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nmz-archiv
nmz 2003/05 | Seite 18
52. Jahrgang | Mai
Repertoire
Alles von Mozart
Wer vor drei Jahren den kompletten Bach erwarb, den Helmuth Rillings
Stuttgarter Bachakademie beim Hänssler-Verlag veröffentlichte,
bekam mit der letzten Teillieferung ein solides schwarzes Holzregal
geschenkt, in dem alle 172 CDs mit den rund 1100 Werken J. S.
Bachs Platz hatten – ein hübscher Blickfang im Salon.
So großzügig ist Joan Records nicht, wenn man Mozarts
Gesamtwerk erwirbt, das von seinem Klassik-Label „Brilliant
Classics“ jetzt komplett auf 170 CDs in 26 Boxen angeboten
wird. Aber das ist auch nicht nötig; denn damals kostete
der ganze Bach 2.000 Euro.
Über zwei Boxen dieser Mozart-Edition mit erstaunlich anspruchsvoll
interpretierten Chorwerken und über die Edition selber wurde
in nmz 10/02, S. 20, schon berichtet. Nun liegt die Gesamtedition
komplett vor und wieder verblüfft das überdurchschnittlich
hohe Niveau der Einspielungen; auch Nicol Matts großartiger
European Chamber Choir ist mit einer weiteren ganz neuen Aufnahme
vertreten, diesmal mit allen 41 Mozart-Kanons (Vol. 26). Viele
Aufnahmen der Edition stammen als Lizenz-Übernahme von bekannten
Labels wie ASV, CRD, Hyperion, Chandos, Novalis, Denon, Koch, Claves,
BIS, Nimbus, Telarc, Hungaroton, Edel. So finden sich prominente
Musikernamen, etwa Salvatore Accardo und Bruno Canino in den späten
Violinsonaten oder die Klarinettisten Karl Leister und Anthony
Pay, der Hornist Gerd Seifert, der Oboist Lothar Koch, die Geigerin
Elizabeth Wallfisch, der Cellist Rainer Zipperling in Kammermusikwerken.
Die Sängernamen – viele werden gleich noch genannt – lesen
sich wie Perlen an einem funkelnden Collier und das gilt auch für
Dirigentennamen wie Charles Mackerras, Sylvain Cambreling, Leopold
Hager, Sigiswald Kuij-ken, Ton Koopman, Colin Davis, Otmar Suitner,
Hans Schmidt-Isserstedt.
Mehr als die Hälfte der Mozart-Werke wurde für diese Edition – meist
innerhalb der letzten zwei Jahre – neu aufgenommen, darunter bevorzugt
von Künstlern, die auch in der „historischen Aufführungspraxis“ einen
Namen haben. Das gilt etwa für den hier als Dirigent auftretenden Flötisten
Jed Wentz, der mit seiner „Musica ad Rhenum“ einige Bühnenwerke – „La
Clemenza di Tito“ (Vol. 23), „Il Re Pastore“ (Vol. 5) – neu
einspielte, oder auch für die Interpreten der frühen Violinsonaten,
also sowohl der Klaviersonaten mit Begleitung einer Violine KV 6 bis 9 als auch
der Sonaten KV 26 bis 31 (Vol. 9): Rémy Baudet, der Konzertmeister des
Orchesters des 18. Jahrhunderts von Frans Brüggen, spielt auf einer römischen
Tecchler-Geige von 1706; Pieter-Jan Belder, der 2000 den Leipziger Bach-Wettbewerb
gewann, spielt erst ein Cembalo, das einem alten Mietke-Instrument nachgebaut
wurde, dann ein flämisches Cembalo, wie Mozart es bei seinem Besuch in den
Niederlanden und in Paris benutzt haben mag; Bruno Canino benutzt für alle
anderen Violinsonaten eine Kopie eines Instruments von Anton Walter in Wien von
1795. Pieter van Winkel, der „Spiritus Rector“ des Labels und selbst
Konzertpianist, wirkte bei einigen Klavieraufnahmen auch als Produzent mit, etwa
bei allen Klaviersonaten mit der aus Ungarn stammenden Wahl-Niederländerin
Klára Würtz (Vol. 7). Vor allem diese Neueinspielungen – neben
Kammermusik vor allem die Aufnahmen selten zu hörender oder aufgeführter
Opern oder Singspiele wie „Apollo & Hyacinthus“, „Il sogno
di Scipione“, „Zaïde“, „Ascanio in Alba“, „Lucio
Silla“, „Il Re Pastore“, „Titus“, „Mitridate“, „Schauspieldirektor“, „La
Finta Semplice“ oder „La Finta Giardiniera“ – sind hervorragend
interpretiert und können sich mit gewichtiger Konkurrenz durchaus messen.
So dirigierte Ton Koopman 2001 für diese Sammlung eine ganz neue „Zaïde“ (Vol.
21) mit Sandrine Piau in der Titelrolle.
Fazit: Für wenig Geld bekommt man also, was das mozartliebende Herz begehrt:
durchweg exzellente Künstler – selbst unter denjenigen mit bisher
unbekannten Namen gibt es prächtiger Stimmen! – mit Bekanntem und
Unbekannterem, das gerade in solcher Qualität zu entdecken sich lohnt. Die
Jewelboxen der CDs enthalten erwartungsgemäß spärlichen Text,
aber – leider nur in Englisch – alle wesentlichen Informationen,
bei Bühnenwerken auch die Texte in der Ursprache und kurze Einführungen.
Man bekommt aber erstaunlicherweise auch noch Besonderes: etwa die g-Moll-Sinfonie
KV 550 in zwei Fassungen Mozarts, einmal ohne und dann mit Klarinetten (Vol.
20), seine Jugendwerke auf dem Hammerklavier (Vol. 13), alle Konzertarien (Vol.
24) – darunter mit „Vorrei spiegarvi, oh Dio“ KV 418 eine der
heikelsten und schönsten für Koloratursopran, technisch sicher und
so seelenvoll von Francine van der Heyden gesungen, wie man es selten erlebt –,
das mitreißende Pianistentrio Kocsis/Ranki/Schiff im Konzert für drei
Klaviere KV 242 (Vol. 4) und eben viele selten zu hörende Chorwerke von
einprägsamer Schönheit (Vol. 8, 15 und 25).