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nmz-archiv
nmz 2003/02 | Seite 40
52. Jahrgang | Februar
Jazz, Rock, Pop
Wächter über die kreative Landschaft
Dave Stewarts multimediale Kolchose mit seinem Label „Artist
Network“
David Stewart ist einer der globalsten Musikauffasser. Und das
nicht erst seit Eurythmics. Früh erwarb er sich den Ruf eines
erstklassigen Produzenten und Komponisten. Gleichwertig verteilte
er sein kreatives Potenzial zwischen Musik, Fotografie und Filmproduktion.
Dass von letzteren Professionen niemand weiß, liegt an den
medialen Schubladen. Einmal Popband, immer Popband. Dass er für
Robert Altmanns „Cookie’s Fortune“ das Skript
schrieb, für seine Dokumentation „Deep Blues“ ausgezeichnet
wurde oder 2000 mit seinem ersten eigenen Film „Honest“
eine vielbeachtete Premiere bei den Filmfestspielen in Cannes feierte,
ging bei uns unter. Aber weil ihm das alles immer noch nicht reichte,
musste ein eigenes Plattenlabel her: Artist Network (AN). Zusammen
mit Microsoft Mitgründer Paul Allen legte er ein paar Millionen
Dollar auf den Tisch und errichtete „The Hospital“,
ein mehrstöckiges Multimedia Kreativzentrum in London, Covent
Garden.
neue musikzeitung: Artist Network (AN) ist seit drei Monaten
am Start. Wurden Sie sozusagen gezwungen, Ihr eigenes Label zu gründen,
weil Ihnen die aktuelle Lage des Marktes keine Chance mehr bot,
Ihre Konzepte und Perspektiven umzusetzen?
AN-Gründer Dave Stewart.
Foto: Public Propaganda
Dave Stewart: Klar ist die Musikindustrie in einer gewaltigen
Krise. Die Plattenfirmen begannen, sich gegenseitig aufzukaufen
und wurden immer größer, sie hörten auf, kreative
Firmen zu sein und wurden zu reinen Marketingfirmen.
nmz: Aber die Künstler haben sich auch geändert.
Stewart: Definitiv. Die kreative Seele der Künstlergemeinschaft
ging verloren. Ich denke dabei an die 60er zurück, als es Atlantic
Records oder das Punklabel Stiff Records gab. Heute ist die Label-Landschaft
nur noch langweilig. Trotzdem traf ich im Laufe der Zeit auf erstaunliche
Künstler, die aber nie Gehör fanden, weil sie nicht in
das Format passten, das die Majorfirmen standardisiert hatten.
nmz: Und solchen Künstlern möchten Sie mit AN
eine kreative Plattform bieten?
Stewart: Exakt. Für mich, der die Industrie sehr gut
kennt, war es wichtig, ein kreatives, unabhängiges Label fernab
der erwähnten Szene zu gründen. Oft reden Leute nur, dass
sie dies und das anders machen würden. Wir haben gehandelt
und erst mal den Londoner „Marquee Club“ gekauft und
ihn zu einem angenehmen Club umgebaut, der 1.200 Leute fassen kann
und wieder als Künstlertreffpunkt fungieren soll wie in alten
Zeiten. Dann haben wir Studios und Cafés eingerichtet, unter
anderem in einer Kirche. Das Wichtigste aber sind für uns die
fairen Verträge für und mit Künstlern. Wir haben
eine neue Vertragsstruktur ausgearbeitet, die dem Künstler
zu Gute kommt: Wir machen einfach Fifty-fifty. Es ist uns auch vor
allem wichtig, unsere Künstler während ihres gesamten
kreativen Prozesses zu unterstützen, sie auf ihrem langen Weg
zu begleiten. Wir müssen wieder wegkommen vom aktuellen Gebaren
„entdecken, verheizen, fallen lassen.“
nmz: Unter den aktuellen Künstlern sind Jimmy Cliff,
Macarthur, Da Universal Players oder The Davey Brothers. Vom Reggae
bis Rüpelrock ist alles dabei.
