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nmz-archiv
nmz 2003/05 | Seite 37
52. Jahrgang | Mai
Oper & Konzert
Neue Formen für alte Einsichten
Spannendes Musiktheater beim dramaturgisch neu gestylten Kurt
Weill Fest in Dessau
Kein Ton ohne klingende Münze – Dirigenten und Sänger,
Bühnentechniker und Hausmeister müssen bezahlt sein,
bevor die erste Note einer Partitur hörbare Gestalt annehmen
kann. Dass Musik und Geld durchaus ein Verhältnis miteinander
haben, die holde Kunst niemals ohne den schnöden Mammon sein
konnte und das Fressen vor der Moral kommt, ist gerade in den heutigen
finanzknappen Zeiten unumstrittene und ein wenig banale Einsicht.
Als programmatischer roter Faden für das Kurt Weill Fest
Dessau jedoch erwies sie sich als bestens geeignet. Unter dem Motto „Noten
und Münzen“ präsentierte der neue künstlerische
Leiter Clemens Birnbaum, der nach zehn Jahren den verdienstvollen
Andreas Altenhof ablöste, seine persönliche Handschrift
mit stringentem dramaturgischem Styling. Die gut 25 Veranstaltungen
waren nun bestens miteinander abgestimmt: von der in den Mittelpunkt
gestellten, zum 75. Geburtstag gefeierten „Dreigroschenoper“ mit
ihrem nicht minder brisanten historischen Vorbild, der „Beggar’s
Opera“, über die Dinnershow „Money makes the world
go around“ bis hin zur „Harmoniemusik“ aus der „verkauften
Braut“ oder Beethovens „Wut über den verlorenen
Groschen“ – das alles eher verspielt anregend als tiefschürfend
Zusammenhänge aufzeigend. Konzentrierte man sich diesmal auf
den „deutschen Weill“, die in mehrfacher Hinsicht revolutionären
frühen Werke bis zur Emigration 1933, so kamen doch weniger
ihre sozialkritischen Inhalte und politischen Ambitionen innerhalb
der Umbrüche der 20er-Jahre zur Sprache als ihre ästhetischen
Neuerungen. So wurde auch der „Dreigroschenoper“ letztlich
der an den „Verhältnissen“ nagende Zahn gezogen – mit
einer Inszenierung, die ihrerseits subtile Aktualität hervorlockte.
Für die Regie und gleich auch noch Bühne und Puppenentwürfe
sowie das Casting der Sänger und Puppenspieler stand der Pantomime
Milan Sladek ein, schuf damit ebenso eine seltene Stimmigkeit wie
sich wechselseitig durchdringende, sich brechende Verfremdungsebenen.
Mackie Messer, die Seeräuber-Jenny oder Polizeichef Tiger
Brown werden als etwa kindergroße Marionetten von je drei
Spielern nach Art des altjapanischen Bunraki-Theaters an Kopf,
Händen und Füßen geführt. Die schwarze Kleidung
(Kostüme: Ján Kocman) der Puppenführer verschmilzt
mit dem Bühnenhintergrund und lässt die weiß leuchtenden,
karikaturistisch gestalteten Figuren umso deutlicher hervortreten.
Auf einer dritten Ebene hoch über dem Bühnengeschehen
thronend leiht ein Schauspielerteam den Puppen seine Sprech- und
Gesangsstimmen, eine Klangfolie von farbenreicher Plastizität.
Die Präzision, mit der sich hier Sprachmelodie in differenzierte,
schlagkräftige Gesten umsetzt, ist atemberaubend, der bizarre
Realismus der Beziehungsgefechte des Ehepaars Peachum, der traurigen
Huren mit den schaukelnden Riesenbrüsten im „Zuhälter-Tango“ bisweilen
zwerchfellerschütternd. Ein doppelter, poetisch-ironischer
Boden ist dem Werk so eingezogen, treibt ihm den moralischen Zeigefinger
endgültig aus und zeigt es als getreues Abbild unserer Gegenwart,
in der man sich über die Raffinesse und Unangreifbarkeit ganz
legaler Schurkereien am besten zu Tode amüsiert. Einen wie
ausrasierten Klang peitscht Golo Berg aus der Anhaltischen Philharmonie
heraus, gibt der Musik damit ebenso die dem unterhaltsamen Bild
fehlende engagierte Schärfe, wie er die Aufmerksamkeit auf
Parodieelemente „großer Oper“ lenkt – mit
dem Höhepunkt eines Finales voller „Fidelio“-Anklänge,
zu denen der „reitende Bote“ auf einem winzigen Pferdchen
vom Bühnenhimmel schwebt.
Sladek, der in Köln das einzige fest ansässige Pantomimentheater
Westeuropas betreibt und unlängst bei den Schwetzinger Festspielen
mit einer Mozart-Inszenierung Furore machte, war als erster „Artist
in Residence“ des Weill-Festes nach Dessau eingeladen worden.
Eine glückliche Wahl, denn Pantomime war das Element, mit
dem der junge Weill der Krise des traditionellen Musiktheaters
zu begegnen versuchte: Die Unglaubwürdigkeit des singenden
Menschen auf der Bühne sei spätestens mit dem Desaster
des ersten Weltkriegs offenbar geworden, Oper nur noch als irreales,
surreales Geschehen denkbar und ihr erzählerischer Verlauf
ganz der Musik anvertraut, führte Michael Heinemann im musikwissenschaftlichen
Seminar „Das Musiktheater der Zwanziger Jahre“ aus.
Mit Untersuchungen zur Gebrauchsmusik, Weills populärem Songstil
oder über die „Wa(h)re Liebe“ in der Zeitoper
kreisten hier Doktoranden der Dresdner Hochschule für Musik
die vielfältige, beileibe nicht mit Schlagworten wie „Expressionismus“ oder „Neue
Sachlichkeit auszuschöpfende Formensprache des jungen Weill
ein.