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nmz-archiv
nmz 2003/05 | Seite 6
52. Jahrgang | Mai
Musikwirtschaft
Oberstes Gebot ist die Kundenorientierung
Musikalienhändler im Gespräch mit der neuen musikzeitung
In den letzten Jahren fand im Musikalienhandel ein grundlegender
Wandel statt. Stagnierende und sinkende Umsätze, mangelnde
Attraktivität des Berufes Musikalienhändler sowie fehlende
Bereitschaft, sich technischer Innovationen zu bedienen und auf
verändertes Konsumentenverhalten zu reagieren, machte der
Branche zu schaffen. Insolvenzen namhafter Musikalienhandlungen
wie Bote & Bock in Berlin oder Hieber in München trugen
ebenfalls zur Krisenstimmung in der Branche bei. Dabei produzieren
Verlage derzeit so viel Notenmaterial wie noch nie. Mit der Absicht
ein aktuelles Stimmungsbild der Branche zeichnen luden Barbara
Haack und Andreas Kolb während der Frankfurter Musikmesse
2003 Musikalienhändler an den ConBrio-Stand. Die Gespräche
mit Daniela Zimmer, Michael Rosenthal, Ulrich Seibert sowie Wolfgang
Meyer-Johanning zeigten, dass trotz schwieriger Wirtschaftsbedingungen
die Zukunftsaussichten nicht so schwarz sind, wie oft prophezeit
wird. Zumindest dann nicht, wenn die Händler bereit sind,
innovative Wege zu beschreiten.
Eine der wichtigsten Umwälzung- des Musikalienhandels ist
zur Zeit die Umstelllung auf das neue Computerordersystem IDNV.
Daniela Zimmer, Inhaberin der Musikalienhandlung Lausch & Zweigle
in Stuttgart, ist als Fachverbandsvorsitzende für Musikalien
im GdM (Gesamtverband Deutscher Musikfachgeschäfte) unter
anderem mit der Einführung des neuen Computerordersystems
befasst. IDNV ist Datenbank, Bibliografie und elektronisches Bestellwesen
zugleich. Die Notenbank erlaubt Recherche und Bestellung von Noten
und Büchern. Für Händler gibt es vier Mal im Jahr
eine aktualisierte CD-Rom. Bestellt wird beim Branchenprimus, dem
Schottverlag, der das System für alle interessierten Verlage
vorhält. IDNV befindet sich bis Sommer noch in der Probephase. „Derzeit
sind noch nicht alle Verlage beteiligt, aber schon recht viele
Händler.
Treffpunkt ConBrio-Stand:
Daniela Zimmer, Inhaberin der Musikalienhandlung Lausch & Zweigle
in Stuttgart, und Andreas Kolb, nmz. Foto: Barbara Haack
Die Strategien, mit denen Lausch & Zweigle am Markt bestehen
will, sind schnell aufgezählt: Zum einen der Aufbau eines
elektronischen Warenwirtschaftssystems kombiniert mit einer klassischen
Lagerhaltung. Dann wurde der Mitarbeiterstamm reduziert. Derzeit
arbeiten die Geschäftsführerin, Daniela Zimmer, sowie
eine Teilzeitkraft, eine feste Aushilfe und zwei Auszubildende
in der Firma – eine erstaunlich kleine, aber effiziente Crew.
Weiter legte Zimmer Wert auf stärkere Kundenorientierung:
das heißt freundliche Verkaufsräume, Selbstbedienung,
kompetente Beratung. Und zuletzt gibt es neue Schwerpunkte und
ein erweitertes Sortiment, etwa mit Kinderthemen, Hörbüchern
und CDs.
Die Politik ist gefragt
Noten für Klavier und Pop seien bei Lausch und Zweigle Selbstläufer,
schwierig stelle sich der Markt für Bläsermusik dar.
