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nmz-archiv
nmz 2003/02 | Seite 11
52. Jahrgang | Februar
Kulturpolitik
Eine Chance für die Laienorganisationen?
Zur Reform des Deutschen Musikrates · Von Stefan Liebing
und Nico Lauxmann
Der Deutsche Musikrat steckt in der schwersten Krise seiner Existenz.
Der gerichtlich bestellte Insolvenzverwalter ist im Haus, um zu
retten, was gerettet werden kann. Das Präsidium durfte nur
noch beraten, ist inzwischen geschlossen zurückgetreten, der
Generalsekretär wurde entlassen. Schwierige Zeiten also für
die Musikszene in Deutschland. Doch die Krise birgt auch die Chance
zum raschen Wandel. So könnte die jetzige Situation einen nie
da gewesenen Umbruch ermöglichen, den viele schon lange erhofft
haben.
Um eine starke Organisation zu erhalten, ist es nun wichtig, alle
Sparten des Musiklebens an Bord zu halten und mit ihren Interessen
ausreichend einzubinden. Weder die Beibehaltung des bisherigen politischen
Konsensprinzips noch die Aufteilung in Sparten-Einzelverbände
würden ein Überleben der Musikszene in der öffentlichen
Wahrnehmung ermöglichen. Im folgenden Text sollen einige Ideen
skizziert werden, wie ein neuer Deutscher Musikrat aussehen könnte,
der die Interessen der Laienmusikverbände ausreichend berücksichtigt.
Der Deutsche Musikrat hat im wesentlichen drei Funktionen, die
für die Verbände der Laienmusik von Bedeutung sind. Diese
großen und mitgliederstarken Organisationen haben ganz andere
Probleme zu bewältigen als etwa die Dachverbände der Musikwirtschaft
oder der hauptberuflichen Musiker. Und dennoch: Ohne eine schlagkräftige
und moderne Struktur der nicht-professionellen Orchester wird sich
auf Dauer kein Nachwuchs für viele Musikberufe rekrutieren
lassen. Und auch mit den Organisationen der Musikwirtschaft existieren
eine Reihe von Anknüpfungspunkten, die für einen Erhalt
des gemeinsamen Dachverbandes sprechen. Synergien bei den Lobbying-Bemühungen
seien ebenso genannt wie denkbare Serviceangebote für die Verbände.
Den schwierigen Wandel können die Dachverbände der Laienmusik
nur mit Hilfe des Deutschen Musikrats bewältigen. Damit der
Dinosaurier DMR dieser Aufgabe gerecht werden kann, müssen
eine Reihe von Rahmenbedingungen bei seiner Neugliederung beachtet
werden.
Bislang trat der Deutsche Musikrat vor allem als Organisation
auf, die sich um die Durchführung von „Projekten“
kümmerte. Um Förderaufgaben auf den Gebieten Nachwuchs
und Jugend, Profis und Komponisten also. Dies ist sicher ein wichtiges
Aufgabenfeld, das auch einen Großteil der Fördermittel
einbringt, von denen der Deutsche Musikrat lebt. Daneben sind aber
zwei weitere Aufgabenfelder von entscheidender Bedeutung: Zum einen
ist keine Sparte so auf die Vertretung ihrer politischen Interessen
angewiesen wie die Laienmusik: Vereinsbesteuerung und Ehrenamtspolitik,
Jugendrecht und -förderung, Urheberfragen und Sozialversicherungsrecht:
Die Komplexität all dieser Bereiche erfordert detaillierten
juristischen Sachverstand, der auf Dauer nur von Dachverbänden
vorgehalten werden kann. Zum zweiten brauchen die Verbände
Service- und Beratungsleistungen, eine Stelle, die Wissen bündelt
und an die Mitglieder weitergibt, die „best practise sharing“
betreibt. Und nicht zuletzt eine Einheit, die die Marktmacht der
Musikkonsumenten gegenüber Medien und Wirtschaft gezielt einsetzt
und Rahmenvereinbarungen schließt. All diese Aufgaben hat
der Deutsche Musikrat bislang nicht oder nur völlig unzureichend
erfüllt.
Der Zwang zur organisatorischen Veränderung gibt nun die
Chance, diese zusätzlichen Aufgaben schnell und nachhaltig
in die Struktur des Verbandes zu integrieren. Fast keiner Erwähnung
bedarf die Tatsache, dass all diese Aufgaben nur dann erfüllt
werden können, wenn die Basis der internen Verwaltung reibungslos
funktioniert, also Rechnungs- und Finanzwesen, Zuschussverwaltung
und Personalorganisation auf soliden Beinen stehen.
Eine neue Struktur für den Deutschen Musikrat muss also mehreres
gewährleisten: Der DMR braucht eine Verschlankung und Streichung
ehrenamtlicher Gremien. Mehr als zwanzig Organe und Ausschüsse
kommen derzeit regelmäßig zusammen! Ein starkes Präsidium,
in dem sich alle Sparten musikalischer Verbände wiederfinden,
ist die Voraussetzung für eine stabile politische Entscheidungsfindung.
Daneben muss ein kleiner, wirtschaftlich kompetent besetzter Aufsichtsrat
dafür sorgen, dass eine ausreichende Kontrolle der hauptamtlichen
Führungskräfte erfolgt und die Präsidiumsbeschlüsse
auch in Strategien und Projekte umgesetzt werden. Fachausschüsse
sollten sich mit einem konkreten Projektziel konstituieren und nach
getaner Arbeit wieder auflösen.
