Aktuelle Ausgabe
Nehmen Sie Kontakt zur nmz auf
Holen Sie sich die nmz ins Haus
Archiv und Sitemap der neuen musikzeitung
Links zum Musikleben
neue musikzeitung interaktiv
Taktlos - Das Musikmagazin des bayerischen Rundfunks und der neuen musikzeitung
Fortbildung - Stellenmarkt der nmz
Die nmz als Werbeplattform
zurück zur vorherigen Seite
Startseite der neuen musikzeitung, nmz aktuell
Counter





Ausgabe 2003/02
Inhaltsverzeichnis
Archiv und Suche
[an error occurred while processing this directive]
 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

nmz-archiv

nmz 2003/02 | Seite 7
52. Jahrgang | Februar
Kulturpolitik

Identitätskrise als Produkt der Verbandspolitik

Politikwissenschaftliche Anmerkungen zum Zustand des Deutschen Musikrats · Von Bernhard Frevel

Die in den letzten Wochen eskalierende Krise des Deutschen Musikrates mag auf den ersten Blick auf erhebliche Managementprobleme von Präsidium, ehemaligen Generalsekretär/-innen und in der Geschäftsstelle des Verbandes zurückzuführen sein. Sind es doch diese Probleme, die schließlich zur Insolvenz und damit zur Berufung des Insolvenzverwalters Westrick führten – mit den bekannten Folgen. Wer sich jedoch mit diesem ersten Blick zufrieden gibt, übersieht, dass diese Krise sehr viel tiefer liegende Ursachen hat. Schon seit Jahr(zehnt)en nahm der Verband eine Entwicklung, die mit dem Adjektiv „problematisch“ noch sehr freundlich bezeichnet wäre.

Nicht nur aus einer politik-, sondern zudem auch musikwissenschaftlichen Perspektive wäre bei der Ursachenforschung zu analysieren, ob der aus dem Verbandsnamen „Deutscher Musikrat“ abzuleitende Vertretungsanspruch gerechtfertigt war. Hierbei wäre dann zu fragen, ob die musikalische Breite des DMR groß genug war oder ob mit einer weitgehenden Konzentration auf die so genannte „E-Musik“ als Oberbegriff für die „gute, wahre und schöne“ Musik nicht eine Teilkastration vorgenommen wurde, die den DMR als Interessensorganisation für große Sparten der Musiklandschaft schlicht uninte- ressant machte und damit zu dessen Schwächung beitrug. Für sehr viele Musiker aus dem Rock- und Popbereich sowie für deren gesamtes wirtschaftliches Umfeld war und ist der DMR eine quantité aber auch qualité negliable, da er (zu?) stark auf ein affirmatives Kulturverständnis ausgerichtet war. Aber auch für andere musikalisch und musikpolitisch interessante Gruppierungen und Sparten galt und gilt der DMR als eher status quo-orientierte Ansammlung von Vertretern einer schmalen, „konservativen“ Sparte des Musiklebens als dass er, seinem eigentlichen Anspruch gemäß, der Spitzenverband aller irgendwie an Musik Beteiligten sei. Sukzessive büßte der DMR an Interessensvertretungskompetenz ein, da er die Differenzierung und Pluralisierung des Musiklebens nicht oder allenfalls mit erheblicher Verzögerung nachvollzog.

An dieser Stelle kann nun die politikwissenschaftliche Betrachtung einsetzen, wobei auf zwei schon genannte Begriffe eingegangen werden kann: nämlich die „Interessensvertretungskompetenz“ und den „Spitzenverband“.

Wie auch andere gesellschaftliche Bereiche ist das Musikleben in Deutschland in einem hohen Maße durch Vereine und Verbände geprägt. Zumeist auf kommunaler Ebene bestehende Vereine, etwa der Laienmusik, und Einrichtungen, etwa Musikschule, schließen sich zu Fachverbänden zusammen. Diese Fachverbände übernehmen für ihre Mitglieder spezifische Serviceaufgaben, wie in der Weiterbildung, des Projektmanagements, der Organisation von Förderprogrammen und ähnlichem. Fachverbände schließen sich dann eventuell mit anderen Fachverbänden in einem Dachverband zusammen. Dessen Funktion ist dann schon um einiges spezifischer. Vor allem die politische Interessensvertretung nach außen oder die Interessensaggregation nach innen, um so für die vertretenen Fachverbände und ihre Mitglieder zu werben, ihre Leistungen gegenüber der Politik und der Öffentlichkeit darzustellen oder – aber schon in geringerem Umfang – operative Serviceleistungen zu erbringen, stehen hier im Vordergrund. Die größte Entfernung von der Basis hat dann ein Spitzenverband, zu dem sich Fach- und Dachverbände zusammenschließen. Spitzenverbände haben eine explizit politische Funktion. Sie sollen gemeinsame oder gleich gerichtete Interessen ihrer Mitglieder bündeln und gegenüber der „Außenwelt“ vertreten.

