[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2003/02 | Seite 12
52. Jahrgang | Februar
Kulturpolitik
Das Primat der Politik oder: die wirklichen Aufgaben
Anmerkungen zur Struktur des Deutschen Musikrates (DMR) ·
Von Thomas Rietschel
Im Augenblick wird im Generalsekretariat eine neue Arbeitsstruktur
eta-bliert, die von ebenso großer Bedeutung für die Neuausrichtung
des Deutschen Musikrates sein wird wie die anstehende Satzungsänderung.
Ich möchte mit dem folgenden Beitrag einige grundsätzliche
Überlegungen zu dieser neuen Arbeitsstruktur beisteuern. Von
ihr wird abhängen, inwieweit der DMR in Zukunft in der Lage
sein wird, seinen politischen Auftrag auch auszuführen.
Thomas Rietschel.
Foto: Hufner
Der Deutsche Musikrat ist kein Wirtschaftsunternehmen. Er ist als
eingetragener Verein eine demokratisch verfasste Institution. In
ihm haben sich seine Mitglieder zusammengeschlossen, und in ihrer
Satzung haben sie sich auf eine gemeinsame Aufgabe für diesen
Verein geeinigt. Zweck des Vereins ist nicht der wirtschaftliche
Erfolg, sondern das Erreichen dieser Ziele.
Die Aufgabe des Deutschen Musikrates wird in seiner Satzung wie
folgt beschrieben: „Der Deutsche Musikrat will als Dachverband
für alle Bereiche der Musik auf die Öffentlichkeit, Legislative
und Exekutive einwirken, um der Musik die ihrer gesellschaftlichen
Bedeutung entsprechende Stellung zu wahren und Beiträge zur
Weiterentwicklung der Musikkultur zu leisten.“
Hier werden die zwei zentralen Aufträge des DMR festgelegt:
er wirkt nach innen, ins Musikleben, um die „Musikkultur
weiterzuentwickeln“
und er wirkt nach außen um „die gesellschaftliche
Bedeutung“ der Musik zu wahren.
Adressaten seiner Arbeit sind dabei neben der Öffentlichkeit
die Parlamente und die Regierung. Damit ist die Kernaufgabe des
Deutschen Musikrates klar dem politischen Feld zugeordnet. Solange
die Mitgliederversammlung keinen neuen Auftrag für den DMR
beschließt, muss sich an ihm die neue Satzung und die Arbeitsstruktur
des Deutschen Musikrates messen lassen.
Aus dieser Aufgabenbeschreibung lassen sich vier Thesen zur Neustrukturierung
des DMR ableiten:
In einer demokratisch verfassten Organisation wie dem DMR muss
die aktive Einbeziehung der Mitglieder hohe Priorität bekommen.
Ohne diese Mitgliederbeteiligung macht die politische Arbeit des
DMR keinen Sinn
Der DMR muss in der Lage sein, seinen Gestaltungsauftrag ins
„Innere des Musiklebens“ auch ausführen zu können.
Seine Struktur muss sich nach diesem Auftrag ausrichten, außerdem
benötigt er zu dessen Erfüllung hauptamtliche Fachkompetenz.
Der DMR muss in der Lage sein, seinen politischen Auftrag,
die „Einwirkung auf Legislative, Exekutive und Öffentlichkeit“
auch ausführen zu können.
Die Projekte des Deutschen Musikrates sind kein Selbstzweck.
Sie müssen sich den unter 2. und 3. beschriebenen Aufträgen
des DMR unterordnen.
Einbeziehung der Mitglieder
Die Beteiligung der Mitglieder am DMR hat sich in den letzten
Jahren fast ausschließlich auf die ehrenamtliche Mitarbeit
einzelner engagierter Persönlichkeiten in den Projekten und
Gremien beschränkt. Politische „Willensbildung“
fand nicht statt, die Mitglieder gingen politisch ihre eigenen Wege,
da vom DMR nichts zu erwarten war. Dies sollte sich ändern.
Folgende Punkte erscheinen mir dabei wichtig:
Unverzichtbar ist eine jährliche Generalversammlung als
Kommunikationsplattform für die Mitglieder. Hier kann man
sich kennenlernen, Kooperationen vereinbaren und vor allem: inhaltlich
diskutieren und die politische Linie des Verbandes bestimmen.
