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Ausgabe 2003/05
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nmz 2003/05 | Seite 17
52. Jahrgang | Mai
Rezensionen

Orchester und Bühne

Eine Nachlese zum 50. Todestag von Prokofieff

Am 5. März vor 50 Jahren starb Sergej Prokofieff in Moskau, pünktlich zur selben Sterbestunde wie sein allmächtiger Unterdrücker Stalin. Zusammen mit Dmitrij Schostakowitsch war er der größte russische Komponist im 20. Jahrhundert, beide in puncto Originalität und technischer Meisterschaft unerreicht von allen noch so hoch gehandelten Nachfolgern. In den Feuilletons fielen die Würdigungen spärlich und meist beiläufig aus und ein einflussreicher Kollege verstieg sich gar zu der absurden Ansicht, Prokofieff sei als Instrumentalschaffender nicht so wichtig wie als Theaterkomponist. Davon möge er versuchen, die Pianistenwelt zu überzeugen!

Die Plattenfirmen haben zum Teil die Gelegenheit ergriffen, auf ihre schlummernden Prokofieff-Bestände aufmerksam zu machen. Am aufwändigsten ging Warner Classics in die Offensive, mit einer 24 CDs umfassenden Anniversary-Kiste, die fünf auch einzeln beziehbare Werkanthologien und eine sehr attraktive Bonus-CD enthält. Letztere ist der eigentliche Clou, ist doch darauf nicht nur der einzigartige Pianist Prokofieff mit seiner und anderer Russen Musik zu hören, sondern überdies – höchst amüsant, wie seinerzeit schon Eisenstein befand – als sich selbst begleitender, unzureichend ausgebildeter Sänger in zwei Liedern aus der Filmmusik zu „Iwan der Schreckliche“, und als lakonisch geradliniger Interviewpartner auf englisch und russisch. Weitere Highlights in der dokumentarisch vorzüglich aufbereiteten Box: die knackig dargebotene Ballettsuite „Le pas d’acier“ unter Igor Markevitch, die zwei Sonaten für Geige und Klavier mit Repin und Berezovsky, die Violinkonzerte mit Repin beziehungsweise Vengerov. „Peter und der Wolf“ gibt’s gleich viermal, in vier Sprachen. Allzu grob und eintönig bleiben Rostropowitschs Dirigate, betreffe es nun die Symphonien (die Vierte in beiden Fassungen) oder die große epische Oper „Krieg und Frieden“. Hier lassen zwei CD-Premieren von Moskauer Opernaufnahmen der 60er-Jahre aufhorchen, die bei Chandos erschienen sind: die vom Pech verfolgte, hochklassige Sowjetoper „Semyon Kotko“ in der Uraufführungsbesetzung unter Michail Shukov und die nahezu unbekannte „Geschichte eines wahren Menschen“ unter Mark Ermler. Das ist weit funkensprühender als Naganos elegante Lyoner Aufnahme der unverwüstlichen „Liebe zu den drei Orangen“ oder gar die – tontechnisch brillant dokumentierten – Kirov-Mitschnitte vom „Spieler“ und dem „Feurigen Engel“ unter dem maßlos überschätzten Gergiev. Doch – was für Werke! Ein bisschen mehr dürften die hier schon präsent sein und der „Feurige Engel“ ist als Ganzes ohne Parallele.

