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nmz-archiv
nmz 2003/05 | Seite 5-6
52. Jahrgang | Mai
Feature
Erfolgsstory im Paragrafendschungel
Fünfundsiebzig Jahre „Dreigroschengesellschaft“ · Von
Ulrich Fischer
Am 26. April 1928 sind zwei junge Männer, klein, aber sie
sollten groß werden, auf dem Weg zu einer geschäftlichen
Verabredung in einem Büro am Nickolsburger Platz in Berlin-Wilmersdorf.
Kurz bevor sie das Gebäude betreten, könnte folgender
Dialog zu hören gewesen sein, da die Lautstärke ihrer
vorherigen Unterhaltung deutlich überschritten wurde. „Der
Aufricht will doch Ihre Musik gar nicht, der will doch eher Mackeben
oder die alte Musik. Mehr als 25 Prozent sind nicht drin.“ – „Das
darf doch wohl nicht wahr sein, wir reden über eine Oper,
meine Musik wird neu, sie wird gut, mindestens 50 Prozent.“ – „Also überlegen
Sie es sich, entweder 25 Prozent oder nichts. Dann können
Sie gleich umkehren.“
Uraufführung der Dreigroschenoper
im Theater am Schiffbauerdamm (1928) mit (v.l.n.r.) Rosa
Valetti, Harald Paulsen und Roma Bahn. Foto: akg-images
Wir wissen wie sich der jüngere
der beiden entschieden hat.
Beide betreten das Büro des
Theaterverlages Felix-Bloch-Erben (FBE), wo sie von dessen Inhaber Fritz Wreede
empfangen werden. Ein Formularvertrag ist bereits vorbereitet, aber Wreede
weiß, so ganz einfach liegt die Chose hier nicht. Die zwei vor ihm haben
nämlich noch wenig zu bieten: Der eine behauptet er wolle die Beggar´s
Opera neu einrichten, der andere er wolle dazu neue Musik schreiben. Und: Ernst
Josef Aufricht will das Stück in seinem Theater am Schiffbauerdamm aufführen.
Das allerdings trifft zu und Aufricht hatte die Herren Weill und Brecht aufgefordert,
sich an Wreede zu wenden. Auch andere Personen hätten Grund gehabt, den
Termin wahrzunehmen: Elisabeth Hauptmann hielt sich „vornehm“ zurück,
obwohl sie doch bislang fast ausschließlich an der deutschen Übersetzung
und Bearbeitung von John Gay aus dem Jahre 1728 gesessen hatte, aber sie wollte
es natürlich nicht mit Brecht verderben. Ein großer Musikverlag
hätte dringend dabei sein müssen. Denn seit 1924 war Kurt Weill an
die Universal Edition A.G. in Wien vertraglich exklusiv gebunden. Doch sie
wollte (noch) nicht in die Verantwortung, denn noch konnte niemand vorhersagen,
ob und was aus dem Projekt würde. Also schickte man Kurt Weill vor, der
ermächtigt war, auch für die Universal Edition mit zu verhandeln.
Aus Mangel an Erfahrung
Den beiden noch recht unerfahrenen Autoren wird es nicht aufgefallen
sein, auf welch merkwürdige Konstruktion sie sich da einließen:
einen Gesellschaftsvertrag, mit dem „die Herren Bert Brecht
und Kurt Weill und die Firma FBE (sich) zur gemeinsamen Verwertung
des geistigen Eigentums an dem von den Herren Bert Brecht und
Kurt Weill bearbeiteten beziehungsweise vertonten Werk ‚The
Beggar’s Opera’ vereinigen“. Die Gesellschafter
Brecht und Weill versicherten, ihnen stünden ausschließlich
alle Rechte zu. FBE wurde zum geschäftsführenden Gesellschafter
bestellt, die Firma sollte während der Dauer des Vertrages
allein und ausschließlich zur Ausübung der in die
Gesellschaft eingebrachten Rechte ohne jede Einschränkung
befugt sein. Die Laufzeit des Vertrages wurde „auf die
Dauer des gesetzlichen Schutzrechtes“ festgesetzt. Die
Autoren waren nicht befugt, bei der Geltendmachung der sich aus
dem Gesellschaftsvertrag für die Firma FBE ergebenden Rechte „zu
intervenieren“. „Die Bühnen-Tantiemen des Werkes
werden zwischen Herrn Bert Brecht, Herrn Kurt Weill und Frau
Elisabeth Hauptmann, die an dem Buch mitarbeitet, wie folgt verteilt:
Herr Bert Brecht erhält 62,5 Prozent, Herr Kurt Weill erhält
25 Prozent, Frau Elisabeth Hauptmann erhält 12,5 Prozent“,
hieß es in der ökonomisch wichtigsten Passage. Damals
war es nicht ganz unüblich, mit unerfahrenen Künstlern
Gesellschaftsverträge zur Werkverwertung abzuschließen,
denn diese, so die Vorstellung der Bühnenverlage, befähigten
sie, die Autoren von der Verwertung und allen, sich damit stellenden
Fragen auszuschalten.