Deshalb muss sich das Gesicht der GV wandeln.
Die Formalia lassen sich bei guter Vorbereitung und professioneller
Sitzungsleitung in zwei Stunden erledigen. Im Zentrum der GV sollte
immer die inhaltliche Diskussion und der Austausch der Mitglieder
stehen.
Jenseits der Generalversammlungen ist eine regelmäßige
Kommunikation zwischen den Mitgliedern unerlässlich. Die
neuen Medien bieten hierfür faszinierende Möglichkeiten:
news-groups, fachbezogene newsletter, Diskussionsforen im Netz,
aktuelle Informationen… Es ist Aufgabe des DMR, diese Kommunikation
zu ermöglichen.
Transparenz ist unerlässlich: die Protokolle aller Gremiensitzungen
sollten zeitnah im Netz veröffentlicht werden.
Es muss zur Philosophie des DMR werden, in alle Aktivitäten
soviel wie möglich die Mitglieder einzubeziehen und aktiv
zu beteiligen. Dies kann auch bedeuten, dass der DMR die Organisation
oder gar Trägerschaft bestimmter Projekte an geeignete Mitglieder
abgibt.
Eine intensive Mitgliederbeteiligung stärkt auch den politischen
Einfluss des Deutschen Musikrates. Je deutlicher die Mitglieder
des DMR hinter ihm stehen, desto selbstbewusster können die
Vertreter des DMR nach außen auftreten. Je stärker
der DMR seine Mitglieder einbezieht, um so besser kann er gemeinsam
mit ihnen politischen Druck erzeugen, wenn es darum geht, wichtige
gemeinsame Ziele durchzusetzen.
Musikleben gestalten
Wie diese „Weiterentwicklung des Musiklebens“ aussehen
könnte, will ich am Beispiel der sogenannten Krise der Sinfonieorchester
skizzieren. Anstatt sich ernsthaft mit den Ursachen dieser Krise
auseinanderzusetzen hat der Deutsche Musikrat in den letzten Jahren
auf Orchesterauflösungen stets reflexartig mit empörten
Protestresolutionen reagiert. Diese Resolutionen waren jedoch das
Papier nicht wert auf dem sie standen, sie haben lediglich den Beteiligten
das beruhigende Gefühl vermittelt, man hätte etwas getan.
Ihre Wirkung nach Außen war jedoch fatal, denn sie diskreditierte
den DMR als ernstzunehmenden Diskussionspartner im kulturpolitischen
Diskurs. Es ist ja kein Zufall, dass an vielen Orten die Kulturorchester
zur Disposition stehen: wenn sich immer mehr die „Sparfraktionen“
in den Stadträten durchsetzen, dann liegt das auch an den Orchestern
selber, die teilweise immer noch nicht erkannt haben, dass es ihre
eigenste Aufgabe ist, sich um ihr Publikum und um ihre Akzeptanz
zu kümmern.
Anstatt also Resolutionen zu verabschieden müsste hier die
Arbeit des DMR ansetzen: Er könnte einen Preis aussetzen für
besonders innovative Ideen, junges Publikum zu gewinnen. Er könnte
Partner eines Kongresses der betroffenen Fachverbände werden,
der neue Wege auch aus dem internationalen Kontext präsentiert
und hier seine internationalen Kontakte, seine Beziehungen zur Bundespolitik
und sein Image einbringen. Natürlich kann der Deutsche Musikrat
dieses Thema dann auch in seinen eigenen Projekten aufgreifen, indem
das BJO mit neuen Konzertformen experimentiert oder indem dieser
Aspekt auch in den nächsten „Deutschen Laienorchesterwettbewerb“
einfließt. Und natürlich ist es Aufgabe des DMR, gemeinsam
mit den betroffenen Mitgliedern daraus ein „Thema“ zu
machen, das dann auch bundesweit diskutiert wird.
Zurzeit gibt es viele solcher brennenden Themen: die Situation
des Musikunterrichts an den Schulen, der Stellenwert musikalischer
Bildung, die mangelnde Akzeptanz des Urheberrechts, die Veränderungen
der Musikrezeption und ihre Konsequenzen für das Musikleben.
