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nmz-archiv
nmz 2003/02 | Seite 32
52. Jahrgang | Februar
Laienmusik
Nachwuchs werben – Orchester stärken !
Warum in den Vereinsorchestern keine Probleme mit den jungen
Musikern herrschen
Dass die Blasmusikszene keine Nachwuchsprobleme kennt, ist immer
wieder Stoff für die ungläubigen Blicke in Pressekonferenzen.
Und dennoch: Im Gegensatz zu vielen anderen Bereichen der Musik
in Deutschland verzeichnet die Bundesvereinigung Deutscher Musikverbände
e.V. (BDMV) jährlich steigende Mitgliederzahlen, kann gar von
einem Jugendanteil von 60 Prozent der Mitglieder in den 18.000 Vereinsorchestern
berichten.
Doch um es mit Kirkegaard zu sagen: „Wer aufhört, besser
zu sein, der hat aufgehört, gut zu sein.“ Ein Ausruhen
auf solchen Erfolgen scheint in mehrfacher Hinsicht gefährlich.
Zum einen sagt ein hoher Jugendanteil nur wenig darüber aus,
wie lange junge Menschen der Mitarbeit im Verein erhalten bleiben.
Und hier tut sich bereits ein erstes Problemfeld auf: Viele Jugendliche
beenden ihr Engagement relativ schnell wieder, sind spätestens
mit Ausbildungs-, Studien- oder Berufsbeginn nicht mehr aktiv dabei.
Zwei Ansatzpunkte könnten dieses Problem in den Griff bekommen:
Die Vereine müssen stärker die Potentiale ansprechen,
die auch nach Abschluss der Ausbildung am Ort bleiben, also verstärkt
Haupt- und Realschüler werben und auf diese Zielgruppen zugeschnittene
Angebote machen. Zum anderen müssen die Vereine ihre Arbeitsweise,
die Organisations- und Satzungsstrukturen so ändern, dass junge
Leute bereits vor dem berufsbedingten Rückzug ausreichend stark
eingebunden sind. Flexiblere Arbeitskreise können dafür
ein Instrument sein.
Die Jugendstudie von Shell aus dem Jahr 2000 stellt fest, dass
der Anteil derjenigen jungen Vereinsmitglieder steigt, die auch
bereit sind, eine Funktion im Verein zu übernehmen. Im Durchschnitt
liegt dieser Anteil bei Kulturvereinen bei 23,1 Prozent (zum Vergleich:
Im Sport engagieren sich gerade mal 12 Prozent der Jugendlichen
in Funktionen). Allerdings sind Kontinuität und Umfang des
Engagements geringer, entsteht eine Konkurrenzsituation gegen deutlich
stärkere äußere Einflüsse und Ablenkungen.
Dies stellt neue Anforderungen an eine Satzungsstruktur und an die
Führungs- und Motivationskenntnisse des Vereinsvorsitzenden.
Schließlich muss der Verein es schaffen, jugendliche Mitglieder
einzubinden, sie zu motivieren und ihnen Gestaltungsspielräume
einräumen, eigenverantwortliche Projekte zugestehen. Und dies
bei deutlich höherer Unsicherheit darüber, wie stark das
Engagement sein wird und wie lange die Motivation anhält. Dies
führt letztlich dazu, dass mittelfristig der von ganz wenigen
Funktionären geführte Verein nicht mehr existieren wird.
Die Anzahl der gleichzeitig an der Vereinsführung beteiligten
Mitglieder wird steigen, weil jeder einzelne einen geringeren Anteil
der Arbeit machen wollen wird. Dies erfordert eine Neugliederung
der Funktionen und Organe, aber auch die Weiterbildung der koordinierenden
Kräfte. Eine Führungsspanne von zwanzig und mehr Ehrenamtlichen
zu bewältigen, ist für manche Profiführungskraft
eine schwierige Herausforderung!
Nicht zuletzt deshalb hat der Blasmusikverband Baden-Württemberg
mit Jahresbeginn 2000 die M-Reihe gestartet: In der Akademie Kürnbach
können Vereinsführungskräfte in vier Stufen eine
Management-Qualifikation erwerben (Infos unter www.bvbw-kuernbach.de
oder per Tel. 07258/91 22-0).
Soweit also die Bindung von bereits im Verein engagierten Jugendlichen.
Mindestens genauso wichtig ist aber die Gewinnung von neuen Vereinsmitgliedern.
Diese wird auf Dauer nicht mehr über das rein musikalische
Argument möglich sein. Schließlich konkurrieren Vereine
bei der Gestaltung der knapp bemessenen Freizeit mit „moderneren”
Formen und Stilrichtungen des Musizierens oder des Musikhörens.
Eine Konkurrenzanalyse zeigt, dass in einer Art „Mikro-Umwelt”
der Verein sich zunächst gegen andere Formen des aktiven Musizierens
durchsetzen muss. Das Musizieren in nicht organisierten Formen –
in Rockbands beispielsweise – oder bei anderen Trägern,
die mit anderem Repertoire aufwarten, sind ernsthaft zu berücksichtigen.
Gibt es an der Schule eine Big Band? Was bietet die Musikschule
an? Welche Stilrichtungen kommen bei jungen Leuten am besten an?
Die Shell-Studie weist darauf hin, dass die Beschäftigung
mit Musik zu den meistgenannten Freizeitaktivitäten junger
Leute gehört. In der nun zu analysierenden „Makro-Umwelt”
geht es also um das Konkurrenzverhältnis zwischen dem eigenen
Musizieren und anderen Formen des Beschäftigens mit Musik.
Das Hobby des Musizierens muss sich hier durchsetzen gegenüber
hochprofessionellen passiven Angeboten: Die Disco, die Stereoanlage,
Musiksender im Fernsehen sind bequeme, jederzeit abrufbare Formen
des Musikhörens. Für Jugendarbeit Verantwortliche müssen
sich also fragen: Was kann der Musikverein bieten, was die genannten
Konkurrenten auf Mikro- und Makro-Ebene nicht bieten können?
Vielleicht kann das etwas mit einem Gemeinschaftserlebnis zu tun
haben. Vielleicht auch mit der Chance auf einen persönlichen
Erfolg und auf Lernen. Diese Frage wird spezifisch jeder Verein
für sich entscheiden müssen, wenn er die regionale Situation
berücksichtigt. Zentral ist nun aber, diese erkannte Besonderheit,
diese „U- nique selling proposition”, dieses Merkmal,
das das Vereinsmusizieren von allen anderen Formen abhebt, in den
Mittelpunkt der Werbung und Öffentlichkeitsarbeit zu stellen.
Nicht zuletzt bietet diese Analyse die Chance, dass sich auch langjährige
Vereinsführungskräfte wieder einmal bewusst machen müssen,
welche Ziele der Verein und welche Besonderheiten er verfolgt, wo
die strategischen Schwerpunkte seiner Arbeit liegen sollten. Und
das wiederum ist oft der Auslöser für die Umstrukturierung
der Vereinsarbeit. Für die Modernisierung. Für das Einschlagen
eines Erfolgskurses für die nächsten Jahre. Gemeinsam
unter Einbindung von erfahrenen Profis und jugendlichen Querdenkern.