Je weiter oben in der Pyramide ein Verband angesiedelt ist,

  • desto breiter ist die zu vertretende Mitgliedschaft (für den DMR: Musikwirtschaft, Musikpädagogik, Berufsmusik, Laienmusik),
  • desto heterogener sind die Interessen der Mitglieder und desto kleiner wird die gemeinsame Interessenslage,
  • desto politischer wird die Verbandsfunktion mit wichtigen Aufgaben in der Informationsgewinnung (auch über Wissenschaft) und -vermittlung
  • und desto geringer wird die Kompetenz für eigenes operatives Arbeiten.

Die so skizzierte Differenzierung nach Verbandsebenen und damit verbundenen Funktionen findet sich grundsätzlich in allen Sparten der Interessensorganisationen. Doch der Deutsche Musikrat hat schon früh angefangen sich von dieser Funktionslogik zu entfernen. Mit immer mehr Fördermaßnahmen, Wettbewerben und anderen Projekten hat er sich immer stärker in das operative Geschehen eingebunden – oder einbinden lassen. Herausgekommen ist eine konzeptionslos wirkende Ansammlung von Maßnahmen, deren Durchführung, Ausgestaltung, organisatorische und finanzielle Sicherung zwar den Apparat ausbaute, aber auch notwendige Energien verbrauchte, die für die eigentliche Spitzenverbandsarbeit benötigt würden.
Zulasten seiner Funktion als Lobbyverband baute er seine Tätigkeit als „Non-Profit-Organization“ aus und verlagerte die verbandliche Arbeit von der Ausrichtung auf das politische System zur Einbindung in den so genannten „Dritten Sektor“, in dem Dienstleistungen „zwischen Markt und Staat“ erbracht werden.

Der Politikwissenschaftler Bernhard Frevel. Foto: privat

Zur Lobbyarbeit eines Spitzenverbandes gehört die Interessensvertretung nach außen, zum Beispiel gegenüber dem politisch-administrativen System. Hier vertritt der Verband Interessen und ist dann mitunter auch widerstreitende Partei. Diesen parteilichen Part konnte der DMR nicht immer angemessen wahrnehmen, da er sich zusätzlich zu seinen Rollen als Lobbyverband und als Non-Profit-Organization auch noch als „Non-Governmental-Organization“ in staatliche Politik einband. Zu dieser Nicht-Regierungs-Organisations-Arbeit zählt auch die inzwischen an das Goethe-Institut/Inter Nations abgegebene Mitwirkung an der Auslandskulturarbeit. Wenn der Verband aber versucht, gleichzeitig Lobbyist, NPO und NGO zu sein, so führt dies zu einer unklaren Identität sowohl nach innen gegenüber den Verbandsmitgliedern, wie auch nach außen gegenüber zum Beispiel der Politik.

Betroffen von dieser unklaren Positionierung ist auch die Interessensvertretungskompetenz des Verbandes. Dem Deutschen Musikrat ist es immer weniger gelungen diese Kompetenz wahrzunehmen. Sowohl Veränderungen in der Musiklandschaft wurden nicht hinreichend vom Deutschen Musikrat erkannt und in die Verbandsarbeit einbezogen, wie auch die verbandliche Reaktionen auf gesellschaftliche Prozesse, die zum Beispiel unter den Stichworten Individualisierung, Globalisierung, Wertepluralisierung, Erlebnisgesellschaft, Wissensgesellschaft oder auch sozialer Segregation diskutiert werden, weitgehend ausblieben. Es wäre eine wichtige Aufgabe für den DMR gewesen, diese Prozesse zu analysieren, für die Mitglieder aufzuarbeiten und nach Handlungsoptionen zu suchen, die dem Musikleben in einer sich ändernden Umwelt den Bestand sichern könnten. Solche Arbeiten fielen jedoch weitgehend aus. Die Folge ist, dass Mitglieder zunehmend Distanz zu ihrem Spitzenverband gewinnen, woraus auch eine Legitimitätskrise des DMR entstand – die sich auch in den fehlenden Diskussionsbeiträgen zur DMR-Situation äußert.

