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nmz-archiv
nmz 2003/02 | Seite 39
52. Jahrgang | Februar
Jazz, Rock, Pop
Kreisel, Strudel und tanzende Derwische
Der Jazzvirtuose am Klavier, Mal Waldron, ist verstorben
Beim Hören seiner Musik konnte man in eine Art Trance geraten.
Kennzeichen seines Klavierstils war nämlich das, was er einmal
als „power of repetition“ bezeichnet hat: Durch die
variierende Wiederholung rhythmisch prägnanter kurzer Motive
konnte Mal Waldron seinen Improvisationen hypnotisierende Wirkungen
entlocken. Visualisiert man Waldrons Spiel, stellen sich oft Bilder
kreisender Bewegungen ein: Man vermeint Strudel, sich bewegende
Ringe auf dem Wasser zu sehen oder tanzende Derwische – eines
seiner Alben heißt sogar „The Whirling Derwish“.
Mal Waldron im Kloster Schlehdorf.
Foto: Sr. Josefa Thusbaß
Mit einem Hang zum Minimalismus setzte er sich deutlich von den
beiden Pianisten ab, die ihn einst geprägt hatten: Von Thelonious
Monk, dessen karge Sperrigkeit bei ihm Spuren hinterlassen hatte,
unterschied ihn die Neigung zum Ostinaten. Und gegenüber Bud
Powell wirkte Mal Waldron, der seine Laufbahn immerhin als Bebop-Pianist
begann, geradezu wie ein Stoiker, insbesondere im Spätwerk.
Es ist kein Zufall, dass sich immer wieder deutsche Autoren intensiv
mit diesem Klaviermagier beschäftigten, lebte er doch jahrzehntelang
in unseren Breiten. Auch deutsche Plattenfirmen verdanken ihm viel:
Platten von Mal Waldron (seit 1967 Wahlmünchener) gehörten
zu den ersten Veröffentlichungen der Münchener Labels
ECM und Enja. Sie entstanden noch zu einer Zeit, als der Prophet
noch etwas in der „Heimat“ galt. Später erschienen
viele seiner Alben beim Münchner Label Tutu. Schließlich
suchten deutsche Bands immer wieder die Zusammenarbeit mit Waldron:
Ob in den 70er-Jahren im boppigen Quintett des Drummers Klaus Weiss
oder jahrzehntelang als Gast der legendären Weltmusikformation
Embryo (dessen Mitglieder sich als seine „Kinder“ sahen),
Mal Waldron war überall wo er spielte ein wichtiger Impulsgeber.
Und das war schon bei Malcolm Earl Waldrons amerikanischen Anfängen
nicht anders. Der am 16. August 1925 geborene New Yorker machte
erst als Jazz-Saxophonist und klassischer Pianist Erfahrungen, bevor
er in den 50er-Jahren als Pianist bei Charles Mingus und dann als
letzter Klavierbegleiter Billie Holidays (1957–1959) auf sich
aufmerksam machte.
Erster Höhepunkt nach Billie Holidays Tod im Jahre 1959 war
wohl die Band mit den frühverstorbenen Innovatoren Eric Dolphy
und Booker Little. Eine Zeit lang begleitete er auch Abbey Lincoln.
Danach trat Mal Waldron meist als Leiter eigener Formationen –
oft im Solo und im Trio – sowie im Duo mit Gleichgesinnten
wie Steve Lacy auf. Doch 1963 erlitt Waldron einen Nervenzusammenbruch,
der einen einjährigen Klinikaufenthalt nötig machte, bei
dem er mit Elektroschocks behandelt wurde. Er hatte völlig
verlernt, Klavier zu spielen und musste es sich neu aneignen.
Als er 1965 nach Europa (zunächst nach Paris, später
nach München) übersiedelte, begann für ihn ein völlig
neues Leben: „Als ich nach Europa kam, war der Druck plötzlich
weg und ich brauchte keine Drogen mehr. Außerdem sprachen
in Europa nun zwei Dinge für mich, die in Amerika gegen mich
waren: ein Schwarzer und ein Jazzmusiker zu sein.“ Am 2. Dezember
2002 erlag er in seiner neuen Wahlheimat Brüssel einem Krebsleiden.