Im Auftrag der Mitgliederversammlung, innerhalb derer auch über
eine neue Gewichtung zwischen den Stimmen persönlicher Einzelmitglieder
und Verbandsvertreter nachgedacht werden muss, soll ein Wirtschaftsprüfer
die Verwaltung prüfen und darüber einmal jährlich
Rechenschaft ablegen. So lassen sich Pannen wie die vermeiden, die
letztlich zur Insolvenz des Verbandes geführt haben. Ein solches
„Checks and controls“-System muss aber in aller Konsequenz
nicht nur konzipiert, sondern auch umgesetzt werden. Eine Entfernung
von den arbeitsrechtlichen Vorgaben des BAT und die Einführung
eines Haustarifvertrags ist daher sicher die richtige Lösung.
Neben dem derzeit vorherrschenden absoluten Primat der Kostenstrukturanalyse
spielt aber auch die künftige interne Organisationsform des
hauptamtlichen Apparates eine nicht zu unterschätzende Rolle.
Wird es künftig gelingen, Einliniensysteme der Personalführung
zu etablieren? Wie viele ehrenamtliche und hauptamtliche Führungskräfte
werden Leitungsaufgaben für sich in Anspruch nehmen? Hier greift
die These, dass in Non-Profit-Organisationen mit multipersonalen
ehrenamtlichen Leitungsgremien starke monopersonale hauptamtliche
Organisationseinheiten für eine Kanalisierung der Beschlüsse
sorgen müssen. Kurz: Der Deutsche Musikrat braucht klare Führungsstrukturen
im hauptamtlichen Bereich. Ein neuer Generalsekretär muss gegenüber
seinen Mitarbeitern absolut und ausschließlich weisungsbefugt
sein. Er selbst erhält seine Zielvorgaben von einem Aufsichtsrat,
dem er wiederum Beschlussvorschläge unterbreitet. Die interne
Organisationshoheit liegt ausschließlich beim Generalsekretär
im Rahmen der zur Verfügung stehenden Mittel und deren Zweckbindung.
So kann eine mehrköpfige Geschäftsleitung sinnvoll sein,
wobei die bisherige Führungsspanne deutlich zu groß war.
Anhänger des situativen organisationstheoretischen Ansatzes
postulieren eine Führungsspanne von maximal sechs direkt zugeordneten
Mitarbeitern. Die Aufteilung in drei oder vier Bereiche dürfte
für die Größe und die Aufgaben des Deutschen Musikrates
völlig ausreichen. Zumindest in dieser Hinsicht weisen die
inzwischen bekannt gewordenen Vorschläge des Insolvenzverwalters
in die richtige Richtung, wobei dort das Modell der starken Figur
eines Generalsekretärs fehlt.
Auch bei der vieldiskutierten Frage der Standortwahl sind die
Interessen der Laienmusikverbände eindeutig: Wo die Projekte
und die zentrale Verwaltung des DMR sitzen, ist letztlich zweitrangig.
Ein Büro in Bonn, zumal unterstützt durch subventionierte
Mieten, scheint nicht das Schlechteste. Dennoch ist eine Repräsentanz
des großen Dachverbandes in Berlin zwingend notwendig. Zumindest
eine Stelle zur Beobachtung parlamentarischer Vorgänge und
ein Berliner Büro des Generalsekretärs sind aus Sicht
vieler Mitgliedsverbände erforderlich, um die bislang vernachlässigten,
deshalb aber nicht minder bedeutsamen Aufgaben stärker zu integrieren.
Erst die Erfüllung der bislang häufig angemahnten zusätzlichen
Anforderungen der Mitglieder legitimiert höhere Beiträge
und eine stärkere Identifikation der Verbände mit ihrer
Dachorganisation.
Insofern bleibt also die Hoffnung, dass die schwierige und bedauernswerte,
zum Teil aber auch hausgemachte Situation des Deutschen Musikrates
als Anlass zum organisatorischen Wandel genutzt werden kann. Vielleicht
ist der Reformstau der vergangenen Jahre so aufzulösen. Dass
das Präsidium noch nicht einmal jetzt – mit starker Unterstützung
eines Fachmanns und seiner Kommission – in der Lage ist, die
Chancen zu nutzen und den Rücktritt der Erarbeitung eigener
Vorschläge vorzieht, stärkt einmal mehr die bereits früher
an dieser Stelle vertretene Auffassung der Autoren, dass die bisherigen
Funktionsträger für neue Personen Platz machen sollten,
damit die Organisationen des deutschen Musiklebens endlich das bekommen,
was sie und ihre viele Millionen Mitglieder verdienen: Einen schlagkräftigen,
kundenorientierten und modern denkenden Dachverband mit zielführenden
Strukturen! In diesem Sinne: Happy new year, DMR…
Diplom-Kaufmann Stefan Liebing (liebing@bdmv-online.de)
ist Generalsekretär der Bundesvereinigung Deutscher Musikverbände
e.V. und Mitglied der vom Insolvenzverwalter berufenen Strategiekommission.
Nico Lauxmann (lauxmann@bdmv-online.de)
ist Mitarbeiter des Verbandes.