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nmz-archiv
nmz 2003/05 | Seite 23
52. Jahrgang | Mai
Bücher
Objektiviert: „Fu“ der Wankelgeist
Herbert Haffners neue Furtwängler-Biografie
Herbert Haffner: Furtwängler, Parthas Verlag, Berlin 2003,
496 S., Abb., E 39,80, ISBN 3-932529-45-6
„Herr Ka.“ war ihm nie ganz geheuer. Musikalisch kanzelte
er ihn kurzerhand ab: „Wenn’s drauf ankommt, dann ist
da nichts.“ Auch Ka.s kluges Taktieren außerhalb des
Orchestergrabens war ihm höchst suspekt. Erst hatte er Berlin
und Bayreuth erobert, anschließend die Scala. „Ich
glaube, dass allerlei Anzeichen dafür sprechen, dass der Einfluss
des Herrn Ka. in Mailand jedenfalls eher im Wachsen ist.“ Sie
wurden sich nie grün, der macht- und medienversierte Jungspund
Karajan und der alternde Großmeister Furtwängler. Dieser
wurde zum Dirigier-Darling im Wirtschaftswunderland Deutschland,
jener galt einem konservativen, teilweise national denkenden Bürgertum
als der letzte musikalische Repräsentant „deutscher“ Musik.
Nachdem im letzten Jahr Richard Osbornes Karajan-Biografie in
deutscher Übersetzung
erschienen war, folgt nun (vielleicht schon im Vorgriff auf den
50. Todestag Ende 2004) Herbert Haffners Buch über „Fu“,
wie ihn das Berliner Publikum gern nannte. Die Furtwängler-Rezeption
ist reich an Widersprüchen, Falschaussagen, Fehldeutungen
und Mythisierungen. Die einen stellten ihn gern in die nazibraune
Ecke, die anderen holen ihn prompt dort wieder heraus, weil Furtwängler
in ihren Augen das Hitlerregime weder unterstützt noch geduldet
habe.
Haffner indes konzentriert sich auf Fakten. Er hat überparteilich
recherchiert: in den Goebbelschen Tagebüchern, im Aussagenfundus
bei Hitler, in alten Zeitungen, natürlich auch in Furtwänglers
Briefwechseln sowie in der neueren Forschungsliteratur. Aus diesem
Quellen-Puzzle formt Haffner ein entideologisiertes Gesamtbild.
Furtwängler wird nicht verklärt, sondern entlarvt: in
seinen Beziehungen zur Münchner Bohème, in seinem Verhältnis
zu dem Wiener Musikwissenschaftler Heinrich Schenker, in seinem
(von Hitler unterbundenen) Bemühen, in Salzburg eine Art Anti-Bayreuth
aufzubauen und schließlich in seinem unerklärlichen
Hang zur Fehleinschätzung. Haffner sieht in Furtwängler
einen Utopisten, „der zahlreiche Illusionen lebte: die Illusion
zum großen Komponisten berufen zu sein, die Illusion, dass
die Kunst bessere Menschen mache, die Illusion, dass es ein ‚ewiges
Deutschtum’ gebe, in dem es möglich sei, eine ‚totale
künstlerische Existenz’ zu leben und seine größte
Illusion, nämlich dass Kunst und Politik zu trennen seien“.
Bereits in seiner Jugend zeigte Furtwängler Ansätze
zum Querulanten: Er pflegte seine Allüren, erkannte seine
eigenen Grundsätze selbstherrlich an und die seiner Spielkameraden
absolutistisch ab. Er konnte beides sein: Genie und Wankelgeist,
Pedant und Hitzkopf. Haffner scheut sich nicht, Schwachstellen
bloßzulegen, Fehler zu monieren, Eitelkeiten zu benennen.
Furtwängler wird in diesem Buch nicht zum Mythos, sondern
zum Menschen. Zu kurz allerdings geraten die Analysen seines Dirigierstils
und seiner Kompositionen. Haffner verzichtet darauf, Furtwänglers
Werke näher vorzustellen oder sie musikhistorisch zu bewerten.
Umso ausführlicher widmet er sich den latenten Scharmützeln
mit Widersachern wie Toscanini. Über ihn urteilte Furtwängler
lapidar: „Seine Größe liegt im Charakter. Damit
ist ihm subjektiv in den Augen der Welt, wie man sieht, geholfen,
leider aber nicht in der Kunst.“ Im Gegenzug nannte ihn Horowitz,
nachdem Furtwängler zum Ehrendoktor ernannt worden war (ohne
je ein Examen gemacht zu haben), einen „Doktor hypophysis
causa“.
Aus diesem reichhaltigen Inventar an Intrigen und Sticheleien vermag
Haffner jedoch sinnvoll auszuwählen. Ihm geht es nicht um
die Darstellung von Tratsch, sondern um eine möglichst objektive
wie perspektivenreiche Aufarbeitung dieser zweifelhaften Künstlerpersönlichkeit.
Dass dabei den zwölf Jahren Nazi-Diktatur rund die Hälfte
des Buches gewidmet ist, weist auf die Ernsthaftigkeit hin, mit
der der Verfasser Furtwänglers Rolle während dieser Zeit
nachgespürt hat.
Haffner weist überzeugend nach, dass Furtwänglers größtes
Verhängnis wohl darin bestand, dass er gegen jene Epochen
stand, in denen er lebte: seine Triumphe musste er inmitten von
Kulturpropaganda und Kriegslüsternheit feiern, während
ihn die Nachkriegsgesellschaft nicht mehr die Rolle spielen ließ,
die er sich zugedacht hatte: dirigierend Musikgeschichte zu machen,
Botschafter zu sein für bewahrenswerte Musik und Verhinderer
nebensächlicher Strömungen.