Neben den bisherigen Autoren traten nun weitere auf den Plan:
Brecht nahm Balladen von Villon und Kipling, letztere von Elisabeth
Hauptmann übersetzt,
hinein. Niemand machte sich Gedanken darüber, wer die Villon-Balladen übersetzt
habe. An den Proben nahmen illustre Gäste teil. Es war zum
Beispiel Karl Krauss, der das Eifersuchtsduett um eine weitere
Strophe bereicherte, weil er der Meinung war, das Publikum werde
mit Sicherheit mehr verlangen. Brecht nahm dieses Autorengeschenk
gerne an. Kurz vor der Uraufführung am 31. August 1928 war
ein endgültiger Titel noch nicht gefunden. Lion Feuchtwanger
schlug den Titel „Dreigroschenoper“ vor, auf sein Urheberrecht
verzichtete er. Bei einem der Erfolgsstücke, der „Seeräuber-Jenny“,
besteht Anlass nachzufragen, ob nicht ein weiterer Autor beteiligt
war. Brecht hatte sein Gedicht schon im Jahr zuvor mit seinem damaligen „Hauskomponisten“,
dem damals 24-jährigen Franz S. Bruinier, der in der Berliner
Funkstunde den Pianisten der Frühgymnastik gab, wie übrigens
auch Theo Mackeben, vertont. Im Jahr 2003 ist eine Aufnahme dieser
Komposition mit Carola Neher aus dem Jahre 1927 an das Licht der Öffentlichkeit
gelangt. Ausgegraben wurde sie von Peter Eckhart, der gerade bei
dem Berliner Label Duo-phon die höchst kurzweilige „Entstehungsgeschichte
der Dreigroschenoper“ als Hörbuch herausgebracht hat.
Auch der oberflächliche Hörer wird dabei bemerken, dass
Kurt Weill die Vorlage nicht nur platt aufgegriffen, sondern geradezu
genial ins Unsterbliche gedreht hat. Unverkennbar ist jedoch der
Grundduktus insbesondere des Refrains, der das Weill’sche
Lied prägt, auch die Brecht/Bruinier’sche „Seeräuber-Jenny“.
Urheberrechtlich hat das damals sicher niemand gekümmert,
weil Franz Bruinier exakt einen Monat vor der Uraufführung
der Dreigroschenoper starb. Seine Erben hätten allerdings
darauf verweisen können, dass es sich hier keineswegs um eine
freie Bearbeitung im Sinne des § 24 UrhG handelte, denn nach
Absatz 2 dieser Vorschrift ist es urheberechtlich untersagt, dass „eine
Melodie erkennbar dem Werk entnommen und einem neuen Werk zugrunde
gelegt wird“. Eine mögliche Bearbeitung oder Umgestaltung
nach § 23 UrhG ist möglich, eine solche stellt urheberrechtlich
eine eigenständige schöpferische Leistung dar, bedarf
allerdings der Einwilligung des ursprünglichen Urhebers. Doch
da jetzt die gesetzliche Schutzfrist von 70 Jahren „post
mortem auctoris“ abgelaufen ist, ist die Frage müßig,
ob noch jemand sich hätte einen Groschen verdienen können.
Als das Stück dann zur triumphalen Aufführung kam, war
für das Publikum offensichtlich, dass es sich hier nicht um
eine absolute Neuschöpfung handelte. Zu diesem Zeitpunkt unbekannt
war jedoch, dass die Texte von Francois Villon keineswegs Bearbeitungen
durch Brecht waren, sondern im wesentlichen Übernahmen der Übersetzungen
des k.u.k.-Kavallerie-Offiziers Klaus Klammer, die dieser 1907
unter dem Pseudonym K. L. Ammer veröffentlich hatte. Alfred
Kerr enthüllte, dass Brecht abgekupfert hatte. Dies führte
zu dem geflügelten Wort Brechts, dass er eine grundsätzliche
Laxheit in Fragen geistigen Eigentums habe. Nach Bekanntwerden
des „Skandals“ nahm Wreede mit Klammer Verhandlungen
auf, der die Offerte akzeptierte, aus den Bühnenaufführungen
des Werkes in deutscher Sprache einen Anteil von 2,5 Prozent zu
beziehen. Diese und die Tantiemen aus den daraufhin neu veröffentlichten
Villon-Übersetzungen ermöglichten es Klammer, einem „Rechtsaußen“ der österreichischen
Literatur, der Brecht als „Mords-Bolschewist“ bezeichnete,
einen Weinberg zu erwerben, auf dem er einen „Dreigroschentropfen“ kultivierte.