Interessantes gibt es aus der Theater- und Filmmusik, die Prokofieff mit aller Seriosität bediente. Mag „Eugen Onegin“ unter Downes das Potential nicht enthüllen, so wirkt das konzertante Szenario aus „Iwan der Schreckliche“ unter Järvi viel mitreißender, und die Filmmusik zu „Alexander Nevsky“ unter Temiskanov ohnehin. Chandos hat, meist mit den Dirigenten Neeme Järvi und Valeri Polyansky, eine umfangreiche Werkschau Prokofieffs zu bieten, die derzeit mit besonderem Elan fortgesetzt wird. Darin sind vor allem die seltener zu hörenden Werke, die in den vortrefflichen Aufnahmen Roshdestvenskys nicht mehr erhältlich sind, bemerkenswert: die „4 Portraits“, „Am Dnjepr“, „Ägyptische Nächte“, „Hamlet“-Musik, Divertimento und frühe Sinfonietta, „Steinerne Blume“ und kleinere Einzelstücke. Insgesamt ist der sehr pauschale Zugriff besonders Järvis einschränkend. Daher ist es umso erfreulicher, wenn Consonance mit dem „Schut“ und dem „Verlorenen Sohn“ zwei Ballett-Schlüsselwerke in feinen alten Roshdestvensky-Aufführungen anbietet. Hier sei nun die Rede von den wenigen überragenden Orchesteraufnahmen. So hat unlängst Sony eine Mitropoulos-Hommage veröffentlicht, die eine exzellente „Leutnant Kijé“-Suite und das Dritte Klavierkonzert mit dem Maestro selbst am Klavier enthält – welch unwiderstehliche Entfesselung der Struktur, pfeilgerade Energie in aller ausgeloteten Mannigfaltigkeit! Und es ist eine Lehrstudie, dagegen Prokofieffs eigene, gleichfalls unbeirrbare Darbietung im erhellenden Naxos-Remastering zu hören. Eine weitere Trouvaille: Nikolai Malko in der abgeklärten Siebten Symphonie, souverän ausgewogen und nachdrücklich geformt, mit dem optimistischen Alternativschluss. Nicht zu bekommen sind derzeit Stokowskis großartige Deutungen der „Romeo und Julia“-Stücke, der „Alexander Newski“-Kantate und der „Cinderella“-Suite und leider auch vergriffen ist Charles Dutoits packende Decca-Veröffentlichung der pessimistischen Sechsten Symphonie mit seiner „Romeo und Julia“-Suite. Dagegen ist Tilson Thomas’ Romeo und Julia-Zusammenstellung, bei aller Audiophilie, ziemlich matt. Eine fantastische Sammlung weniger tiefgründiger Orchesterwerke bietet ASV mit dem Scottish Chamber Orchestra unter José Serebrier, bei aller Unbekanntheit hierzulande einem Giganten der Dirigierkunst großer alter Schule, an: Wie klar strukturiert, nobel phrasiert und suggestiv in der Rhythmik unter ihm die „Symphonie classique“ erklingt, welche Sprachmächtigkeit selbst Nebenwerke wie die „Sommertag“- und „Lagerfeuer im Winter“-Suiten zu entfalten vermögen, welchen Zauber die frühe „Herbstskizze“ und welche bildhafte Bizarrerie das „Hässliche Entlein“ mit Sopranistin Carole Farley! Überragend sind Sergiu Celibidaches Aufführungen mit dem Radio-Sinfonieorchester Stuttgart, erschienen bei DG: So unmittelbar wie er hier in der „Skythischen Suite“ vermochte niemand die das Orchester als Träger der absolut musikalischen Gestalt zu modellieren, so stets aufs Neue unerwartet und doch völlig natürlich zugleich; und in der Fünften Symphonie, diesem Meisterwerk motivisch dicht verschlungener Formgebung, gelingt ihm eine Aufführung von unübertrefflicher Plausibilität; jeder Satz als unverwechselbarer Charakter erfasst, vollkommen organisch entwickelt, strukturell unwiderlegbar und in jeder Faser springlebendig – eigentlich ein Skandal, dass solch meisterhaftes Musizieren in deutschen Kritikergremien keiner Nominierung, keines Preises für wert befunden wurde…

Solchen Ausnahmekalibern gegenüber fallen Gesamteinspielungen der Symphonien verständlicherweise ab, auch hochkarätig besetzte wie die der Berliner Philharmoniker unter Ozawa. Und wer, wie Jurowski in Köln, endlich einmal ein so langes Ballett wie „Cinderella“ (Aschenputtel) komplett aufnimmt, dem würden wir gerne über die forsche Routine hinaus etwas mehr Inspiration zumuten.

Eine besonders erfreuliche Konkurrenz ist um Prokofieffs monumentalstes Solokonzert entstanden, die späte „Sinfonia concertante“ für Cello und Orchester. Die russische Legende Daniil Shafran mit Roshdestvensky ist ebenso im Rennen wie die stämmige Neuaufnahme Han-Na Changs. Staunen machen die modulationsreiche Geschmeidigkeit Jan-Erik Gustafssons (mit Oramo) und die nuancenreiche Souveränität von Truls Mørk, der mit Paavo Järvi in Birmingham das Finale gleich in beiden Fassungen dokumentierte. Im Zuge der intensiven Auseinandersetzung hat Alexander Ivashkin auch die halsbrecherisch virtuose Urfassung Opus 58 und das als leichtes Gegenstück zur „Sinfonia concertante“ gedachte, unvollendete und von Alexandr Blok arrangierte Cello-Concertino eingespielt.

