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nmz-archiv
nmz 2003/05 | Seite 22
52. Jahrgang | Mai
Bücher
Dramaturgische Kreativität sichert Qualität
Konzerte für Kinder entwickeln, gestalten, erleben –
neu bei ConBrio
Spielräume Musikvermittlung. Konzerte für Kinder
entwickeln, gestalten, erleben. Für die Jeunesses Musicales
Deutschland hrsg. von B. Stiller, C. Wimmer und E. K. Schneider,
ConBrio Verlagsgesellschaft, Regensburg 2002, 344 S., € 29,00,
ISBN 3-932581-53-9
Zu
Recht forderte Monika Griefahn auf der Frankfurter Musikmesse 2003
die Qualitätssicherung von Konzerten für Kinder ein. Die
bestehenden Strukturen der Vermittlung von Musikkultur an kommende
Generationen reichen nicht mehr aus: ein wunder Punkt. Hilfe tut
Not, denn solche Konzerte sind gegenwärtig eine Mode. Das allzu
verkürzte Resümee von Bastians Berlin-Studie „Musik
macht intelligent“ hat diesen Boom noch verstärkt. Die
Konzerte sind gut besucht – doch für wie lange? Neben
allerlei zum Kinderkonzert deklariertem Getue droht die Musik zuweilen
zum Beiwerk einer Show zu werden. Es ist also Vorsicht angebracht,
denn wenn es positive musikalische Schlüsselerlebnisse gibt,
dann auch negative. Ein Qualitätsbewusstsein aber hat sich
bislang weder beim Publikum noch bei den Veranstaltern allgemein
etabliert.
Doch langsam wird deutlich, dass Konzerte für Kinder nicht
allein durch bunte Kostüme oder deutlich gesenkte Eintrittspreise
eine nachhaltige Wirkung erzielen. Nicht nur Management und inhaltliche
Füllung müssen stimmen, sondern auch der Ton, und zwar
in Musik und Moderation. Wer heute mit erhobenem schulmeisterlichem
Zeigefinger Kultur vermitteln will, wird kaum mehr ernst genommen.
Nicht belehren, aber doch etwas mitteilen, so lautet der „kulturelle
Auftrag zwischen Event und Lehrstunde“ (Große-Jäger).
Mit einem Konzertprogramm Begeisterung zu ernten, die ein ganzes
Leben prägen kann, das wünscht man sich allerorten.
Nicht als Allheilmittel, aber als informatives Kompendium zur
Musikvermittlung mit Konzerten für Kinder wollen die Herausgeber
das vorliegende Buch verstanden wissen. Als „Praxishandbuch“
bietet es auch die Essenz der gut zweijährigen „Initiative
Konzerte für Kinder“ der Jeunesses Musicales.
Autoren aus unterschiedlichen musikalischen Sparten berichten
beispielhaft von gelungenen Veranstaltungen und funktionierenden
Vermarktungsstrategien für gute Musik, die es flächendeckend,
insbesondere für den Bereich der Klassik, allerdings noch zu
entwickeln gilt. Einer kulturpolitischen oder wirtschaftlichen „Vernutzung“
von Kinderkonzerten tritt das Buch entgegen. Kinder werden als Publikum
ernst genommen, sie sind zuerst Publikum von heute und nicht von
morgen (Anke Eberwein, S. 263). Zielgruppe des Buches sind in erster
Linie Musiker, Musikpädagogen, Veranstalter, Kulturmanager
und -funktionäre, denen Orientierungshilfen auf der Suche nach
einem eigenen „sinn- und lustvoll“-seriösen Konzertangebot
(Constanze Wimmer, S. 226) gegeben werden – Publikum der Zukunft
dann inklusive. Besonders nützlich sind zahlreiche Tipps von
Praktikern wie Christian Schruff, Markus Lüdke oder Richard
McNicol und das Abc für ein gelungenes Kinderkonzert im Anhang.
Unter die Stichworte „Entwickeln – Gestalten –
Erleben“ werden rund 30 durchweg lesenswerte Beiträge
gefasst, die hier nur beispielhaft angesprochen werden können.
Im ersten Teil werden grundlegende Fragen zu Dimensionen des Inhaltes,
der Dramaturgie, der Vermittlung und Präsentation behandelt.
So beleuchtet etwa Barbara Stiller prinzipielle Gedanken zur Werkauswahl
und behandelt den Schlüsselbegriff Dramaturgie im Hinblick
auf sinnfällige Bezüge von Inhalt und Methode. Ernst Klaus
Schneider unterrichtet über unterschiedliche Abhängigkeiten
der Vermittlungswege, insbesondere von der aktuellen Auffassung
des Kindgemäßen. Er begründet, warum Vermittlungsmethoden
heute vielfältig sein müssen und warum der Bezug zur (medialen)
Lebenswelt eine bedeutende Rolle spielt. Im zweiten Teil werden
Kinderkonzerte aus den unterschiedlichen Perspektiven von Veranstaltern
(Musikhochschulen, Konzerthäuser und Festivals, Musiker/Ensembles
und Kirchenmusiker, Komponisten und Musikpädagogen) beschrieben.
Im dritten Teil liegt der Focus auf einzelnen Konzertveranstaltungen.
Besonders lohnend ist dies, wenn die Fallbeispiele auf eine Begründungs-
und Reflexionsebene gehoben werden, von der aus eigene Veranstaltungen
erdacht werden können (zum Beispiel zum Thema „Impressionismus“
bei Michael Dartsch, S. 236). Es wird klar, dass es um das lustvolle
Aufnehmen von Wesentlichem und Charakteristischem einzelner Kunstaspekte
geht und dass Konzertdramaturgie sich nicht als Rezept beschreiben
lässt, sondern als kreative methodische Anwendung von Prinzipien
(etwa der Verbindung unterschiedlicher Ausdrucksmedien, die einander
ergänzen und intensivieren) auf einen konkreten Fall von Kunstvermittlung,
der über den Begriffsrahmen „Konzert“ hinaus geht.
Das Buch bietet eine reiche exemplarische Übersicht vom Schüler-
und Familienkonzert hin zu neuen, interaktiven Veranstaltungen –
ohne Einseitigkeit im Musikgenre. Wertvolle Musik zu erkennen –
sei es Pop oder Klassik –, erfordert musikalisches Urteilsvermögen
und genau hier liegt die Chance eines Konzertangebotes für
Kinder: das Hineinwachsen in eine „Kultur guter Musik“,
ein „Denken in Musik“ (Wilfried Gruhn, S. 88) zu ermöglichen
oder, mit den Worten der Herausgeber, das Hören von Musik als
bedeutsamen Lebensinhalt erfahrbar zu machen. Kulturelle Relevanz
erhalten Konzerte für Kinder nur durch Kontinuität und
– die Autoren geben Griefahn Recht – durch Qualität.