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nmz-archiv
nmz 2003/02 | Seite 22
52. Jahrgang | Februar
Bücher
Erstaunliche Fülle, aufschlussreich reflektiert
Das Opernlexikon im Laaber-Verlag verbindet Werk-, Sach- und
Personenartikel
Lexikon der Oper, hrsg. von Elisabeth Schmierer unter
Mitarbeit des Forschungsinstituts für Musiktheater der Universität
Bayreuth, Laaber-Verlag, Laaber 2002, 2 Bde., je ca. 850 Seiten,
e 358,00, ISBN 3-89007-524-X
Das vom Laaber-Verlag veröffentlichte Lexikon der Oper, das
den Anspruch erhebt, das erste umfassende, deutschsprachige Werk
seiner Art zu sein das wissenschaftliches Niveau mit populärer
Darstellung verbindet und auf eine breite Leserschaft abzielt, in
der Opernliebhaber ebenso zu finden sind wie Musik- und Theaterwissenschaftler,
bietet im Gegensatz zum gängigen Opernführer wesentlich
mehr: neben über 1000 Werkartikeln (Oper, Operette, Musiktheater)
zahlreiche Biografien von Komponisten, Librettisten, Regisseuren,
Bühnenbildnern, Sängern, Theoretikern und Impresarii,
dazu nicht weniger als 300 Sachartikel über opernrelevante
Begriffe sowie etliche auf das Theaterleben bezogene Städteporträts,
illustriert durch 90 Abbildungen.
Praktikables Werk
Fraglos kann man der Herausgeberin und den 77 Autoren attestieren,
dass ihnen ein überaus informatives, dabei verständlich
geschriebenes und aufgrund der konsequent eingehaltenen alphabetischen
Anordnung praktikables Nachschlagewerk gelungen ist, das in den
meisten Fällen den ersten Wissensdrang befriedigen dürfte
und für weitergehende Informationsbedürfnisse auf Sekundärliteratur,
auf Monograpfien, Spezialuntersuchungen und andere Nachschlagewerke
verweist wie etwa auf die ebenfalls in Thurnau entstandene, bei
Piper erschienene Enzyklopädie des Musiktheaters. Unverkennbar
hat dieses Standardwerk bei der Struktur der Werkartikel dem Opernlexikon
Pate gestanden: Repertoireopern sind mit ausführlichen Abhandlungen
bedacht, die neben den technischen Angaben eine Handlungsbeschreibung,
einen Werkkommentar sowie einen rezeptionsgeschichtlichen Abschnitt
enthalten, Raritäten hingegen werden äußerst knapp
beschrieben – im Extremfall müssen zehn Zeilen reichen
–, während die mittlere Kategorie Werke umfasst, die
nach Vorstellungen der Editionsleitung Opern betreffen, die nicht
mehr im Repertoire, aber musikgeschichtlich bedeutsam sind.
Geht man jedoch davon aus, dass das Theaterrepertoire im engeren
Sinne des Begriffes heutzutage nicht mehr als hundert bis hundertzwanzig
Opern umfasst und dass dem interessierten Opernfan vielleicht zwei-
bis zweihundertfünfzig Werke bekannt sind – primär
durch die CD, nicht durch Aufführungen –, so sind etwa
75 Prozent der beschriebenen Opern ausschließlich für
den Fachmann interessant, für den Wissenschaftler, vielleicht
für den Dramaturgen, kaum noch für den Plattenproduzenten
oder den Kritiker.
Angesichts des relativ begrenzten Platzes von etwa 1.700 Seiten
fragt man sich, warum beispielsweise eine Oper wie „Giulio
Sabino“ von Giuseppe Sarti mit zweieinhalb Spalten bedacht
wurde, obwohl sie bislang auf keiner CD erschienen ist und ihre
Rezeptionsgeschichte offensichtlich vor zwei Jahrhunderten abbrach,
während andererseits „Manon Lescaut“ sich mit der
Hälfte begnügen muss, obwohl sie auf zwei Dutzend CDs
verewigt, auf der Bühne nach wie vor präsent ist und Puccinis
künstlerischen Durchbruch repräsentiert? Andererseits
sind Raritäten wie „Il Guarany“ von Antonio Carlos
Gomes und „L’amore dei tre re“ ausgespart, obwohl
sie diskografisch gut dokumentiert sind und letztere unlängst
sogar ein Comeback feierte (Bregenz, Zürich, München).
Nicht einmal ihr Schöpfer, Italo Montemezzi, wird aufgeführt.
Arbitrares Moment
Bei allem erkennbaren Bemühen um Objektivität enthält
auch diese Auswahl zwangsläufig ein arbiträres Moment,
und wenn nicht alles täuscht, liegt hier ein gewisser Akzent
auf den italienischen Opern des 18. Jahrhunderts, der französischen
des 19. Jahrhunderts sowie auf dem zeitgenössischem Musiktheater.
Was die Komponistenartikel betrifft, so bringen sie in der erforderlichen
Kürze die wichtigsten biographischen Informationen, oft die
musikgeschichtliche Stellung und eine ästhetische Einschätzung
sowie ein Verzeichnis der wichtigsten Opern, in etlichen Fällen
sogar des kompletten dramatischen Œuvres. Gelegentlich lässt
das eine oder andere Porträt ein wenig zu wünschen übrig;
während etwa der Rossini-Artikel vorbildlich gelungen ist,
lässt sich dasselbe vom Verdi-Porträt nicht behaupten,
das offenbar von einem anonymen Redaktionskollektiv verfasst wurde:
Dass er der berühmteste Opernkomponist neben Wagner und Meyerbeer
war, muss nicht gleich dreimal erwähnt werden und die Literaturangaben
erscheinen angesichts der Popularität Verdis etwas spärlich.
Beim Thema „Regisseure“ macht sich der Zwang zu rigoroser
Auswahl recht deutlich bemerkbar: Namen wie Luca Ronconi, Franco
Zeffirelli und Giorgio Strehler glänzen ebenso durch Abwesenheit
wie David Alden, David Pountney und Martin Duncan; bei Jean-Pierre
Ponnelle wird zuviel Gewicht auf seinen Stuttgarter „Ring“
gelegt, seine vielbeachteten Mozart- und Monteverdi-Zyklen hingegen
werden nicht erwähnt. Ganz offenkundig liegt hier der Akzent
auf den deutschen Regisseuren, insbesondere auf den Vertretern des
modernen Regietheaters wie Achim Freyer, Hans Neuenfels, Herbert
Wernicke, Peter Mussbach oder Peter Konwitschny.
In den zum Teil recht ausführlichen Porträts werden
nicht nur die Stationen ihrer Karriere aufgeführt, sondern,
was überaus aufschlussreich ist, auch die ästhetischen
Positionen reflektiert, zum Teil durch Kritiken aus Fachzeitschriften
ergänzt – eine Novität, die begrüßenswert
ist. Eine erstaunliche Fülle von Sängern der Gegenwart
wie der Vergangenheit wird zwar mit ihren wichtigsten Rollen und
Theaterauftritten berücksichtigt, leider jedoch kein einziger
Dirigent, was bedauerlich ist.
Fazit: ein interessantes, hinsichtlich seiner Vielseitigkeit und
Zuverlässigkeit im großen und ganzen überzeugendes
Lexikon, das wahrscheinlich seine Defizite nicht hätte, wäre
man bei den Werkartikeln weniger Spezialinteressen gefolgt oder
wäre man von vornherein von einer dreibändigen Konzeption
ausgegangen; sollten 360 Euro tatsächlich einen entscheidenden
Schwellenwert im Kaufverhalten bedeuten?