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nmz-archiv
nmz 2003/05 | Seite 20
52. Jahrgang | Mai
Rezensionen
Wer erinnert sich gern an die Neunziger?
Benjamin von Stuckrad-Barres Roman „Soloalbum“ – Verfilmung
und Soundtrack
So ein Pech aber auch. Kein Schwein interessiert sich im Frühjahr
2003 mehr für Oasis. In Benjamin von Stuckrad-Barres Roman „Soloalbum“,
der sich seit 1998 fast dreihunderttausendmal verkauft hat, ist
es für den Protagonisten, jenen jungen schnöseligen Musikredakteur
beim vermeintlichen Hipster-Szeneblatt im vermeintlich superhippen
Berlin, noch das Höchste der Gefühle, ein Exklusiv-Interview
mit den Raudi-Brüdern Gallagher zugeschustert zu bekommen.
Aber kann im Hier und Jetzt, anlässlich des Films zum Roman,
noch jemand die Enttäuschung im Gesicht des befreundeten Redakteurskollegen
verstehen? Kapiert jemand, warum die Bombast-Schnulze „Stop
Crying Your Heart Out“ von jenen Oasis die große moralische
Wendung im Film untermalt, die Erkenntnis der beziehungsweise das
Bekenntnis zur Liebe per seitenlangem Brief? Und warum tippt dieser
Twentysomething-Tunichtgut, der sich seiner gesamten Charakterisierung
zufolge nie beim Farbbandwechsel den Finger schmutzigmachen würde,
diesen Brief plötzlich auf einer alten Schreibmaschine?
Cool aussehen hilft nicht
immer: Nora Tschirner und Mathias Schweighöfer
Die Filmemacher, Regisseur Gregor Schnitzler samt den Drehbuchautoren
Jens-Frederick Otto und Christian Zübert, hatten doch gemäß der
Einblendung „frei
nach dem Roman…“ alle Möglichkeiten, jenes stylische Nineties-Gezicke
in diesem nächsten Jahrzehnt aufzulösen – auch mit anderer
Musik.
Es mag allerdings sein, dass sie das gar nicht wollten. Vielleicht
sollte „Soloalbum – Der
Film“ der große Rundumschlag über den Hedonismus des letzten
Jahrzehnts werden – basierend auf einer Schriftrolle aus jener Zeit,
geboren aber aus seinen Resten in 2003, in Zeiten der Zeitschriften-Krisen,
längst ohne „Tempo“, aber auch schon ohne „Jetzt“.
Es funktioniert zwar angesichts des bildnerischen Tohuwabohus nicht so recht,
aber das galt schon für Schnitzlers vorangegangenen Film „Was tun,
wenn’s brennt“: Zwar macht er Jugendkultur oder das, was er dafür
hält, mehr schlecht als recht nach. Aber das mit Budget: Immerhin legte
er hier wie dort eine Ausstattungsorgie erster Kanone hin, in „Soloalbum“ sind’s
mindestens die absurd großen Redaktionsräumen, die Sammelsuriumwohnungen
oder auch der perfekt verstaubte Anrufbeantworter neben Bens im Liebeskummer
versüfften Bett.
Allein: Niemand erinnert sich gern an den Mainstream der Neunziger,
auch nicht mit Pomp. Und der Film „Soloalbum“ zeigt, warum. Hauptdarsteller
Matthias Schweighöfer mag sich noch so anstrengen, aus Arroganz lässt
sich, wenn die Bilder schneller Pop sein wollen, nunmal kein Sympathie-Potenzial
schlagen, solange man selbst im zerknirschtesten Augenblick noch cool sein
muss. Pimmel-Witze mögen längst als „auch mal lustig“ gelten,
aber wenn sie dann so dermaßen in die Länge gezogen werden wie Bens
bestes Stück, das sich beim Pinkeln ins Auto seines vermeintlichen Nebenbuhlers
im Fenster einklemmt, dann lacht auch kein Zwölfjähriger mehr. Die
Dialoge wiederum mögen noch so schnell und schnodderig dem Ideal alter
Screwball-Komödien nachjagen – die Pointen verpuffen fast alle unter
dem Missverständnis, Schlagfertigkeit heiße einfach nur, eine Situation
mit „der einen richtigen Antwort“ abzuschließen, nämlich
der zynischen. Und platte Weisheiten über Popkultur hören sich immer
gut an, selbst wenn man Sinn und Wahrheitsgehalt lieber nicht nachprüfen
sollte: „Wenn Bands sich auflösen und die Mitglieder einzeln weitermachen,“ heißt
es etwa, „gibt es leider ein unumstößliches Gesetz: Das Soloalbum
ist immer scheiße.“ Wie gesagt: Klingt gut, wirft sogar den Roman-
und Filmtitel ab, ist aber inhaltlich Unsinn.
Und dann ist da noch der Soundtrack. Der hechelt passenderweise
vorwiegend dem Zeitgeist des melancholischen Post-Slacker-Gitarrenrocks
der 90er hinterher
(Readymade, Ocean Colour Scene und Sportfreunde Stiller), verschnitten mit
einer Bestandsaufnahme des derzeitigen gemäßigten Elektronikpops
(St. Etienne, 2raumwohnung, Jeans Team) und einem Alibi-Altmeister (Elvis Costello).
Unabhängig von der Attraktivität einzelner Stücke: Die Auswahl
versucht so sehr den einen kleinsten gemeinsamen Nenner zwischen allgemeingültigem
Qualitätspop und halbgaren Anspruchs-Alternativen zu treffen, dass einem
jede Bravo-Hits-Compilation herzhafter vorkommt – und aktueller sowieso.
Und auch Stuckrad-Barre hört bestimmt kein Oasis mehr.
Stefan Raulf
Soloalbum. Roman. Kiepenheuer & Witsch, September 1998
Soloalbum. Das Buch zum Film. Goldmann, April 2003
Soloalbum – Der Film. D 2003. Filmstart: 27. März 2003
Soloalbum – Soundtrack (Universal Music); VÖ: 31. März
2003