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nmz-archiv
nmz 2003/05 | Seite 1-2
52. Jahrgang | Mai
Leitartikel
Bürger-Wehr
In Deutschland gibt es kaum noch eine Stadt, die nicht jammert.
Das Geld wird knapp und knapper, die Steuereinnahmen sinken,
oft gegen den Nullpunkt hin, die Kosten steigen und steigen.
In Frankfurt am Main werden die Löhne und Gehälter
der Stadtbediensteten sogar schon über kurzfristige Kreditaufnahmen
finanziert. An anderen Orten sicher auch schon. Wer möchte
da noch Bürgermeister sein? Oder gar Kulturdezernent? Denn
bei der Kultur lässt es sich bekanntlich am einfachsten
sparen, da kein Gesetz eine Kommune ausdrücklich zwingt,
Kultur zu finanzieren: Alles freiwillig! So durchziehen denn
immer häufiger Schmerzensschreie und Klagelaute der Kulturschaffenden
die Lüfte über unseren Stadtlandschaften: Opernhäuser
annoncieren Aufführungen ohne Bühnenbild, Orchester,
wenn sie nicht ohnehin bereits liquidiert oder fusioniert wurden,
schreiben immer mehr N.N. in ihre Besetzungslisten, weil amtlich
verhängter Stellenstopp die Nachbesetzung pensionsreifer
Mitglieder untersagt, Ballettensembles werden am besten gleich
komplett aufgelöst (Frankfurts Verzicht auf William Forsyths
Truppe darf man ruhig als kulturpolitische Bankrotterklärung
bezeichnen) – das wären einige Beispiele nur aus dem
Musikbereich, zu dem natürlich auch die Musikhochschulen
und mehr noch die zumeist städtisch geführten Musikschulen
zählen. Die Direktoren von Museen, Theatern, Bibliotheken
und anderen Bildungseinrichtungen stimmen ähnliche Klagegesänge
an: Vorwiegend jeder für sich – und damit wäre
man bei einem Problem. Das Problem ließe sich unter dem
Begriff „Zersplitterung“ subsumieren. Jeder protestiert,
wenn’s ihn gerade trifft, und den geplagten Kulturdezernenten
fällt es in der Regel nicht schwer, die Einzelattacken abzuwehren.
Was man ihnen manchmal gar nicht verdenken darf: Stehen sie doch
selbst unter ständigem Druck aus Bürgermeisterzimmern
und um sich schlagenden Kämmerern, die nicht mehr ein noch
aus wissen.
Ein kleines, gleichwohl hoffnungsfrohes Signal sendet in diesem
Zusammenhang die Stadt Köln aus: Nein, nicht die Bürgermeisterei
mit einem kulturabstinenten Betonkopf an der Spitze, auch nicht
das Kulturdezernat, das von eben diesem Betonkopf kujoniert wird,
sondern die Bürgerschaft selbst ergreift die Initiative. Organisiert
vom Kölner Kulturrat und dem Verein „KunstSalon“ trafen
sich in acht „workshops“ Experten und Vertreter zahlreicher
Kölner Kulturinstitutionen zu Diskussionen über Gegenwart
und Zukunft des Kölner Kulturlebens. Die einzelnen Arbeitsgruppen
beschäftigten sich mit dem Tanz, dem Theater, der Musik, der
Kulturpolitik, dem Film, der Kunst, der Zukunft ganz allgemein
sowie dem Verhältnis zwischen der Stadt Köln und der
Region.
Für die Musik sprachen unter anderem Albin Hänseroth
(Kölner Philharmonie), Werner Wittersheim (WDR 3 Hörfunk),
Maria Spering (Initiativkreis Freie Musik/Forum Alte Musik Köln),
Renate Liesmann (frühere Musikreferentin der Stadt Köln),
Josef Protschka (Rektor der Musikhochschule Köln), Reiner
Michalke (Offenes Jazzhaus, Köln) sowie als auswärtige
Teilnehmer Frank Schneider (Konzerthaus Berlin), Andeas Schulz
(Gewandhaus Leipzig) und Peter Schulze (Berliner Jazzfest). Die
Gesprächsrunde moderierte mit erfreulicher Sachlichkeit und
Sachkenntnis der frühere Bundesminister Gerhart Baum, dem
man überall auf den Festivals speziell der Neuen Musik begegnet.
Er weiß also, worum es geht.
Worum geht es aber? Darum, dass die gegenwärtigen Schwierigkeiten
der Kommunen bei allem Respekt vor deren finanziellen Nöten
nicht dazu führen dürfen, die Strukturen eines städtischen
Kulturlebens zu zerstören – zu denen besonders in Köln
eine reich facettierte Freie Szene gehört, deren Existenz
durch zunehmende Ignoranz von „oben” ernsthaft gefährdet
scheint. Niemand versagt sich notwendigen Sparanstrengungen, verlangen
aber muss man das ernsthafte Gespräch zwischen allen Beteiligten.
Zarenerlasse, die sogenannten Ukasse, aus dem Oberbürgermeisterbüro
und gehorsame Kulturdezernenten sind nur kontraproduktiv.
Köln bietet hier ein besonders klägliches Bild, doch
mit der neuen Kulturratsoffensive zugleich das konstruktive Gegenbild.
Der Bürger beginnt, sich gegen die Demontage „seiner“ Stadtkultur
zu wehren, weil er weiß, dass sich eine Stadt erst durch
die mannigfachsten Ausformungen einer in vielen Jahrhunderten gewachsenen
Kultur definiert.