So mutierte der DMR zu einem Verband, der einerseits Aufgaben von Fachverbänden wahrnahm – und sich somit selbst zurückstufte – und andererseits für einige Personen zu einem feudalen Treffpunkt der Eliten einer eingeschränkten Musikszene, die sich hier trotz oder wegen ihrer Abgehobenheit von der musizierenden oder sonst wie musikbezogenen Basis der selbstreferentiellen Beziehungsarbeit widmeten. Ohne nennenswerte Widerstände oder eigene Initiativen ließ sich der DMR seiner eigentlichen Funktionen berauben und in eher fremdbestimmte Prozesse und Partikularinteressen einbinden.

Die aktuelle Krise des DMR als Identitäts- und Legitimitätskrise ist das Produkt dieser langjährigen Verbandspolitik. Mit der Berufung des neuen Generalsekretärs, Thomas Rietschel, war (endlich) wieder ein Mann an die Spitze des DMR gerufen worden, der sowohl über nachgewiesene Managementkompetenzen verfügte, die für die Umgestaltung des Verbandes notwendig sind, als auch musikpolitische Basis und Vision sowie Kommunikationskompetenz besitzt, die Spitzenverbandsfunktion wahrzunehmen, oder besser: wieder zum Leben zu erwecken.

Das „Rollen seines Kopfes“ und die bisher bekannt gewordenen Umstrukturierungsgedanken des Insolvenzverwalters sind leider ein Indikator dafür, dass künftig zwar ein vielleicht besseres Projektmanagement seitens des DMR entsteht, aber die Spitzenverbandsarbeit noch weiter leiden wird. Das würde weiter wachsende Distanz des DMR von der Basis, Abkoppelung von musikpolitischen und musikpolitisch relevanten Diskursen, noch weiter nachlassende Interessensvertretungskompetenz des Verbandes und schließlich die Überflüssigkeit des DMR zur Folge haben – womit wirklich keinem gedient wäre.

Aus politikwissenschaftlicher Sicht wäre es für den Deutschen Musikrat sinnvoller, nicht den von Westrick skizzierten Weg zu nehmen, sondern statt dessen

  • die Spitzenverbandsfunktion des DMR wieder zu stärken – mit mehr innerverbandlicher Demokratie, mehr musikpolitischem Diskurs sowie intensivierter Interessensaggregation und -artikulation,
  • sowie einige – das heißt nicht unbedingt alle – Maßnahmen und Projekte durch „Outsourcing“ in die Ausführungskomptenz der betroffenen Fach- oder Dachverbände oder selbstständigen Arbeitsgemeinschaften der Verbände zu geben (wobei eine ideelle Mitträgerschaft des DMR denkbar wäre), um so die Konzentration auf das Wesentliche zu ermöglichen.

Die Musiklandschaft in Deutschland ist so groß, so vielfältig, so vital, dass es eines handlungsfähigen und politisch wirkenden Spitzenverbandes bedarf. Ihn jetzt durch eine falsche Weichenstellung quasi obsolet zu machen, wäre mit einer immensen Schädigung dieser Musiklandschaft verbunden. Drum gilt es dies zu verhindern.

Bernhard Frevel

Bernhard Frevel lehrt Politikwissenschaft an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung NRW und an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Neben anderen politik- und sozialwissenschaftlichen Beiträgen zu den Themen Musikvereine, Musikschule und kommunale Kulturpolitik gab er unter anderem auch 1997 im ConBrio-Verlag das Fachbuch „Musik und Politik. Dimensionen einer undefinierten Beziehung“ heraus, in dem er auch die organisierten Interessen im Musikbereich betrachtete.

 

Social Bookmarking
Bookmark bei: Mr. Wong Bookmark bei: Webnews Bookmark bei: Linkarena Bookmark bei: Newskick Bookmark bei: Newsider Bookmark bei: Folkd Bookmark bei: Yigg Bookmark bei: Digg Bookmark bei: Del.icio.us Bookmark bei: Reddit Bookmark bei: Slashdot Bookmark bei: Netscape Bookmark bei: Yahoo Bookmark bei: Google Bookmark bei: Technorati Bookmark bei: Newsvine Bookmark bei: Ma.Gnolia Information

| top | nmz-start | kontakt |
| aktuelle ausgabe | kulturinformationszentrum | archiv/suche | abonnement | leserbrief |
| © 1997-2008 by neue musikzeitung und autoren | Impressum | Alle Rechte vorbehalten |