Den Internethandel empfindet Daniela Zimmer nicht als Konkurrenz,
eher als Ergänzung. „Die Kunden informieren sich übers
Internet und kommen dann mit Ausdrucken, um die Originalnoten zu
kaufen.” Trotz weniger Personal und EDV-Einsatz läuft
das Geschäft „gerade mal so”. Zimmers Resümee: „Es
ist schwer im Moment”.
Daniela Zimmer wird für viele Kollegen sprechen, wenn sie
von der Politik eine bessere Steuergesetzgebung und ein schärferes
Vorgehen gegen Kopiersünder fordert. Weiter sieht sie in der
Konjunkturbelebung die Hauptaufgabe der Politik”. Nur so
könne man die „Konsumverweigerung” aufbrechen.
Eine Neuerung auf der Messe war 2003 der gemeinsame Auftritt von
Deutschem Musikverlegerverband (DMV), GdM, GEMA, Bundesverband
deutscher Musikverbände (BdMV) und ver.di am großzügigen
und gut frequentierten Gemeinschaftsstand. Die GdM-Fachverbandsvorsitzende
empfindet den Gemeinschaftsstand der Musikverbände als „Verbesserung”,
die dem Grundanliegen ihres Verbands, dem Service für Mitglieder,
eine noch bessere Plattform bietet.
Tradition in Leipzig
Michael Rosenthal ist Inhaber und Geschäftsführer der
alteingesessenen Leipziger Musikalienhandlung M. Oelsner (gegründet
1860), der beinahe letzten großen Musikalienhandlung aus
dem Osten.
Nach der Wende hatte Rosenthal eine gute Ausgangsposition gehabt,
denn er existierte in der DDR bereits in einer Sonderform: als
Einzelinhaber einer Traditionsfirma. Seit 1990 ist der Musikalienhändler
selbstständig. 1998 bezog er dann neue, großzügigere
Räumlichkeiten in der Schillerstraße.
Manche Dinge konnte er konstant weiterführen wie etwa die
Verbundenheit mit dem Leipziger Musikleben. Auch heute ist die
Musikalienhandlung M. Oelsner nicht nur ein reiner Notenhändler,
sondern auch Konzertkartenverkauf für Leipzig und Umgebung.
Sie hat eine anerkannte Position als Vorverkaufsstelle durchs gesamte
Spektrum von Klassik bis Volksmusik.
In vielem musste Rosenthal die Firma nach der Wende jedoch weiterentwickeln.
So hat er heute weniger Mitarbeiter als zu DDR-Zeiten: von 15 ging
die Zahl auf 8 zurück. Als ein wichtiges Element des Erfolgs
sieht Rosenthal Verkaufsräume an, in denen die Kunden sich
wohl fühlen. Neben kompetenter Beratung durch seine Mitarbeiter
steigert vor allem Selbstbedienung den Umsatz. Das Sortiment bei
Oelsner umfasst die ganze Breite, auch Klassik-CDs, CD-Roms und
Musikbücher.
Eine Selbstverständlichkeit bleibt für Rosenthal die „Kooperation
mit Musikschulen, Ausstellungen in der Musikalienhandlung und Kooperation
mit Musikbibliothekaren der Stadt.”
Im Großen und Ganzen sei die Arbeit „komplizierter” geworden.
Rosenthals Geschäft funktioniere nur, weil er den eigenen
Arbeitsaufwand nicht mitrechnet. Ein typisches Familiengeschäft
also, in dem auch Frau und Tochter mitarbeiten. Rosenthal nimmt
bereits am Computerordersystem IDNV teil. Auch wenn er dies als „sehr
notwendig” bezeichnet, betont er, der Computer brächte
keine Arbeitsersparnis.
Musikschulen, „Jugend musiziert“ und vor allem einen
qualifizierten Musikunterricht an der Schule hält Rosenthal
für unabdingbar. Denn im Osten gibt es Nachholbedarf: „In
der DDR ist das alte bürgerliche Kunstverständnis abhanden
gekommen.” Vorteile des DDR-Systems waren zwar gute, qualifizierte
Ausbildung, aber in der Breitenarbeit wurde der allgemeine Musikunterricht
hinten angesetzt. „Es fehlte der untere Teil der Pyramide”.