Stewart: Das wollte ich genauso haben: nicht Genrespezifisches,
sondern breit angelegte Musik. Macarthur kommt aus der Popecke und
schreibt sehr gute Songs, Joanne Shaw Taylor ist eine großartige
Blueskünstlerin und Jimmy Cliff wollte ich dabei haben, weil
er eine klasse Stimme hat und man schon lange nichts mehr von ihm
hörte.
nmz: AN findet seine Stars ohne Fernsehserien und wieder
mit Instinkt.
Stewart: Weil wir nach dem „einzig Wahren“
suchen. In England werden wir zur Zeit mit Fernsehshows wie „Celebrity“,
„Pop Idol“ oder „Fame Academy“ bombardiert.
Schön und gut, man sieht, dass Kids gut singen und tanzen können.
Aber wenn ich zurückdenke an die Künstler, die mich umhauten
wie Marvin Gaye, The Clash, Jimi Hendrix und später Bruce Springsteen,
U2 oder Nirvana, dann waren das ernsthafte, inspirierte Künstler,
Musiker und Songschreiber. Was ich teilweise in diesen Fernseh-Castings
sehe, ist einfach unglaublich. Das muss ich nicht haben.
nmz: Suchen Sie die AN künstler-spezifisch oder bekommen
Sie schlicht Demos mit der Post?
Stewart: Es ist eine Mischung aus beidem. Hilfreich ist
natürlich mein persönliches Netzwerk an Künstlerkontakten.
Ein Regisseur, der in Birmingham gerade eine Dokumentation über
UB 40 machte und ein paar Szenen im Studio mit UB 40 drehte, rief
mich an, weil er im Studio nebenan Joanne Shaw Taylor üben
hörte. Ich fand ihre Telefonnummer raus, sprach mit ihrem Vater
und er kam mit ihr nach London.
nmz: Trotz aller Kreativität haben Sie doch sehr viel
Geld auf den Tisch gelegt um AN zu realisieren. Muss man sich Kreativität
heutzutage kaufen?
Stewart: Wenn man die Investition mit manch neueren Plattenfirmen
vergleicht, war der Betrag nicht sehr groß. Letztendlich kommt
man um bestimmte Sachen nicht herum. Man braucht Studios um aufzunehmen,
die Künstler, die nicht in London wohnen, brauchen eine Bleibe,
eine Internetseite wurde erstellt, wir haben den „Marquee
Club“ mit einer neuen Licht- und Tonanlage ausgestattet. Das
Gute daran ist, dass man tatsächliche Gegenwerte hat und wir
genau wissen, wo wir investiert haben, nämlich in Studios,
Künstler, Alben und Filmproduktionen. Michael Philipp von der
„Deutschen Bank“ und ich haben je drei Millionen Dollar
investiert. Michael hat sich so reingehängt, dass er letztendlich
seinen Job als Aufsichtsrat an den Nagel hängte. Zusammen haben
wir noch mal sechs Millionen Dollar aufgetrieben.
nmz: Seit kurzem ist auch Chris Blackwell an Bord, der Island
Records gründete und Bob Marley, U2 oder Roxy Music unter Vertrag
nahm.
Stewart: Chris konnte sich sehr gut mit unserer Philosophie
identifizieren. Das kam mir anfangs seltsam vor, denn er nahm mich
unter Vertrag, als ich 19 Jahre alt war. Chris Blackwells neue Firma
„Palm Pictures“ produziert und vertreibt Filme, Musik,
Animationen und visuelle Kunst. AN kann die Kontakte und die Büroräume
von „Palm“ in Notting Hill nutzen. Damit schließt
sich ein Kreis. Und AN hat seine Identität bewahrt, obwohl
wir expandierten.