[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2003/05 | Seite 26
52. Jahrgang | Mai
Jeunesses Musicales Deutschland
Dunkle Wolken und große Hoffnungen
Die aktuelle Situation der Jugendorchesterbewegung in Venezuela
Auf ihren beiden Tourneen in den Jahren 2000 und 2002 durch
die größten Konzertsäle Deutschlands und, im Jahr 2002,
auch durch Salzburg und Wien riefen die 220 jungen Musiker der „Nationalen
Jungen Philharmonie Venezuelas“ wahre Begeisterungsstürme
hervor.
In zwei Schüben kehrte danach die
insgesamt 250 Personen umfassende Tournee-Truppe nach Caracas zurück.
Obwohl allen Mitreisenden die Strapazen der vergangenen knapp drei Wochen ins
Gesicht geschrieben waren,
musste noch ein weiterer Programmpunkt
erledigt werden. Denn auch in Caracas wollte man den Erfolg zusammen mit Sponsoren
und Freunden des Orchesters feiern. Die „Asociación Venezolano
Alemana para el Fomento Cultural“ (AVAFC), eine Vereinigung deutscher
Firmenrepräsentanten, hatte das Geld für ein großes Wiedersehenskonzert
gesammelt, das dann am kommenden Abend im Teatro Teresa Cardenio stattfand.
Mit bewegenden Worten berichtete José Antonio Abreu, Gründer und
Vater des Projektes, über den großartigen Erfolg der Tournee. Herman
Diekmann von der AVAFC versicherte, dass seine Gesellschaft dieses große
Orchesterprojekt weiterhin dadurch unterstützen wolle, dass sie Instrumentallehrer
finanziert, die in Venezuela für die fortgeschrittenen Schüler und
Lehrer Meisterkurse geben sollen. Auch der Deutsche Botschafter in Venezuela,
Herrmann Erath, unterstrich den Wunsch Deutschlands auf eine enge Zusammenarbeit
zwischen Venezuela und Deutschland im Bereich der Jugendorchester. Anschließend
wurde ein Film mit einer 15-minütigen Zusammenfassung der Tournee mit
Ausschnitten aus allen Konzertsälen gezeigt. Die Wirkung war umwerfend.
Sowohl den Mitgereisten als auch ihren Eltern und vielen anderen – allen
Beteiligten stiegen angesichts der umwerfenden Bilder die Tränen in die
Augen.
Die Jeunesses Musicales Deutschland als deutscher Jugendorchesterdachverband
betonte ihr großes Interesse an einer intensiven Zusammenarbeit mit dem
venezolanischen Jugendorchestersystem FESNOJIV. Eine solche Zusammenarbeit
wird zukünftig dadurch erleichtert, dass FESNOJIV inzwischen ebenfalls
nationale Sektion der Jeunesses Musicales International geworden ist. Insbesondere
sei Deutschland an dem sozialen Charakter des Projektes und an der Methode
interessiert, Orchesterinstrumente von Anfang an durch das Spielen im Orchester
zu erlernen.
Nach Abschluss der Tournee war ich zweimal in Venezuela. Ich
führte Gespräche
mit einigen der wichtigsten Förderern der venezolanischen Jugendorchesterbewegung
wie dem Direktor der Interamerikanischen Entwicklungsbank in Washington, Enrique
Iglesias. Diese Bank stellt immerhin einen Teil der Mittel bereit, mit denen
FESNOJIV einen eigenen Konzertsaal in Caracas bauen kann. In Caracas traf ich
mit dem venezolanischen Direktor dieser Bank und mit dem Direktor der venezolanischen
Erdölfirma PDVSA zusammen. In einem Gespräch mit Frau Ana Mercedes
Botero, der Generalsekretärin des Andenpaktes, wurde das Interesse deutlich,
dass auch junge Musiker aus den anderen Ländern an den geplanten Seminaren
und Kursen teilnehmen können und Venezuela somit zu einem Zentrum der
Musikausbildung für die Andenländer wird.
Trotz all dieser hervorragenden Aussichten zogen jedoch dunkle
Wolken am politischen Himmel auf. Es kam zu Generalstreiks, Massendemonstrationen
und Straßenschlachten
zwischen den Anhängern des Präsidenten Chavez und seinen Gegnern.
Als dann der langfristig angesetzte Generalstreik begann, erließ das
Auswärtige Amt eine Einreisewarnung. Daraufhin muss-ten die Meisterkurse
der Blechbläser der Berliner Philharmoniker Anfang Januar und der Holzbläser
Anfang Februar abgesagt werden.
Seit Ende März ist die Lage in Venezuela wieder relativ
ruhig, die Versorgungslage jedoch recht schlecht. Die Regale in
den Lebensmittelmärkten sind leerer
geworden, viele Geschäfte haben geschlossen, man kann keine Fremdwährung
in einheimische Bolivares wechseln, es wird nichts aus dem Ausland importiert,
also auch keine dringend benötigten Ersatzteile.
Die Jugendorchester arbeiten jedoch weiter. Gerade in den Wochen,
in denen die Schulen geschlossen waren, verspürte man eine große Verantwortung
den jungen Musikern gegenüber und hat überwiegend ehrenamtlich weitergearbeitet.
José Antonio Abreu schmiedet neue Pläne, im Juli soll die Seminartätigkeit
mit Dozenten aus Deutschland fortgesetzt werden, darunter ein Seminar für
Sinfonische Blasmusik, geleitet vom Trompeter der Berliner Philharmoniker Thomas
Clamor, und ein Dirigierseminar, geleitet von Joachim Harder. Dann soll auch
eine von Thomas Clamor initiierte Instrumentenspende in Venezuela überreicht
werden.
Der Wunsch nach qualifizierten Instrumentallehrern aus Deutschland,
die möglichst
auch etwas spanisch sprechen können, ist groß. Nach und nach soll
ein Programm mit in jedem Jahr regelmäßig stattfindenden Kursen
von jeweils ein bis zwei Wochen aufgebaut werden. Interessierte erfahrene Instrumentallehrer
von Hochschulen oder Orchestermusiker können sich bei der Jeunesses Musicales
melden.
Die junge Bratschistin Sara Rilling hat kurz nach Beendigung
ihres Studiums einige Monate lang in Venezuela gearbeitet. Anbei
einige Eindrücke von
ihren Tätigkeiten. Sie sollen weitere junge Musiker ermutigen, durch einen
Arbeitsaufenthalt in Caracas dieses Projekt kennen zu lernen.