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nmz-archiv
nmz 2003/05 | Seite 25
52. Jahrgang | Mai
Forum Musikpädagogik
Die Tiefe wurde hoch differenziert
Bericht über die 21. Internationale Kontrabasswoche in Michaelstein
2003
Ein Kleinwagen, auf dem Dachgepäckträger zwei Kontrabässe,
gut verschnürt und in Plastikhüllen verpackt. Die Insassen
des Autos haben zusammen mit ihren Bässen eine weite Strecke
zurückgelegt. Doch sind sie längst nicht die Einzigen,
die solche Entfernungen zurückgelegt haben, um für eine
Woche nach Michaelstein zu kommen und Kontrabasskollegen zu treffen.
Fast alle der 54 aktiven Teilnehmerinnen und Teilnehmer der von
Professor Klaus Trumpf (München) nun-mehr schon zum 21. Mal
mit unermüdlichem Engagement organisierten Kontrabasswoche
kommen aus Ost- oder Südosteuropa. Finanziell werden sie großzügig
unterstützt durch die Gesellschaft der Freunde Stiftung Kloster
Michaelstein. Eine Woche lang ist ein Stimmengewirr aus russisch,
slowakisch, polnisch, bulgarisch, ungarisch, tschechisch, serbisch
und türkisch zu hören. Hinzu gesellen sich deutsch und
englisch, Verständigungsschwierigkeiten gibt es so gut wie
keine. Was zieht so viele Bassisten nach Michaelstein, wenn auch
erstaunlicherweise kaum Studierende deutscher Musikhochschulen?
Gruppenbild mit vielen
Kontrabässen: die Teilnehmerinnen und Teilnehmer vor
dem Kloster. Foto: Polaschegg
Das ehemalige Zisterzienserkloster liegt etwas abseits und
idyllisch im Harz und dient seitüber 30
Jahren dem ortsansässigen Telemann-Orchester als Proben- und
Aufführungsort. Inzwischen ist Michaelstein, das „Institut für
Aufführungspraxis“, vor allem ein zentraler Ort für Kurse Alter
Musik, aber auch traditionell Tagungsort der internationalen Kontrabasswoche.
Neben den rekonstruierten Klosterräumlichkeiten gibt es ein Musikinstrumentenmuseum,
eine Bibliothek; der direkt hinter dem Kloster beginnende Wald lockt zu morgendlichen
Läufen oder nachmittäglichen Spaziergängen. Doch all dies wäre
kaum Grund genug, um von so weit her anzureisen. Es ist die Atmosphäre
dieser Woche, die viele Teilnehmer immer wieder kommen lässt.
54 Kontrabassstudenten (darunter sechs Frauen) und kein offen
ausgetragener Konkurrenzkampf: Das allein ist, bedenkt man die
Situation an vielen Musikhochschulen,
schon erlebenswert. Es herrscht vielmehr eine entspannte Atmosphäre, die
geprägt ist von respektvollem und freundschaftlichem Umgang miteinander,
sowohl während der Vorspiele und des Unterrichts als auch in der freien
Zeit.
Man möchte die anderen Teilnehmer kennen lernen, sucht internationalen
Austausch, Anregung, Motivation. Abends wird gefeiert, ein paar Bässe
werden gebracht, herumgereicht und gesungen. Nicht nur, dass ein oder zwei
Kontrabässe dabei wunderbar ein ganzes Ensemble ersetzten, hier in Michaelstein
lebt etwas auf, was im deutschsprachigen Raum schon lange in Vergessenheit
geraten ist: Volksmusik wird ganz selbstverständlich gespielt und gesungen
und man kann den Ähnlichkeiten und Verschiedenheiten der Gesänge
aus der Tschechei, aus Serbien oder Ungarn lauschen.
Doch die Studierenden kommen, um zu lernen. Elf Dozenten, darunter
zwei Frauen, aus verschiedenen, vorwiegend osteuropäischen Ländern erteilen Unterricht
für Sololiteratur und Orchesterstellen – ohne Honorar. Der Kurs
dient unter anderem zur Vorbereitung auf den ARD-Wettbewerb oder den Kontrabasswettbewerb
in Brno (Tschechien), die beide im September 2003 stattfinden. Kammermusik
findet wenig, im privaten Kreis statt. Allabendliche Konzerte der international
bekannten Dozenten und zwei Abschlusskonzerte der Teilnehmer bieten viel Gelegenheit,
Kontrabässe auf hohem bis höchstem Niveau zu hören.
Das vielleicht interessanteste Konzert der Woche war das erste,
bei dem das Amsterdamer Kontrabassduo vor allem Werke des Barock
und des Rokoko spielten.
Hans Roelofsen und Rudolf Senn sind keine reinen Barockspezialisten. Sie
zählen
jedoch zu den bisher leider wenigen Kontrabassisten, die sich mit historischer
Aufführungspraxis auseinandergesetzt haben und diese differenzierten Arten
der Interpretation verschiedener Jahrhunderte auch in ihren Unterricht einfließen
lassen. Musik ist eben keine allgemein verständliche Universalsprache,
ein Satz, der während den Tagen in Michaelstein immer wieder zu hören
war.
Ansonsten widmeten sich die Dozenten in ihren Konzerten im Wesentlichen
dem traditionellen Kontrabassrepertoire; Ausflüge in zeitgenössische
Literatur, die eine Anknüpfung an die kammermusikalische Welt außerhalb
des Kontrabasses hätten geben und die zahlreichen Studierenden zu neuen
Klängen und neuem Hören hätten anregen können, suchte man
vergeblich.
Kontrabassisten scheinen nicht nur in Deutschland meist in ihrer
eigenen musikalischen Welt zu leben; selbst Werke oder gar Namen
bekannter Komponisten wie etwa Hans
Werner Henze, Iannis Xenakis oder Giacinto Scelsi scheinen komplett unbekannt
zu sein. Aber wie sollen Studierende ermuntert werden, ihren klanglichen
Horizont zu erweitern, wenn sie keine Impulse dazu bekommen?