Hier muss der Deutsche Musikrat aktiv werden und diese Themen im
oben skizzierten Sinne gemeinsam mit seinen Mitgliedern angehen.
Dies setzt aber voraus, dass zu diesen Themen und Bereichen professionelle
Fachkompetenz im deutschen Musikrat vorhanden ist. Es muss Mitarbeiter
geben, deren Aufgabe es ist, sich den geforderten Überblick
über ihren Bereich des Musiklebens zu verschaffen, und die
dann in der Lage sind, ihre Erkenntnisse weiterzugeben und weitergehende
Initiativen und Aktionen zu organisieren.
Der politische Auftrag des Deutschen Musikrates
Um im musikpolitischen Bereich wirksam tätig sein zu können
braucht der DMR
transparente Meinungsbildungsprozesse,
Fachkompetenz,
Glaubwürdigkeit,
Präsenz,
Schlagkraft.
Wie der DMR seine Meinungsbildungsprozesse intern organisieren
kann, dazu habe ich oben bereits einiges angemerkt.
Seine Fachkompetenz ist ein wichtiger Faktor für die Legitimation
der Zuschüsse durch die öffentliche Hand, die im Musikbereich
einen Partner braucht, der sie verlässlich berät, wenn
es Entscheidungen zu treffen gilt, wenn Informationen über
das Musikleben in Deutschland benötigt werden. Diese Fachkompetenz
muss in Gremien, aber vor allem auch in der Geschäftsstelle
des DMR erarbeitet werden und abrufbar sein.
Auf dieser Fachkompetenz beruht dann auch im wesentlichen die
Glaubwürdigkeit des DMR. Wer vom DMR Informationen über
das Musikleben haben will, der muss sicher sein, dass diese Informationen
objektiv und vollständig sind. Seine Glaubwürdigkeit sollte
jedoch auch daher kommen, dass der DMR unabhängig von Einzelinteressen
handelt und anders als ein Lobbyist immer das Ganze im Auge hat.
Fachkompetenz und Glaubwürdigkeit können nicht viel bewirken,
wenn der DMR nicht präsent ist. Er muss in der Lage sein, seine
Themen auf die „Tagesordnung“ zu setzen. Dazu bedarf
er einer professionellen Öffentlichkeitsarbeit und der Menschen,
die diese Botschaften und Themen vertreten, die dies auf Tagungen,
in Gremien, in Artikeln aber auch ebenso bei Hintergrundgesprächen
tun. Der DMR muss in den entscheidenden kulturpolitisch wichtigen
Gremien vertreten und der natürliche Ansprechpartner für
alle Fragen der Musik in Deutschland auf Bundes- und internationaler
Ebene sein.
Letztendlich ist es aber auch seine Schlagkraft, die ihn zu einem
ernstzunehmenden Faktor in der öffentlichen Diskussion macht.
Ein DMR, der seine Mitglieder im Ernstfall mobilisieren kann –
die Sonderausgabe der nmz im November war ein großartiges
Beispiel dafür –, ein Musikrat, der Dank einer guten
Öffentlichkeitsarbeit in den Medien Gehör findet und seine
Aussagen zu platzieren weiß, der erreicht auch Politik und
Regierung.
Diese Arbeit kann nicht ehrenamtlich geleistet werden. Gerade die
Präsenz auf dem politischen Terrain erfordert einen hohen Zeitaufwand
und der Aufbau eines tragfähigen Kontakt- und Beziehungsnetzes
geschieht nicht nebenbei. Dazu benötigt der DMR hauptamtliche
Persönlichkeiten, die in diesen Gesprächen den DMR glaubhaft
vertreten können.
Die Projekte sind Mittel zum Zweck
Die zentrale Aufgabe des DMR ist eine politische und deshalb müssen
seine Projekte immer wieder anhand seiner politischen Ziele überprüft
und verändert und gegebenenfalls auch beendet werden. Die Projekte
können jedoch ein wichtiges Instrument zum Erreichen dieser
Ziele sein. Durch sie kann der DMR die Öffentlichkeit und die
Politiker erreichen, er kann die Projekte zu Instrumenten seiner
Ziele machen und sie ermöglichen ihm zusätzliche Ressourcen
und Synergien für die politische Arbeit.
