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nmz-archiv
nmz 2003/05 | Seite 29
52. Jahrgang | Mai
Deutscher
Tonkünstler Verband
Bilde, Künstler, rede nicht
Zum 80. Geburtstag von Wolfgang Köhler
Goethes Fundamentalforderung an alle Kreativen ist das unverrückbare
Motto des nunmehr 80-jährigen Komponisten Wolfgang Köhler.
Er lebt im unscheinbaren Zierenberg bei Kassel — aber in
der Mitte Deutschlands. Ost und West sind gleichermaßen künstlerisches
Zuhause, seine Werke leben in den Vereinigten Staaten wie in Japan.
Systemeinbindungen sind ihm ein Gräuel. Jedes Werk, jede thematische
Arbeit und rhythmische Herausforderung steht in der Disziplin neuen
Durchdenkens, abseits von Schulen oder gar Ideologiefronten. Maßgebend
ist die ständige Bereitschaft zum Neugestalten, nichts an
der Materie Musik hat endgültige oder gar abschließende
Konturen.
Wie kann mit der Primzahl 7 umgegangen werden, 4+3
oder 3+4 in wechselnder Betonung vielleicht? Lange zieht sich durch Köhlers
Werk diese Auseinandersetzung, Verzeihung: Progression, aber bei ihm bricht
die größtmögliche
Vielfalt durch: 7/4-Takt als 2+5, 3+2+2, 2+2+3, 1+2+4, 2+4+1. Wen wundert es,
dass Wolfgang Fortner einmal selbst zum Taktstock greifen musste, um Köhlers
scharfziselierte Klangwelt voller Überraschungen und Phantastik zu vermitteln?
Ä
hnliches wäre über seinen Umgang mit der Dodekaphonie zu notieren,
die er im ,,Ökumenischen Vaterunser“ zur Siebenstimmigkeit führt
und dem Chor anvertraut. ,,Innovation an allen Fronten“ könnte als
Motto des imponierenden kompositorischen Werkes genannt werden. Aber: Köhler
geht eigene, grü-blerische Wege, nicht um einem zwanghaften Kult des Neumachens
zu huldigen. Alles vermeintlich Selbstständige, jede musikhistorisch bequeme
Es-ist-erreicht-Situation muss neu angedacht werden. Wundert es da, dass der
Komponist viele kratzige Äußerungen hinnehmen mußte, wobei
die Qualifikation als ,,unspielbares“ Werk noch harmlos und kein Neuereignis
der Musikgeschichte ist.
Dass ein Angehöriger des Jahrgangs 1923 bei derartigen künstlerischen
Merkmalen in das Störfeuer des totalitären Staates kommen musste,
war nur logisch. Schon die erste Symphonie des 16-jährigen Köhler
brachte eine verheerende Beurteilung durch die damalige Reichsmusikkammer.
Die ,,Bühnenmusik zu Shakespeares Julius Cäsar“ hatte gar Berufsverbot
zur Folge. Nicht genug, sofort nach dem Abitur wurde der aus gesundheitlichen
Gründen ,,bedingt Taugliche“ zum Militär geholt.
Aus der Kriegsgefangenschaft heimgekehrt, stand Köhler in Kassel vor dem
Nichts. Die Wohnung war von der Besatzungsmacht besch1agnahmt, sämtliche
Kompositionen (darunter zwei Opern, ein Oratorium, symphonische und viele kammermusikalische
Werke) verloren. Trotzdem folgte das Musikstudium, aber auch die Arbeit auf
dem Güterbahnhof. Und es wuchs das kompositorische Schaffen. Die Kranichsteiner
Musiktage und Kassels Musikszene nahmen Köhlers Werke auf. 1951 rief das
Göttinger Konservatorium.
Groß war bald die Rezeption im Ausland: Luxemburg, das schweizerische
Beromünster, die USA, Großbritannien wurden Heimstätten von
Werken des ,,scheinbar Stillen“ (Helmuth Hopf). In der Heimat winkten
schließlich (und endlich) Auftragswerke: ,,Mahler-Reflexionen“ op.
67 in Kassel, die ,,Jerusalem-Fantasie“ op. 23 als Festmusik für
die 3000-jährige hochgebaute Stadt. Und immer blieb der Jubilar der eigenen
Kreativität treu: Selbständigkeit durch alle Gattungen, sorgfältige
motivische Kalkulation, Reihentechnik und Zahlensymbolik, Ablauschen der Charakteristika
aller Instrumente. Ach ja: Wolfgang Köhler war zeitlebens auch gewissenhafter
Organist.