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nmz-archiv
nmz 2003/05 | Seite 1
52. Jahrgang | Mai
Leitartikel
Kreativität muss wirksam geschützt werden
Über die Zukunftschancen des geistigen Eigentums · Von
Albrecht Dümling
Die Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische
Vervielfältigungsrechte, einfacher gesagt GEMA, kann 2003
auf eine hundertjährige Geschichte zurückblicken. Diese
Zeitspanne reflektiert Albrecht Dümling in seinem Buch „Musik
hat ihren Wert“ (Hg. Reinhold Kreile, ConBrio Verlagsgesellschaft).
Die neue musikzeitung bat den Autor, über die Zukunftschancen
des geistigen Eigentums zu schreiben.
Die Weltgeschichte begann der
Bibel zufolge mit der Erschaffung der Erde und zuletzt der
Menschen durch göttliche Befehle. „Am Anfang stand das Wort.“ Erst
viel später konnten Erdenbürger es wagen, ebenfalls als Schöpfer
aufzutreten. Wie bei Prometheus trug dieser Anspruch zunächst rebellische
Züge. Entsprang nicht die Inspiration göttlicher Eingebung und die
kreative Begabung einer höheren „Gabe“? Die Behauptung eines
Künstlers, sein Werk sei seine eigene Erfindung, wirkte in diesem Zusammenhang
wie eine freche Anmaßung. Nicht zufällig war Pierre-Augustin Caron
de Beaumarchais, der als erster das geistige Eigentum des Autors gegenüber
den Verwertern durchsetzte, ein Wegbereiter der französischen Revolution.
In Deutschland allerdings trafen Revolutionen immer verspätet ein – oder
wurden von oben eingesetzt, um wirklichen Umwälzungen zuvorzukommen. So
geschah es auch mit dem musikalischen Aufführungsrecht. Wie vor ihnen
schon die Musikverleger in Österreich versuchten die deutschen Verleger,
diesen lukrativen Bestandteil des geistigen Eigentums unter ihre Kontrolle
zu bringen. Fast wäre ihnen die Überlistung der Autoren geglückt,
hätte es nicht aufmerksame und selbstbewusste Komponisten wie Hans Sommer,
Engelbert Humperdinck, Max Schillings und Richard Strauss gegeben. Gemeinsam
mit weiteren Kollegen gründeten sie am 14. Januar 1903 die Genossenschaft
Deutscher Tonsetzer, die am 1. Juli des gleichen Jahres die Anstalt für
musikalisches Aufführungsrecht (AFMA) als erste deutsche Verwertungsgesellschaft
ins Leben rief. Viel eindeutiger als bei den älteren Schwestergesellschaften
in Frankreich, Italien und Österreich handelte es sich hier um eine Initiative
akademisch ausgebildeter Komponisten. Sie pochten auf ihr geistiges Eigentum
und stützten sich auf ein neues deutsches Urheberrecht, das ohne ihre
Initiative kaum verabschiedet worden wäre.
In den hundert Jahren seit diesem Gründungsakt gab es immer wieder schwere
Angriffe auf das Selbstbewusstsein der Tonsetzer. Nach dem Ersten Weltkrieg
duldete man Genies allenfalls noch als Karikatur. Der Ästhetik der Neuen
Sachlichkeit und der Gebrauchsmusik entsprachen eher praktikable Serienprodukte
und nüchterne Teamarbeit. Der massenhafte Musikkonsum, den die neuen Medien
Grammophon, Rundfunk und Film ermöglichten, reduzierte die Urheber zu
Lieferanten. Das Dritte Reich, dessen Propagandaminister von „stählerner
Romantik“ schwärmte, schien sich diesem Entwertungsprozess mit Macht
entgegenzustellen. Richard Strauss und viele seiner Freunde begrüßten
deshalb zunächst das Regime, bevor sie erkannten, dass es den Künstler
zwar förderte, seine Freiheit aber beschnitt. Das geistige Eigentum
wurde damit wieder, nun auf andere Weise, entwertet.
Heute gibt es keinen Propagandaminister mehr. An dessen Stelle
trat die Herrschaft des Marktes und der Einschaltquote, die durchaus
einseitig Unterhaltungsmusik
begünstigt. Zum wirtschaftlichen Druck auf die ernste Musik kam ein ästhetischer:
Der Fortschrittsglauben, der Richard Strauss und seine Mitstreiter vor hundert
Jahren noch beseelt hatte, wurde durch eine fast grenzenlose Toleranz ersetzt,
die häufig nur das vorherrschende Gefühl der Ratlosigkeit und Beliebigkeit überdeckt.
Das Abschreiben, in den Schreibstuben der mittelalterlichen Mönche einst
ein künstlerischer Akt, wurde durch technische Hilfsmittel enorm erleichtert
und perfektioniert. Auch im Musik-Bereich gehört die Herstellung einer
Kopie heute zu den gängigsten und zugleich verführerischsten Verfahren.
Computer, Internet und CD-Brenner begünstigen den geistigen Diebstahl,
ebenso eine postmoderne Ästhetik des „anything goes“. Unter
dem Diktum, alles sei schon einmal dagewesen, erscheinen Übernahmen und
Anlehnungen als nahezu unvermeidbar. Plagiatsprozesse finden kaum noch statt.
Wieviele der nahezu 50.000 Urheber, die heute in der GEMA organisiert
sind, können zu Recht als Schöpfer bezeichnet werden?
Sind auch musikalische Produkte, die bloß bekannte Versatzstücke „bearbeiten“,
Werke im emphatischen Sinn? Komponisten sollten ihr geistiges Eigentum nicht
nur gegenüber den Verbrauchern verteidigen, sondern auch gegenüber
ihren Kollegen. In ihrem eigenen Interesse müssen sie darauf achten,
dass der „Wert“ ihrer Werke nicht allein am Marktwert, sondern
auch an künstlerischen Kriterien gemessen wird.
Originalität und
Kreativität
brauchen starke Fürsprecher, selbst wenn das breite Publikum Epigonales
bevorzugt. Es wird in Zukunft wohl immer schwerer werden, gegenüber
der Macht des Marktes den Wert wirklicher Kreativität zu verteidigen.
Angesichts der ständig wachsenden Zugriffsmöglichkeiten im Internet
erscheint die Suche nach neuen Kontrollmechanismen wie eine Sisyphus-Aufgabe.
Aber ohne
einen wirksamen, auch juristisch abgesicherten Schutz des geistigen Eigentums
hat das deutsche Musikleben keine Zukunft für weitere hundert Jahre.