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nmz-archiv
nmz 2003/02 | Seite 21
52. Jahrgang | Februar
Internet/Computer
Der multimediale Quintenzirkel
Möglichkeiten und Grenzen des Computereinsatzes im Musikunterricht
Die Diskussionen um moderne Technik im schulischen Einsatz reißen
nicht ab. Projekte wie „Schulen ans Netz“ sorgen dafür,
dass so gut wie jede Schule – zumindest auf dem Papier –
im weltweiten Datennetz mitsurfen kann. Fortbildungsangebote für
Lehrer schießen wie Pilze aus dem Boden und sind meist ausgebucht.
Forderungen nach Computern in jedem Klassenraum und Laptops für
Schüler werden laut. Schule bereitet ja bekanntermaßen
auf das Leben vor und sie soll die Fertigkeiten vermitteln, die
im Berufsleben später unverzichtbar sein werden. Medienkompetenz
ist das Schlagwort der letzten Zeit.
Der Begriff Schlag-Wort ist in diesem Fall durchaus wörtlich
zu nehmen: Der Anspruch, der durch die breite Berichterstattung
noch geschürt wird, wirkt häufig genug regelrecht er-schlagend.
Der Druck auf Lehrer und Schüler wird immer größer.
Für eine sachliche Diskussion darum, in welchem Rahmen der
Einsatz von Computern im Unterricht sinnvoll ist und wo die Grenzen
des Machbaren liegen, bleibt wenig Raum im Überschwang der
Begeisterung. Gerade innerhalb des Musikunterrichtes fällt
es auf Anhieb schwer sich überhaupt vorzustellen, inwiefern
moderne Technik dort ihren Einsatzbereich finden kann.
Bevor der erste Mouseklick getan werden kann, stehen viele Hindernisse
im Weg. Die benötigte Ausstattung mit Hard- und Software muss
vorhanden und die Konditionen für den Internetzugang müssen
geklärt sein. Eine Einarbeitung in die fachspezifischen Programme
ist nötig, um eine dem Unterricht angemessene Auswahl treffen
zu können. Letztendlich ist die Unterrichtsvorbereitung wesentlich
aufwändiger als beim Einsatz älterer, vertrauterer Lehrmittel.
Dies alles kostet natürlich Geld, aber vor allem auch viel
Zeit.
Nicht für alle Themengebiete ist es sinnvoll, den Computer
im Unterricht einzusetzen. Aber er bietet vielfältige Möglichkeiten,
neue Methoden zu erproben. Beim sogenannten „Sequenzing“
werden mit Hilfe des Computers Stücke im MIDI-Format produziert.
Als „Sampling“ bezeichnet man das Nachbearbeiten und
Verfremden digital aufgezeichneter Geräusche und Klänge.
Wo früher eine professionelle Studio-Ausstattung zum Mischen
mehrerer Tonspuren nötig war, reicht heute ein herkömmlicher
PC. Schüler haben hier die Möglichkeit, aktiv selber ihre
individuelle Musik zu schaffen und nach Lust und Laune mit Klangvariationen
zu experimentieren. Tempo und Stimmlage zu verändern, ist ebenso
simpel wie der Austausch eines Instrumentes gegen ein anderes oder
eine Überarbeitung mit Hall- und Echo-Effekten. Auf diese Weise
können beispielsweise Halbplaybacks für klasseninterne
Karaoke-Vorführungen geschaffen werden.
Notensatz- und Kompositionsprogramme bieten die Möglichkeit,
„richtig“ zu komponieren. So bieten sie zum Beispiel
die Option, eine selber entworfene Melodie mit den dazu passenden
Akkorden zu unterlegen. Und das am Ende vom Drucker ausgespuckte,
sauber gearbeitete Notenblatt macht auch gleich einen viel professionelleren
Eindruck als mit Bleistift mühsam bekritzeltes, immer wieder
nachkorrigiertes und daher leicht verschmiertes Notenpapier.
Software ist dem „analogen“ Unterricht vor allem dort
überlegen, wo sie eine Verbindung zwischen Sehen und Hören
herstellen kann. Die direkte, unmittelbare Erfahrung, dass ein Motiv
in zwei verschiedenen Schlüsseln vollkommen anders aussieht,
aber genau gleich klingt, ist beispielsweise in dieser Form nur
am Computer möglich. Inzwischen gibt es schon einige Angebote
an Lernsoftware, die zur Gehörbildung, in der Harmonielehre
oder zum Erlernen des Notenlesens eingesetzt werden können.
Ihr Einsatz ermöglicht Schülern, ein individuelles Lerntempo
zu bestimmen. Die direkte auditive Rückmeldung erlaubt eine
sofortige Fehlerkorrektur ebenso wie das sofortige Erfolgserlebnis.
