[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2003/05 | Seite 44
52. Jahrgang | Mai
Nachschlag
Ort der Stille
Am Ostersamstag war im Bayerischen Rundfunk eine Sendung über
das Kloster Schlägl und den dort als Stiftskapellmeister ansässigen
Rupert Gottfried Frieberger zu hören. Ich war gerade in der
Nähe von Passau und vermutete das Kloster aufgrund einiger
Ortsangaben und dialektaler Eigenarten nicht weit von dort. Ein
Blick auf die Karte bestätigte die Vermutung. Ein Ausflug
bot sich an.
Das Stift Schlägl, die Mönche gehören zum eher seltenen
Orden der Prämonstratenser, die den Augustinern nahe stehen,
liegt im Dreieck zwischen Bayern, Böhmen und Österreich.
Ganz im Zentrum Europas also, aber auch weit entfernt von jeglicher
Betriebsamkeit. Der winzige, auf einer Kuppel liegende Ort Ulrichsberg
ist ganz in der Nähe, der Insidern wegen seines avantgardistisch
abseitigenen Jazzfestivals bekannt ist. Eine gute Gegend für
die Musik?
Es scheint wirklich so etwas zu geben: eine Landschaft, in der
Musik wohnt. Vor ein paar Jahren während der letzten großen
Sonnenfinsternis in Mitteleuropa hat Stiftskapellmeister Frieberger
ein musikalisches Ereignis parallel laufen lassen. Er komponierte
dumpfe, magische Klänge für Trommeln, tiefe Bläser
und Gesang, begleitete die Kurve der Verfinsterung bis zum erneuten
Leuchten der Sonne: ein mystisches Ereignis, Ehrfurcht vor der
Natur und der dahinter waltenden Macht bezeugend. Musik dieser
Art erklingt immer wieder im Kloster Schlägl. Frieberger hat
zum Beispiel ein Requiem komponiert, das einem unbekannten Aids-Toten
gewidmet ist. Immer wieder besticht er durch seine Orgelimprovisationen,
die eine eher aussterbende Linie der Musik fortschreiben. In der
Silvesternacht setzt er in die Stille hineinimprovisierend und
sie unterstreichend dem Denken Freiraum lassende Gegenzeichen zum
lärmenden Trubel dieser Nacht.
Wenn man nach Schlägl kommt und in die Stiftskirche tritt
oder im Klostergarten herumgeht, dann glaubt man die Seelenwelt
solcher musikalischer Aktionen direkt zu spüren. Auf einmal
ist Ruhe, Konzentration herrscht, ohne dass das Gefühl einer
aufgezwungenen Haltung aufkommt. Musik klingt fort, auch wenn sie
nicht mehr tönt. Ihr Wesen bleibt und prägt wie die Architektur
den geistigen Raum. Man spürt, dass zum Beispiel ein Anton
Bruckner aus solchen Quellen seine Kraft zog (auch ein Anton Webern,
Giacinto Scelsi oder Morton Feldman und viele andere). Man erfährt
Stille – und Stille ist mehr als das Fernbleiben von Lärm.
Es ist die Gewissheit und das tiefe Vertrauen in das Tun, gepaart
mit der Ruhe des Einverstanden-Seins. Musik wohnt ganz selbstverständlich
an solchem Ort, kommt dort zu ihrem inneren Wesen. Schön,
dass es solche noch gibt, dass unsere leere Betriebsamkeit sie
noch nicht auszurotten vermochte.