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nmz-archiv
nmz 2003/02 | Seite 39
52. Jahrgang | Februar
Jazz, Rock, Pop
Künftig keine Meisen mehr im straffen Unisono
United Jazz & Rock Ensemble mit „Grande Finale“
in Stuttgart und Regensburg
Drei Töne haben einst den Großmeister der Posaune Albert
Mangelsdorff um den Schlaf gebracht. „Eine Meise“, erzählt
der Frankfurter Musiker, habe ihn durch ihr morgendliches Singritual
beinahe sämtliche Nerven gekostet. Was blieb dem passionierten
Vogelfreund übrig: Statt zu schlafen, setzte er sich an den
Schreibtisch und komponierte „Meise vorm Fenster“. Harmonien
drunter, den „äußerst raffinierten Rhythmus“
beibehalten, und sechs Bläser imitieren druckvoll und mit Biss
ein Meisen-Unisono. Wolfgang Dauner verschärft die Penetranz
der dauernden Motiv-Wiederholung am Flügel und sähe das
Arrangement nicht die wunderbaren Soli von Barbara Thompson am Altsaxophon,
Ack van Rooyen auf dem Flügelhorn und Mangelsdorff selbst vor,
das Stück würde wirklich nerven.
Aber Auftritte des United Jazz & Rock Ensemble waren 27 Jahre
lang mehr als nur eine ernsthafte musikalische Angelegenheit. Humor
und das flirrende Spiel musikalisch-künstlerischer Reibung
gehörten immer dazu. Ack van Rooyen blitzt der Schalk bereits
aus den Augen, wenn er ans Mikrofon tritt. Mit einer abenteuerlichen
Anekdote über die Herkunft des Flügelhorns, die sogar
neue Erkenntnisse übers Fürstenhaus bot, kündigte
er die schöne Ballade „Flügelhorn im Herbst“
an. Zugleich widmete er sie allen bei adligen Jagden ums Leben gekommenen
Hasen, Füchsen und Rebhühnern.
Am 3. Dezember spielte die BigBand ihr letztes Konzert in Stuttgart.
Dort, wo vor über einem Vierteljahrhundert alles angefangen
hat; im Schützenhaus. Regensburg war eine der letzten Stationen
der Grande-Finale-Tour, mit der sich das Ensemble in großartiger
Form diesmal endgültig von Fans, Anhängern und Freunden
verabschiedet.
Folglich war auch in der Pause im Foyer des Audimax der Regensburger
Universität viel von Nostalgie die Rede, von Erinnerungen ans
erste UJRE-Konzert, zu dem man mit einem alten VW-Käfer gedüst
ist, und vom Regensburger Konzert zum Zehnjährigen, das kurzfristig
in die Mensa verlegt werden musste, weil der verlängerte Arm
der bayerischen Staatsgewalt die empfindsamen Seelen der CSU-Granden
vor den Verunglimpfungen der Nestbeschmutzer „Biermösl
Blosn“ schützen musste, die damals mit auf Tour waren.
Sogar einige verstohlene und offene Tränen waren am Ende des
Konzerts zu sehen, als das Publikum dem Orchester mit langanhaltendem,
stehendem Applaus Respekt und Dank zollte.
Es war auch die Freude über ein erstklassiges Konzert, bei
dem die alten Herren von Mangelsdorff über den englischen Trompeter
Ian Carr, der ein Standardwerk über Miles Davis geschrieben
hat, Spitzentrommler Jon Hiseman, der mit seiner Band „Collosseum“
Rockmusikgeschichte geschrieben hat, Gitarrist Volker Kriegel, dessen
skurril-originelle Kinderbücher auf vielen Nachttischen liegen,
bis zur einzigen Frau im Orchester, der Saxophonistin Barbara Thompson,
noch einmal alle Register zogen. Vermutlich gibt es keinen Musiker
im Jazz, der eine einfache Blockflöte so expressiv und mit
zupackendem Groove spielen kann wie die Engländerin, ohne dass
es komisch klingt. Ihr eindrucksvolles Spiel und viele ihrer hymnischen
Kompositionen werden nicht wenigen Zuhörenden tief im Gedächtnis
verwurzelt bleiben. Für Thompson sind es zugleich ihre letzten
öffentlichen Auftritte. Auch wenn die Parkinsonerkrankung,
mit der sie seit längerem lebt, ihren Bewegungsspielraum, nicht
aber ihr hinreißendes Spiel beeinträchtigt, wird sie
sich künftig aufs Komponieren konzentrieren.
„Alle anderen“, darauf legte Wolfgang Dauner Wert,
„werden natürlich weiter Musik machen“. Der Stuttgarter
unterstrich mit dem autobiografisch gefärbten „Wendekreis
des Steinbocks“, ein romantisch und gleichzeitig vom Minimalismus
inspiriertes Thema auf dem Piano, bei dem Bassist Dave King ein
atemberaubendes Solo vom Stapel lässt, das Erfolgsrezept des
Ensembles. Obwohl der Sound unverkennbar ist, hat es sich immer
ganz unterschiedlichen Ideen gegenüber offen gehalten. Das
zeigte sich selbst noch beim Abschiedskonzert in der bluesbetonten
Komposition „Flying Carpets“ des Saxophonisten Christof
Lauer, neben Trompeter Rüdiger Baldauf, Nesthäkchen in
der betagten Band, wo er mit seinem ekstatischen, an Coltranes „sheets
of sound“ erinnerndem Spiel ordentlich Zunder gab. Und der
Drive und Zunder, den das Orchester an den Tag legte, verhinderte
letztlich auch, dass das Farewell-Konzert nur zu einer sentimentalen
Angelegenheit wurde. Nur schade, dass künftig keine Meisen
mehr im Unisono nerven. Good bye!