stand unter Büchtgers Leitung bis es 1963 von Klaus Bernbacher,
der ihm als Vorsitzender der Musikalischen Jugend gefolgt war, in
diesem Sinne weitergeführt und weiter entwickelt wurde.
Der Komponist
Für Büchtger, der bis zum Kriegsende mit vielfältigen
musikalischen Aufgaben als Lehrer, Chor- und Ensembleleiter und
auch im Kriegsdienst beschäftigt war, begann 1945 als schaffender
Komponist zugleich der eigentlich wichtigste musikalische Abschnitt
seines Lebens:
„Als ich diesen Impuls hatte, mich mit der Zwölf zu beschäftigen
und zwar nicht so sehr vom Musikalischen aus, sondern vom geistigen
Prinzip der Zwölf, vom Zusammenhang der Zwölf im Tierkreiszeichen
... und als ich dann kapiert habe, was es an Möglichkeiten
gibt, habe ich es dann selbst übernommen. Aber für mich
war das Ausschlaggebende, dass die zwölf Töne der Reihe
für mich nicht nur eine Konstruktion irgendwelcher Töne
sind, sondern diese zwölf Töne als Reihe müssen ja
gehört sein. Das ist allerdings etwas, was im Zusammenhang
steht mit der Auffassung der Anthroposophie, der ich ja nahe stehe.
Dass der Tierkreis auch wiederum nicht einfach etwas Abstraktes
ist, sondern bestimmte Wesen. Und unsere zwölf Töne haben
eine Beziehung zu diesen Wesen. Wenn ich also zwölf Töne
in einer Reihe abschreite, so mache ich eigentlich einen Gang durch
den Tierkreis. Das war es, was mich in erster Linie daran gereizt
hat.
Meine Auffassung von Musik über- haupt: Ich glaube, es ist
nicht nur etwas, wo man seine Gefühle austobt. Oder seine Leidenschaften.
Sondern für mich ist Musik etwa im Sinne der Bach’schen
Kanons aus dem Musikalischen Opfer, eine Erinnerung an die sogenannte
Sphärenharmonie, also an Musik des Kosmos... Ich versuche eben
doch, geistige Dinge darzustellen in Musik. Wie hat Klee gesagt:
„Ich male nicht das Sichtbare, sondern ich mache das Unsichtbare
sichtbar“. In dem Sinne ist für mich Musik ein Hörbarmachen
von geistigen Dingen. Und deshalb war ich von Anfang an in meinem
Werk immer auch zu sogenannter religiöser Musik geneigt...
Mein ganzes musikalisches Wesen ist eigentlich vom Singen geprägt.
Insofern schreibe ich Musik so, dass man sie singen kann.“
Ein reiches Opus an Liedern, an Chorwerken und dann die großen
und kleineren Oratorien. So sind seine beiden Oratorien „Der
Weiße Reiter“ und „Das Gläserne Meer“
außerordentlich schwer, nur von Berufschören zu singen.
– Da wurde mir klar, dass es ganz schön ist, wenn man
so schreibt, wie man empfindet. Aber dass man auch so schreiben
muss, dass auch Laienchöre so etwas singen können.
Dann habe ich versucht, denselben Stil, nur nicht so kompliziert,
zu schreiben. In den instrumentalen Werken bin ich nun doch mehr
vom Musikantischen ausgegangen. Ich denke an meine sechs Streichquartette,
die alles Musizierstücke sind, an das Violinkonzert, das ein
richtiges Konzert ist, das Konzert für Streichorchester, das
Konzert für Orchester, von Klaus Bernbacher bei den Tagen Neuer
Musik uraufgeführt. Das vorletzte Orchesterwerk „Schichten
– Bögen“ halte ich für das wichtigste Orchesterwerk.
Das allerletzte ist das „Ascensio“ (Himmelfahrt), das
Hans Zender in Saarbrücken im Jahr 1975 uraufgeführt hat.
Das ist kein Musizierstück. Das ist eigentlich eine geistliche
Musik, aber nur für Orchester.“
Büchtgers eigenes Urteil zu seinem Werk und dessen Einschätzung
klang ein Jahr vor seinem überraschenden Unfalltod genügsam,
genügsam wie er es auch in seinem ganzen Leben war, umsorgt
und liebevoll betreut von seiner Ehefrau Elisabeth.
Es klang vor allem selbstsicher und optimistisch: „Die Oratorien
sind etwas, was nur ich geschrieben habe. Insofern sind sie vielleicht
einiger- maßen wichtig. Aber für mich sind die Streichquartette
wichtig, weil wie immer Streichquartett die Königin der Komposition
ist. Und die wenigen Orchesterwerke, die ich geschrieben habe, halte
ich – welcher Komponist hält sie nicht für wichtig?
Nicht so wichtig, was ich davon halte, wichtiger wäre, was
die anderen Menschen für wichtig halten. Ich habe schon die
Hoffnung, dass irgendwann einmal die Dinge auch zum allgemeinen
Bestand gehören werden.“