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Ausgabe 2003/05
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nmz 2003/05 | Seite 8
52. Jahrgang | Mai
Kulturpolitik

Wir haben keine Sinn-, sondern eine Finanzierungskrise

DOV-Geschäftsführer Gerald Mertens zum 50. Geburtstag der Orchestergewerkschaft

Ihre erste Delegiertenversammlung erlebte die Deutsche Orchestervereinigung (DOV) 1953. Heute ist sie eine schlagkräftige Musikergewerkschaft mit ungewöhnlich hohem Organisationsgrad. Anlässlich des 50. DOV-Geburtstages sprach Barbara Haack mit dem Geschäftsführer Gerald Mertens.

nmz: Sie sind seit Anfang 2001 Geschäftsführer der DOV. Wie ist Ihr beruflicher Werdegang?

Gerald Mertens. Foto: DOV

Gerald Mertens: Ich bin studierter Jurist. Während des Jura-Studiums habe ich mich entschlossen, mein zweites Standbein, nämlich die Musik, stärker auszubauen. Von 1984 bis 1988, also parallel zu Studium und Referendariat, absolvierte ich ein vierjähriges Volontariat an den Städtischen Bühnen in Kiel. Ich habe parallel dazu auch an einer Musikschule unterrichtet und eine Ausbildung als Kirchenmusiker absolviert. Im kommunal- und kulturpolitischen Bereich hatte ich im Rahmen des Referendariats eine sehr schöne Ausbildungsstation beim Deutschen Städtetag in Köln in der Kulturabteilung. Im Rahmen der deutschen Wiedervereinigung suchte die DOV einen Juristen für die neuen Bundesländer – das war mein Einstiegsjob. Ich durfte ab November 1990 für die DOV den Aufbau Ost juristisch begleiten. Über dieses letzte Jahrzehnt habe ich dann wirklich alle Höhen und Tiefen der Aufbauorganisation einer Gewerkschaft und die juristischen Fälle von Fusionen, Abwicklungen und Haushaltsdiskussionen miterlebt.

nmz: Die DOV hat sich 1952 als Vereinigung aktiver Musiker gebildet. Wie sind heute die Strukturen?

Mertens: Bis heute arbeitet die DOV sehr basisorientiert. Nicht Funktionäre, sondern die Musiker selbst bestimmen die Richtung.

nmz: Wer sind Ihre Verhandlungspartner bei den Tarifverhandlungen?

Mertens: Der wesentliche Verhandlungspartner, wenn es um den Bereich der Opernorchester und einiger Konzertorchester geht, ist der Deutsche Bühnenverein. Dann gibt es die ARD-Rundfunkanstalten, die eigene Klangkörper unterhalten. Daneben haben wir einzelne Arbeitgeber, die nicht dem Bühnenverein angehören, die keine ARD-Rundfunkanstalt sind. Dort werden Haustarifvertragsverhandlungen mit einzelnen Trägern geführt.

nmz: Gibt es in der Orchesterlandschaft eine Tendenz, sich vom Flächentarifvertrag zu entfernen?

Mertens: Nein. Für die Orchester in Deutschland kann ich das absolut nicht gelten lassen. Mit dem Deutschen Bühnenverein haben wir den Tarifvertrag TVK seit 1971 zwanzigmal überarbeitet. Wir haben also immer eine aktuelle Entwicklung nachvollzogen. Wir haben sehr viele Haustarifverträge abgeschlossen, in denen wir örtliche Sonderbedingungen beachten. Wir sind schon sehr viel weiter als die Politik denkt.

nmz: Die DOV feiert in diesem Jahr ihren 50. Geburtstag. Welches sind die drängendsten Aufgaben?