Um es provozierend zuzuspitzen: der DMR sollte seine Projekte als
„Mittel zum Zweck“ begreifen. Ich will dies an einem
Beispiel verdeutlichen: Es ist ein zentrales Anliegen des DMR, dass
viele Menschen schon als Jugendliche beginnen, ernsthaft und intensiv
Musik zu machen. „Jugend musiziert“ ist eine der Maßnahmen,
die sich diesem Ziel verschrieben haben. Damit stellen wir „Jugend
musiziert” in einen größeren Zusammenhang und es
wird deutlich, dass „Jugend musiziert” sich verändern
muss, wenn wir dieses Ziel erreichen wollen – weil die Jugendlichen
sich verändern, ihre Lebensgewohnheiten, ihr Musikgeschmack
und ihre Musikwahrnehmung. Damit verlieren die Projekte ihren Ewigkeitscharakter
und sind nicht mehr heilige Kühe, die sich keiner zu schlachten
traut. Es wird ebenso einleuchten, dass auch der Popularmusikbereich
gleichberechtigt berücksichtigt werden muss, wenn der DMR ernsthaft
an diesem Ziel arbeiten will.
Konsequenzen für die neue Struktur des DMR
Ich schlage vor, dass im Generalsekretariat fünf Fachbereiche
mit jeweils einer Fachbereichsleitung gebildet werden. Die Fachbereichsleiter
tragen die Verantwortung für die Projekte und sind Vorgesetzte
der Projektleiter. Sie vertreten aber auch ihren Fachbereich nach
außen und sind für die Weiterentwicklung dieses Fachbereichs
verantwortlich. Sie konzipieren neue Vorhaben und entwickeln die
ihnen anvertrauten Projekte weiter. Die Fachbereichsleiter übernehmen
in ihrem Bereich Verantwortung für die oben skizzierten Aufgaben
der Einflussnahme aufs Musikleben und wirken an der politischen
Aufgabe des DMR mit. Sie werden in ihrer Tätigkeit von ehrenamtlichen
Gremien begleitet, die durch das Präsidium besetzt werden.
Die Gliederung der Fachbereiche könnte ich mir wie folgt
vorstellen:
FB 1: Politische Vertretung, Öffentlichkeitsarbeit und
Fundraising, Gremien (Sprecher),
FB 2: Verwaltungsleitung,
FB 3: Laienmusikbereich, Politikberatung und MIZ,
FB 4: Jugend und Musik,
FB 5: Professioneller Musikbereich und Musikwirtschaft.
Die Besetzung dieser Geschäftsführungspositionen ist
mit dem vorhandenen Stellenplan ohne Mehrkosten für den DMR
realisierbar. Ich bin mir außerdem sicher, dass auch die Einrichtung
einer IT-Stelle und einer hauptamtlichen Stelle für Öffentlichkeitsarbeit
im Rahmen der bestehenden Stellen und Budgets möglich ist.
Die fünf Fachbereichsleiter bilden die Geschäftsführung
des DMR. Hier fließt die Kompetenz des Generalsekretariats
zusammen und hier können wichtige Entscheidungen kompetent
diskutiert und zur Abstimmung im Präsidium vorbereitet werden.
Sprecher dieser Geschäftsführung wird der/die „politische
Geschäftsführer/-in“. Er/sie ist der direkte Ansprechpartner
des Präsidiums, das als gewählte Vertretung der Mitglieder
die politischen Leitlinien bestimmt. Wenn der DMR es ernst meint,
mit seinem politischen Auftrag, dann muss der/die politische Geschäftsführer/-in
auch die Funktion des bisherigen Generalsekretärs übernehmen.
Er/sie vertritt die politischen Leitlinien des Vereins und muss
deshalb auch den anderen Geschäftsführern gegenüber
weisungsbefugt sein. Es muss sichergestellt sein, dass das Primat
der Politik im DMR gewahrt bleibt, und dass die inhaltlichen Ziele
in Zukunft die Richtung des DMR bestimmen.