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nmz-archiv
nmz 2003/02 | Seite 48
52. Jahrgang | Februar
Kulturpolitik
Musik unter dem Stiefel
Ein Kooperationsmodell zwischen Schule und Musikschule
Die Zusammenarbeit von Schule und Musikschule vollzieht sich nicht
immer unproblematisch. Oft verbirgt sich dahinter nicht mehr als
blanke Kompensation: Damit an allgemein bildenden Schulen überhaupt
noch unterrichtet wird, übernehmen Musikschulen jene Bereiche,
die von der Schulmusik nicht mehr wahrgenommen werden können.
Echte Kooperation jedoch bedeutet immer, dass beide Partner etwas
realisieren, was einer alleine nicht bewerkstelligen könnte.
Von einem solchen Projekt soll hier die Rede sein. Ort des Geschehens
ist Herrenberg, eine Kleinstadt südlich von Stuttgart. Was
im Frühsommer 2002 von Volker Mall und Hans-Martin Werner (Musiklehrer
an den beiden Gymnasien) sowie Doris Froese (Leiterin der hiesigen
Musikschule) in Angriff genommen wird, geht weit über die gewohnte
Arbeit der genannten Institutionen hinaus. Involviert werden sollen
überdies Parteien (SPD und Grüne), die Gewerkschaft Erziehung
und Wissenschaft (GEW), der Verein „Gegen Vergessen –
Für Demokratie“ oder aber Jazzin` Herrenberg, eine lokale
Jazz-Initiative. Es geht um nichts Geringeres als die Ausstellung
„Entartete Musik“, einer kommentierten Rekonstruktion
der Düsseldorfer Ausstellung von 1938.
Ehrenamtliches Engagement war Bedingung. Schüler der Jahrgangsstufe
zwölf des Schickhardt-Gymnasiums realisierten nicht nur Auf-
und Abbau der Ausstellung im neuen Konzertsaal der Musikschule,
sie standen auch während der 14 Tage als sachkundige „Führer“
zur Verfügung. Über 1.000 Besucher, darunter viele Schulklassen,
wurden während dieses Zeitraums durch die Ausstellung geleitet!
Zuvor hatten die Schüler im besten Sinne Anforderungen neuerer
Pädagogik umgesetzt: Recherche, Dokumentation und Präsentation
über die Situation der Musik in Herrenberg während der
Zeit des Nationalsozialismus im Archiv der örtlichen Zeitung
waren zu leisten, Durchsicht der Zeitdokumente bei Gesangsverein,
Stadtkapelle und Kirche waren vorausgegangen. Immer wieder greifbar
– die Trivialität des Bösen, auch im lokalen Bereich.
Stellvertretend erwähnt sei ein Stadtpfarrer, der Hitler im
Frühjahr 1933 als neuen Messias begrüßt.
Eindringlichster Moment der Ausstellung war wohl die Eröffnung.
Zu- gegen hier der Komponist Jürg Baur (geboren 1938). Von
nachhaltigem Eindruck zugleich seine Kompositionen für Akkordeon,
die in der Interpretation durch Dieter Dörrenbacher den Rahmen
der Eröffnung bildeten.
Die Zeitzeugenberichte wurden durch Musik des Saxophonisten Emil
Mangelsdorff und seines Quartetts ergänzt, Kantorei und Collegium
musicum (Leitung: KMD Ulrich Feige) musizierten in der vollbesetzten
Stiftskirche Werke von Felix Mendelssohn-Bartholdy. Schüler
der Gymnasien und der Musikschule traten mit Werken unterdrückter
Komponisten auf und dann gab es da noch den Wettbewerb „Musik
gegen Rechts“, unter Beteiligung von zehn Musikgruppen. Unangefochtener
Sieger die Band „Thoughtless“ mit der kompromisslosen
Grunge-Adaptation „Ne Glatze kriegt man früh genug!“