Mertens: Die drängendste Aufgabe ist sicherlich der Erhalt und Fortbestand der deutschen Kulturorchester in ihrer Breite. Wir erleben seit der Wende eine Diskussion über die Finanzierung von Kultur im Allgemeinen und die Finanzierung von Theatern und Orchestern im Besonderen. Wir sind nicht in einer Sinnkrise der Orchester und Theater, sondern in einer reinen Finanzierungskrise. Das ist die große Herausforderung: Wie schafft man es angesichts zurückgehender finanzieller Mittel, Kulturfinanzierung und Orchesterfinanzierung weiterhin aufrecht zu erhalten?

nmz: Hat die DOV eine Antwort?

Mertens: Wir haben überall unsere Spitzenplätze verloren, in der Wissenschaft, in der Bildung. Aber im Bereich Kultur sind wir nach wie vor weltweit führend. Man kann nun sagen, das interessiert uns aber nicht mehr; oder man kann sagen, das ist es gerade, und das macht ein Stück deutscher Identifikation aus.
Wir können die strukturellen Probleme nicht mit einem Federstrich lösen, das geht auch nicht mit Lohnverzicht oder anderen Absenkungen. Man muss eher versuchen, sowohl auf der Seite des Orchestermanagements als auch auf der Seite der kommunalen Politik kulturelle und kommunale Angebote noch enger miteinander zu vernetzen und daraus wirklich einen Mehrwert zu schöpfen. Da sollen eben Orchester mit Bibliotheken, Museen, Musikschulen, allgemeinbildenden Schulen enger zusammen arbeiten.

nmz: Ist das eine Aufgabe der DOV?

Mertens: Selbstverständlich, weil wir uns ja nicht nur als Gewerkschaft sehen, sondern auch als Berufsverband. Als Berufsverband kümmern wir uns um alle anderen Dinge, die mit dem Bereich Orchesterkultur, Rundfunkchorkultur, Big Bands zusammenhängen. Wir haben zum Beispiel einen Kooperationsvertrag mit dem Verband deutscher Schulmusiker abgeschlossen, um den Bereich Orchester und allgemeinbildende Schulen stärker zu vernetzen

nmz: Also die Ausbildung der Hörer?

Mertens: Natürlich ist der Hintergrund, neue Publikumskreise für Orchester zu erschließen. Aber es geht in erster Linie darum, überhaupt erst einmal das Know-how zu vermitteln und Lehrer und Schüler zu sensibilisieren. Wie komme ich denn an ein Orchester ran? Und die Orchester zu sensibilisieren: Warum kommen die Schulen nicht zu mir? Meiner Meinung nach hat jedes Orchester ein unheimlich kreatives Potenzial, sei es im Bereich musikalischer oder musikpädagogischer Aktivitäten, sei es auf anderen künstlerischen Feldern. Wenn Sie nur zehn Prozent von dem realisieren, was an Kreativität aus so einem Orchester kommt, dann haben Sie schon viel gewonnen. Das wird aber leider viel zu selten gemacht. Auch bedarf es eines professionellen Orchestermanagements. Da ist vieles unterhalb des wünschenswerten Niveaus. Sie können in Deutschland nirgendwo professionelles Orchestermanagement lernen. Das ist ein eklatantes Defizit.

nmz: Wie beurteilen Sie den Ausbildungsstand im Nachwuchsbereich der Orchester? Ist die Ausbildung für Orchestermusiker adäquat?

Mertens: Wenn ich mir die Probespielergebnisse ansehe, muss ich ganz klar sagen: Nein. Die Ausbildung an den deutschen Musikhochschulen für den Beruf des Orchestermusikers ist unzureichend. Das hängt damit zusammen, dass nach wie vor viel zu sehr zum Solisten ausgebildet wird. Es fehlt die ganze Strecke der Orchesterpraxis. Nur im Hochschulorchester zu spielen, reicht nicht aus. Wir versuchen seit drei Jahren, mit der Hochschulrektorenkonferenz in Kontakt zu treten. Man ist aber nicht bereit, mit der DOV ein Gespräch zur Ausbildungssituation der Orchestermusiker in Deutschland zu führen. Wer sich dem verweigert, der muss ja ein schlechtes Gewissen haben. Und wer im Hochschulbereich die kritische Stimme erhebt, der wird sofort als Nestbeschmutzer geoutet. Ich sehe im Hochschulbereich mafiöse Strukturen. Der Hochschule ist es relativ egal, was mit ihren Absolventen nach Konzertexamen und nach Ablegung des Diploms passiert