Die 2,5 Prozent wurden dem Brecht’schen Anteil abgezogen.
Mangelnde Professionalität
Hatten die beiden Protagonisten schon zu Beginn und während
der Nazi-Zeit versucht, sich aus den vertraglichen Beziehungen
zu FBE zu lösen, weil Aufführungen im deutschsprachigen
Raum so gut wie unmöglich wurden und auch im Ausland kaum
noch „Nachfrage“ bestand, wurden diese Bemühungen
nach Kriegsende deutlich verstärkt. Allerdings fällt
auch auf, dass sowohl Brecht als auch Weill mehr als unprofessionell,
völlig amateurhaft, vorgingen und es nicht schafften, sich
kompetente Rechtsberatung zu sichern. Dabei war die Ausgangslage
wie folgt: Unabhängig davon, dass Brecht und Weill Deutschland
verlassen hatten, unabhängig davon, dass Weill die amerikanische
Staatsbürgerschaft angenommen hatte und Brecht ausgebürgert
worden war, unterfielen alle rechtlichen, auch urheberrechtlichen
Zusammenhänge weiterhin deutschem Recht (§ 120 UrhG).
Die entscheidende Frage war also: Bestand eine Möglichkeit,
den Gesellschaftsvertrag mit FBE zu kündigen. § 723,
Abs. 1 BGB sieht vor, die Gesellschaft jederzeit durch Kündigung
zu beenden, wenn sie nicht für eine bestimmte Zeitdauer eingegangen
ist. Außerdem ist eine Kündigung aus wichtigem Grunde
bei wesentlicher Vertragsverletzung und bei Unmöglichkeit
einer Verpflichtungserfüllung vorgesehen. Nach § 723,
Abs. 3 BGB ist eine Vereinbarung, durch welche das Kündigungsrecht
ausgeschlossen oder beschränkt wird, nichtig. § 724 BGB
legt fest, dass bei einem auf die Lebenszeit eines Gesellschafters
abgeschlossenen Vertrag eine Kündigung wie im Falle einer
für unbestimmte Zeit eingegangenen Gesellschaft möglich
ist. Wie oben dargestellt, war die Gesellschaft für die Dauer
der Schutzfristen abgeschlossen, das heißt, nach altem Recht
30 Jahre, nach neuem Recht 70 Jahre nach dem Tode des Urhebers
(§ 64 UrhG). Alle Beteiligten gingen offenbar davon aus, dass
diese Regelung wirksam sei. Diese Auffassung war aber rechtsfehlerhaft,
sie ist es auch weiterhin, denn der Sinn des § 724 BGB greift
immer ein, wenn die Lebenszeit eines Gesellschafters als Fest-
oder Mindestdauer der Gesellschaft vereinbart ist1. Da die Schutzfrist
erst weit nach dem Tode eines Urhebers ausläuft, war somit
auf jeden Fall die Mindestlaufzeit die gesamte Lebensdauer eines
der Urheber. Da die Lebenszeit eines Urhebers nicht das Ende des
Gesellschaftsvertrages darstellen sollte, sondern sich daran noch
eine weitere Frist knüpfen sollte, die man als „rechtliche
Lebenszeit“ bezeichnen könnte, kann kein Zweifel daran
bestehen, dass zusätzlich auch noch eine, nach den gesellschaftsrechtlichen
Bestimmungen unzulässige, „überlange Gesellschaftsdauer“ vereinbart
war. Zwar wird in Rechtsprechung und Literatur angenommen, dass § 723
BGB und die daraus folgende jederzeitige Kündigungsmöglichkeit
einer Gesellschaft nur dann anzunehmen ist, wenn sich kein abweichender
Parteiwille ergibt. Weder aus dem Wortlaut des Gesellschaftsvertrages,
noch aus den Umständen, noch aus den jeweiligen Interessen,
ergibt sich ein Wille der Parteien des Gesellschaftsvertrages dafür,
eine jederzeitige Kündigungsmöglichkeit nach § 723
BGB auszuschließen. Es ist auch nicht das Wesen eines Bühnenvertriebsvertrages,
auf Dauer und unkündbar abgeschlossen zu sein. Es wäre
möglich gewesen, sich über die Dauer der Kündigungsfrist
zu unterhalten, eine Kündigung zur Unzeit (§ 723, Abs.
2, Satz 2 BGB) wäre sicherlich ausgeschlossen gewesen.
