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nmz-archiv
nmz 2003/02 | Seite 20
52. Jahrgang | Februar
Rezensionen
Otello im Nowhere-Land
Berlins Beitrag zum Verdi-Jahr im Digital-Format
Verdi: Otello; Christian Franz (Otello), Emilly Magee
(Desdemona), Valeri Alexejev (Jago), Stephan Rügamer (Cassio)
und andere, Chor der Deutschen Staatsoper Berlin, Staatskapelle
Berlin, Daniel Barenboim; Inszenierung: Jürgen Flimm, Bühne:
George Tsypin, Kostüme: Doey Lüthi; Bildregie: Alexandre
Tarta (2001, live)
Arthaus/Naxos DVD 100 346 (157‘)
Nach und nach erscheinen die Opern-Produktionen des Verdi-Jahres
2001 im Digital-Format: nach Falstaff-Produktionen aus Mailand und
Aix-en-Provence und dem Züricher „Macbeth“ nun
„Otello“ aus Berlin. Und man kann sich nur wundern,
dass ein bedeutendes Haus wie die Staatsoper unter den Linden so
wenig Grundlegendes beizutragen hatte: Regisseur Jürgen Flimm
und sein Bühnenbildner George Tsypin verlagern das Geschehen
auf ein Schiff. Ein schlüssiger Ansatz, denn natürlich
ist das Protagonisten-Trio in Verdis „Otello“ aufeinander
geworfen, ohne Chance auf Flucht. Dabei rücken die emotionalen
Facetten der Oper für den Zuseher in weite Ferne – weil
einen die durchgestylte Bühne mit jeder Menge Glas, Treppen
und Podesten ziemlich kalt lässt und sicher auch wegen Flimms
Personenführung: Sie pendelt zwischen passiver Rampenästhetik
und einem ständigen Hin und Her, bei dem mir bis zuletzt nicht
ganz klar wurde, worin die Verbindung zum Stück besteht –
ein Luxusdampfer ins Nirgendwo.
Leider kann Daniel Barenboim das Ruder nur selten an sich reißen.
Immer dann nämlich, wenn mit wenigen Takten eine Atmosphäre
gezeichnet wird wie vor dem Liebesduett oder im Vorspiel zum 3.
Akt. Nur: Dass man allein mit klanglicher Finesse und Kultiviertheit
auch den Untiefen der Partitur gerecht wird, dürften all jene
bezweifeln, die noch die brennenden Versionen von Toscanini, Serafin
und Busch im Ohr haben.
Der Otello von Christian Franz ist eine seltsame Mischung aus
kräftigen, manchmal gestemmten Tönen und zarten Lyrismen
– oft glaubt man, zwei verschiedene Stimmen zu hören.
Emily Magee als Desdemona ist eher das unschuldige Opfer als die
starke, emanzipierte Frau und für mein Gefühl sehr leicht
besetzt.
Enttäuschte Verdi-Fans sollten zumindest Valeri Alexejev eine
Chance geben, der den Jago optisch und akustisch als kultivierten
Schreibtisch-Täter gibt.