nmz: Die DOV ist ein starke, aber keine große Gewerkschaft. Sie haben sich im Laufe der Geschichte immer den größeren Gewerkschaften angeschlossen: der DAG, der Gewerkschaft Kunst im DGB, dann wieder der DAG. Jetzt gibt es eine Kooperation mit ver.di. Braucht eine Gewerkschaft wie die DOV solche Kooperationen? Was versprechen Sie sich davon?

Mertens: Die DOV hat 13.500 Mitglieder und ist in den Ensembles mit 90 bis 100 Prozent organisiert. Das ist, soweit ich weiß, der höchste Organisationsgrad überhaupt einer Gewerkschaft in Deutschland, wenn nicht sogar international. Die Anbindung an eine größere Vereinigung war immer eine lose, das heißt auch bei der Kooperation mit der DAG war die DOV immer selbstständig. Auch der neue Kooperationsvertrag mit ver.di hat unsere Selbstständigkeit erhalten. Wir wollten diese Kooperation eingehen, weil ver.di Musiker an Musikschulen, aber auch im Bereich Musical und in anderen Gebieten vertritt und natürlich auch den Bereich der Bühnen und der Medien. Wir versuchen, im kulturpolitischen Bereich und auch im tarifpolitischen Bereich so eng wie möglich zusammenzuarbeiten. Das hängt auch damit zusammen, dass die Orchester zumindest im TVK-Bereich ja an den Tariferhöhungen des öffentlichen Dienstes hängen.

nmz: Die DOV ist 50 geworden. Was wird Sie in Zukunft beschäftigen?

Mertens: Was uns auf jeden Fall beschäftigen wird, ist die weitere Entwicklung des Tarifrechts im öffentlichen Dienst. Ein zweites großes Problem wird die Zukunft der Kulturfinanzierung sein. Ein weiteres ist die Entwicklung des Urheber- und Leistungsschutzrechtes: Im Bereich der neuen Medien, der Informationsgesellschaft kommen ganz neue Herausforderungen sowohl auf die Rundfunkklangkörper als auch auf die kommunalen Orchester im Bereich der Verwertung der Leistungsschutzrechte zu. Und die ganz große Herausforderung ist, Theater und Orchester wieder mehr und noch mehr in das öffentliche Bewusstsein einzubringen. Mir wird ein bisschen Angst und Bange, wenn ich auf die neue Generation der Politikerinnen und Politiker schaue. Da wird Kultur genauso eine Handelsware, genauso ein Gut wie jedes andere auch.

nmz: Gewerkschaftsarbeit wird immer auch mit dem Thema Streik verbunden. Wie sieht das aus im Bereich der Orchester?

Mertens: Streiks waren zum Glück in der Vergangenheit sehr selten. Wir haben in unserer jüngeren Geschichte zweimal Streiksituationen gehabt. Das war 1987 und 1995 im Bereich der TVK-Orchester und zwar jeweils parallel zu laufenden Tarifverhandlungen. Das Maximale, was dort passiert ist, dass bundesweit zehn oder zwanzig Orchester eine Probe verkürzt haben oder dass mal eine Probe ausgefallen ist. Grundprinzip bei Arbeitskampmaßnahmen war und ist, das Publikum nicht zu treffen. Aber aufgrund der Tatsache, dass die Dinge schwieriger werden, haben wir jetzt unsere Streikordnung völlig neu ausgerichtet, um auch im Zeichen von Arbeitskämpfen flexibler reagieren zu können, als das in der Vergangenheit erforderlich und der Fall war. Man sollte die Fragen am Verhandlungstisch klären; das setzt auf Arbeitgeberseite allerdings einen goodwill voraus.

 

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