Allerdings ist es beim Einsatz solcher Software im Unterricht wichtig,
dass die Schüler Kopfhörer tragen. Dies verändert
die Unterrichtssituation radikal, da die kommunikativen Möglichkeiten
zwischen Lehrer und Schüler dadurch stark beeinträchtigt
werden.
Präsentationstechniken halten in allen Fachbereichen immer
mehr Einzug. So ist es auch im Musikunterricht möglich, Ergebnisse
multimedial zu präsentieren. Mit Hilfe von Präsentationssoftware
genügen ein paar Klicks mit der Mouse, um die Stichpunkte der
Referatsfolien mit Bildern, kurzen Klangbeispielen oder Videosequenzen
anzureichern. Die Voraussetzung hierzu ist das Vorhandensein eines
Beamers zusätzlich zum Computer.
Das Material für solche multimediale Präsentationen
findet sich häufig genug im Internet. Und dies bietet noch
eine ganz andere Möglichkeit, den Unterricht zu verändern:
durch Projektarbeit. Beispielsweise können Schüler sich
über Leben und Werk eines Komponisten auf ganz andere Art informieren
als in Bibliotheken. Das Internet bietet ihnen auf Knopfdruck Informationen
von der politischen Situation bis zur Mode der damaligen Zeit, meistens
sind auch noch Beispiele der berühmtesten Werke digital verfügbar
oder sogar deren Noten. Dies ermöglicht Schülern, eine
Ära auf vielfältige Art zu erfassen. Auf diesem Hintergrund
ergibt sich dann auch ein anderes Verständnis für das
Werk.
Projektarbeit beinhaltet das schon in der Reformpädagogik
verschlagwortete „implizite Selbstlernen“, also einen
Ansatz, der sehr deutlich darauf ausgerichtet ist, aktiv und selbstbestimmt
zu lernen. Durch die Informationsfülle des weltweiten Datennetzes
sind Schüler gleichzeitig gezwungen, sich Mechanismen zur Informationsverarbeitung,
also zu ihrer Auswahl, Sortierung und Gewichtung, anzueignen. Gerade
diese Fähigkeiten sind in einer Informationsgesellschaft unverzichtbar.
Der Unterricht ist der Ort, an dem für die Schüler Struktur
in der Informationsflut entsteht und der Raum, in dem sie ihre Ergebnisse
stolz präsentieren können.
Die Rolle des Lehrers verändert sich hierbei also. Er nimmt
nicht länger den ausschließlich wissensvermittelnden
Part ein, sondern er ist vielmehr als Koordinator, Moderator, Manager
und Coach gefragt.
Kleingruppenarbeit innerhalb eines Projektes fördert die Eigenständigkeit
der Schüler und die Motivation. Ihrem Wunsch nach aktiver Gestaltung
des Unterrichts wird auf diese Weise entsprochen. Sie sind nicht
mehr einfach Konsumenten, sondern sie sind aktiv ins Geschehen mit
einbezogen und arbeiten selbstverantwortlich. Viele Erfahrungsberichte
bestätigen diese positiven Effekte.
Die Grenzen eines sinnvollen Einsatzes von Technik sind allerdings
dort erreicht, wo Musik eine sozio-emotionale Komponente bekommt.
Das sinnliche Empfinden, ein Instrument in der Hand zu halten, dessen
Vibrationen zu spüren und die Fingerfertigkeit zu seiner Bedienung
zu erlernen, das Gefühl, einem Instrument eine Melodie entlocken
zu können, eine Aussage mit dem Mittel der Musik zu treffen,
das kann kein Computer vermitteln. Auch das Gefühl des Ensemblespiels,
häufig kaum hörbarer aber unverzichtbarer Teil eines Ganzen
zu sein, das Erlernen des Aufeinander-Hörens und quasi blind
Miteinander-Kommunizierens, ist nicht mit moderner Technik vermittelbar.
Und noch ein ganz anderer Aspekt kommt hinzu: Das Medium verliert
mit der Zeit den Reiz des Neuen. Eine Überfrachtung führt
genauso wie in anderen, ähnlich gelagerten Fällen schnell
zu Ermüdungserscheinungen und Langeweile. Ziel sollte es also
nicht sein, jede Möglichkeit, die Computer bieten, auszunutzen,
sondern ihr Einsatz sollte wohldosiert erfolgen. Wünschenswert
wäre es, wenn trotz aller Schlagworte und Diskussionen der
Computer auf Dauer eine Methode wie viele andere auch würde.
Irgendwann wird er vielleicht so selbstverständlich sein wie
ein Buch oder der Videorekorder.