Lage verkannt
Mit anderen Worten, in völliger Verkennung der Rechtslage,
entweder nicht oder falsch beraten, gingen Brecht und Weill davon
aus, sie seien während der Nazi-Herrschaft und danach weiterhin „Gefangene“ des
Vertrages mit FBE. Eine einzige, kurze Willenserklärung nur
eines Gesellschafters hätte das Gesellschaftsverhältnis
insgesamt beendet. Es war dem Verfasser nicht möglich, zu
ermitteln, warum sich die Protagonisten in einem solch massiven
Rechtsirrtum befunden haben. Die anwaltliche Korrespondenz schleppte
sich hin, Brecht wurde zusehends unzufriedener, er wollte endlich
von FBE loskommen. Er hatte nämlich schon am 7. Februar 1949
mit Peter Suhrkamp einen Vertrag abgeschlossen, wonach er sämtliche
Rechte an den Suhrkamp-Verlag vergab. Brecht stand also unter erheblichem
Druck, er musste, um vertragstreu zu sein, die Dreigroschenoper
von FBE loseisen. Brecht deutete Weill gegenüber lediglich
an, dass bei einer Auflösung des Vertrages mit FBE der Suhrkamp-Verlag
bereit stehe. Ende Juni muss es erneut in Wilmersdorf zu einer
erregten Szene gekommen sein, als Brecht und Ruth Berlau die Witwe
Wreedes im Büro von FBE aufsuchten und „aufräumkommen
sein, als Brecht und Ruth Berlau die Witwe Wreedes im Büro
von FBE aufsuchten und „aufräum-ten“.
Zwar hatte FBE schon Ende 1948 Brecht angeboten, man wolle den
Bühnenvertrieb der Dreigroschenoper weiterführen, verzichte
auf eigene Ansprüche, wolle also den Vertrag auf eine neue
Basis stellen. Da Brecht jedoch an Suhrkamp gebunden war, kam das
jetzt für ihn nicht mehr in Betracht. Brecht behauptete in
aggressiver und verletzender Weise, bei FBE habe es sich um einen
Nazi-Verlag gehandelt, Nazi-Schergen hätten ihm seine Tantieme
vorenthalten, Prokurist Spitzner sei ein Nazi, dass er immer noch
im Verlag sei, sei ein Skandal. Frau Wreede, die möglicherweise
zwischenzeitlich auch rechtlich sachkundig darüber war, dass
der Vertrag so und so jederzeit gekündigt werden konnte, was
Brecht immer noch nicht wusste, wollte sich so ein Verhalten nicht
bieten lassen und empfand es als absolute Unverschämtheit,
wie sie von Brecht und Berlau behandelt wurde. Sie warf Brecht
den Vertrag buchstäblich vor die Füße und rief: „Da
ist die Tür, junger Mann!“ Brecht meinte, eine grandiose
taktische Meisterleistung begangen zu haben und jubelte: „Ich
habe jetzt endlich das Vertragsverhältnis bezüglich der
Dreigroschenoper mit FBE gelöst. Es ist dort immer noch dieser
Herr Spitzner in Prokura, der den Vertrag unter Wreede mit uns
abschloss, dann den Nazis die Tantiemen in Skandinavien einzog
und so weiter. Ich bin also froh, dass ich das Pack los bin“.
Mit keinem Wort erwähnt er, welcher Methoden er sich bedient
hat, mit keinem Wort erwähnt er, daß es sich hier um
eine abstruse Intrige gegen FBE gehandelt hat, die aber, wie dargestellt,
gar nicht erforderlich gewesen wäre. Tatsächlich waren
sämtliche Behauptungen Brechts barer Unsinn: Weder war der
Prokurist Spitzner ein Nazi, noch waren aus politischen Gründen
Tantiemen der 3GO einbehalten worden, sondern schlicht deshalb,
weil Brecht nicht vertragstreu war. Auch die Behauptung, FBE hätte
mit den Nazis kollaboriert, ist abenteuerlich. Da Brecht im Krankenhaus
lag, musste sich Berlau um die weitere Abwicklung kümmern.
Am 11. Juli 1949 suchte sie FBE auf und erhielt die formelle Erklärung, „dass
wir den Vertriebsvertrag über die Dreigroschenoper vom 26.
April 1928 mit dem heutigen Tage als gelöst ansehen. Damit
bestehen keinerlei Rechte und Ansprüche mehr aus diesen Verträgen.
Hinsichtlich des Herrn Kurt Weill… hatte Ruth Berlau in der
Unterredung erklärt, daß Herr Kurt Weill mit der Lösung
des Vertrages einverstanden ist“. Die „Drei-groschenopergesellschaft“ war
beendet, aber nicht der Streit zwischen den Erben, doch das ist
eine neue Story.
Ulrich Fischer
1 so Ulmer in Münchner Kommentar zum BGB, 2. Aufl., Anm.
5 zu § 724; Keßler in Staudinger, BGB, 12. Aufl., Anm.
2 zu § 724; von Gamm, RGRK-BGB, Anm. 13 zu § 723; Gummert
in Münchner Handbuch des Gesellschaftsrechts, Band 1, Seite
304.