Schwere Zeit in München
Das Musikhaus Max Hieber durchlebt gegenwärtig eine schwere
Zeit. Das traditionsreiche Ladengeschäft, das in München
am Dom eine Top-Lage hat, musste im vergangenen Jahr in die Insolvenz
gehen. Ulrich Seibert, vordem Junior-Chef und nun vom Insolvenzverwalter
zum Vertriebsleiter bestimmt, erklärt die Schieflage seines
Unternehmens mit Rückzahlungsverpflichtungen gegenüber
Banken, die nicht refinanziert werden konnten. In den 70er-Jahren
habe man mehrere Firmen gekauft, die daraus entstandenen Bankverbindlichkeiten
wurden nun zurückgefordert. Inzwischen hat eine Gläubigerversammlung
stattgefunden, ein Gläubiger-Ausschuss wurde gebildet. Das
Ladengeschäft wird derweil weitergeführt, allerdings
macht sich die Unsicherheit der Kunden bemerkbar: Viele wissen
nicht, dass es weitergeht und kommen deshalb nicht mehr. Trotzdem
laufe das Geschäft gut, so Seibert, Profitabilität des
Geschäfts und finanzielle Liquidität seien nie ein Problem
gewesen. Wer zukünftig das Geschäft weiter führt,
wer als Käufer in Frage kommt, ist zurzeit noch ungewiss.
Auch Hieber verwendet das neue Bestellsystem IDNV. Als Recherchemittel
sei es ein großer Fortschritt gegenüber dem VLM, findet
Seibert. Die allgemeine Lage schätzt er nicht schlecht ein. „Es
geht alles über den Preis”. Das aber funktioniert nur,
wenn der Absatz hoch genug ist. Der Verband müsse darauf hinarbeiten,
dass es wieder eine vernünftige Handelsspanne gibt. Auch im
Internet ist das Musikhaus aktiv, es betreibt einen eigenen Noten-Shop.
Die Tendenz ist steigend, im Vergleich zum Ladengeschäft aber
ist der elektronische Handel eine verschwindende Größe.
Die Beratung sei das A und O, das In-die-Hand-Nehmen, der Service.
Zukunftsträchtig: Internet
Ganz anders arbeitet in dieser Hinsicht das Haus der Musik in
Detmold. Geschäftsführer Wolfgang Meyer-Johanning setzt auf
den kundenorientierten Internet-Handel und fährt damit bisher
sehr gut. Dabei spielt das Ladengeschäft in der Detmolder
Innenstadt nach wie vor eine wichtige Rolle. Als gelernter Musikalienhändler
möchte Meyer-Johanning dies nicht missen. Gleichzeitig aber
hat er unter www.musikalienhandel.de einen professionellen E-Shop
eingerichtet, der den Kunden erlaubt, rund um die Uhr Noten,
Bücher und Instrumente telefonisch zu bestellen. Während
der Ladenöffnungszeiten findet dabei eine Fachberatung durch
die Mitarbeiter statt, anschließend gehen die Anrufe an
ein Call-Center, das Fragen und Probleme wiederum an Meyer-Johanning
und seine Kollegen weiterleitet.
In der Regel können bestellte Produkte innerhalb von zwei
bis drei Tagen geliefert werden. Bestellt wird bei einem Grossisten,
der an das Haus der Musik liefert. Von dort aus werden die Endkunden
beschickt. Meyer-Johanning versucht, sich nah am Bedürfnis
des Kunden zu orientieren. So ist die Rufnummer, unter der bestellt
werden kann, eine Freecall-Nummer. Der Versand innerhalb Deutschlands
ist portofrei. Das Team des Hauses der Musik ist davon überzeugt,
dass auch über das Internet eine fachkundige Beratung und
ein adäquater Kundenservice stattfinden kann.