[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2003/05 | Seite 35
52. Jahrgang | Mai
Oper & Konzert
Rückblick auf Brahms und sich selbst
Wolfgang Rihms „Vier Studien zu einem Klarinettenquintett“ bei
den Römerbad-Musiktagen
Die Römerbad-Musiktage in Badenweiler
blicken in diesem Jahr auf drei Jahrzehnte seit ihrer Gründung
zurück. Dem Hotelier
Klaus Lauer ist es in dieser Zeit gelungen, sein elegantes Haus
zu einem kleinen, aber feinen Treffpunkt für die Freunde neuer
und unbekannter Musik werden zu lassen. Viele Komponisten zählen
zu den Freunden des Hauses, kehren gern und oft zu den Musiktagen
zurück, die in der Regel zweimal im Jahr, in besonderen Fällen
auch schon einmal mehr, stattfinden. Einer der beständigsten
Freunde ist der Komponist Wolfgang Rihm, der nicht nur die musikalischen
Angebote des renommierten Hotels zu schätzen weiß. Rihm
liebt die umgebende Landschaft, die Ruhe und Geschichtlichkeit,
die sie ausstrahlt. Manches ist hier schon von ihm komponiert worden:
der Ort zwingt – besser: verführt einen geradezu zur
Konzentration. Aus der Ruhe kommt, wie man gern sagt, die Kraft.
Jetzt wurde ein neues Werk von Rihm bei den Musiktagen im Mai (im
Herbst folgt der eigentliche Jubiläums-Zyklus) uraufgeführt: „Vier
Studien zu einem Klarinettenquintett“, geschrieben für
den Klarinettisten Jörg Widmann und das Minguet-Quartett.
Foto: Charlotte Oswald
Die Bezeichnung „Studien“ darf einen nicht täuschen:
Die Spieldauer für die in C notierte Partitur beläuft
sich auf 35 Minuten, das Werk selbst hinterlässt mit seinen
vier Sätzen – Moderato sostenuto/Molto vivace/Andante
con moto/ Calmo, sostenuto – einen ausgewogenen, geschlossenen
und konzentrierten Gesamteindruck. Im ersten Satz verbindet sich
ein feines, plastisch geführtes Melos mit einer beweglichen
motivischen Struktur, in die sich die Klarinettenstimme mit sanftem
Nachdruck als Primus inter Pares einfügt. Energischer, fast
stürmisch eilt der zweite Satz dahin, unterbrochen von Momenten
abrupten Anhaltens, so als müsste die entfesselte Emotion
erst wieder Atem schöpfen – der Satz erinnert am stärksten
an den Sturm-und-Drang-Komponisten Rihm. Der dritte Satz im Dreiviertel-Takt
nimmt sich sehr schön sehr viel Zeit, um einen elegischen
Grundton in mild fließende Bewegung zu versetzen. Im Schlusssatz
demonstriert Rihm seine hohe Kunst dicht strukturierten Komponierens,
das Expressive wird dramatisch gesteigert, mündet schließ-lich
in die ruhige Beschwörung mit Brahms-Zitat. Brahms scheint überhaupt
mehrfach in diesem Werk auf. Rihms Rückblick wirkt aber weniger
sentimental oder gar melancholisch, vielmehr als eine Art persönlichster
Vergewisserung über eine musikalische Sprache, die das Humanum
in der Musik nicht aus den Augen verlieren will.
Der scheinbare Rückgriff ist in Wirklichkeit eine Überwölbung,
die die Musik von heute in das Kontinuum unserer Musikgeschichte
einbindet. Von dieser Verbindung gehen in dem Klarinettenquintett
sehr starke und überzeugende Wirkungen aus. Die „Studien“ sind
ein großes Stück Musik geworden. Grandios war auch die
Erstwiedergabe durch das Minguet- Quar-tett und den überragenden
Jörg Widmann. Die Ausdruckselemente des Werkes wurden in jedem
Takt ideal getroffen. Unser Bild entstand bei den Proben in Badenweiler:
das Minguet-Quartett mit Jörg Widmann in der Mitte.