Christoph Schlüren

Diskografie

50th Anniversary Edition (24 CDs): Symphonien; Solokonzerte; Instrumental- und Kammermusik; Bühnen- und Filmmusik; Krieg und Frieden op. 91; Dokumente; Warner Classics 0927-49147-2

Semyon Kotko op. 81; Sowjet-Rundfunk, M. Shukov (1960); Chandos 10053
Die Geschichte eines wahren Menschen op. 117; Bolschoi-Theater, M. Ermler (1960); Chandos 10002

Die Liebe zu den drei Orangen op. 33; Oper Lyon, K. Nagano; Virgin Classics 759566-2

Der Spieler op. 24; Kirov-Theater, V. Gergiev; Philips 454559-2

Der feurige Engel op. 37; Kirov-Theater, V. Gergiev; Philips 446078-2

Eugen Onegin op. 71; Sinfonia 21, E. Downes; Chandos 9318/9

Prokofieff spielt Prokofieff; Naxos 8.110670

Skythische Suite op. 20, 5. Symphonie op. 100; RSO Stuttgart, S. Celibidache; Deutsche Grammophon 445142-2

Das hässliche Entlein op. 18, Sommertag-Suite op. 65, Herbstskizze op. 8, Winter-Lagerfeuer-Suite op. 122, 1. Symphonie op. 25; Scottish Chamber Orch., J. Serebrier; ASV DCA 760

Leutnant Kijé-Suite op. 60, 3. Klavierkonzert (+ Tschaikowsky, Schostakowitsch); New York Philh., Philadelphia Orch., D. Mitropoulos (Dir. & Klavier)
Sony Classical 89658

7. Symphonie op. 131 (+ Borodin, Haydn, Dvorák etc.); Philharmonia Orch., N. Malko; EMI Classics 575121-2

Der Schut op. 21, Der verlorene Sohn op. 46; G. Roshdestvensky; Consonance 81-5004

Divertimento op. 43, Symphonischer Gesang op. 57, Der verlorene Sohn op. 46 etc.; Scottish National Orch., N. Järvi; Chandos 8728

Semyon Kotko-Suite, 4 Portraits aus Der Spieler op. 49; Scottish NO, N. Järvi; Chandos 8803

Ivan der Schreckliche als ‘Concert Scenario’; Philharmonia Orch., N. Järvi; Chandos 8977

Oktober-Kantate op. 74, Steinerne Blume-Suite op. 118; Philharmonia Orch., G. Roshdestvensky, N. Järvi; Chandos 9095

Am Dnjepr op. 51, Lieder unserer Tage op. 76; Russ. Staatl. SO, V. Polyansky; Chandos 10044

Ägyptische Nächte-Suite op. 61, Hamlet op. 77, Ode an Stalin op. 85, Blühe, mächtiges Land op. 114 etc.; Russ. Staatl. SO, V. Polyansky; Chandos 10056

Das Jahr 1941-Suite op. 90, Ballade vom unbekannten Knaben op. 93, Ode an das Ende des Kriegs op. 105 etc.; A. Titov; Beaux 2103

Sinfonietta op. 5/48, 7. Symphonie; Scottish NO, N. Järvi; Chandos 8442

Cellokonzert op. 58, Cello-Concertino op. 132 (arr. V. Blok); Alexander Ivashkin (Cello), Russ. Staatl. SO, V. Polyansky; Chandos 9890

Sinfonia concertante op. 125 (+ Miaskowsky); Truls Mørk (Cello), CBSO, P. Järvi; Virgin Classics 545282-2

Sinfonia concertante (+ Merikanto); J.-E. Gustafsson (Cello), Finn. RSO, S. Oramo; Ondine 861-2

Sinfonia concertante (+ Kabalevsky, Tsintsadze); Daniel Shafran (Cello), Sowj. Staatl. SO, G. Roshdestvensky; Cello Classics 1008

Sinfonia concertante, Cellosonate op. 119; Han-Na Chang (Cello), LSO, A. Pappano; EMI Classics557438-2

Symphonien Nr. 1–7; Berliner Philh., S. Ozawa; Deutsche Grammophon 463761-2
Cinderella op. 87; WDR-SO, M. Jurowski; cpo 999610-2

Alexander Nevsky-Filmmusik; Petersburg Philh., Y. Temirkanov; RCA 09026-61926-2

Romeo und Julia-Szenen; San Francisco SO, MTT; RCA 09026-68288-2

Vertriebe

Chandos und ASV bei Codaex; Virgin bei EMI; Philips und Deutsche Grammophon bei Universal; Consonance bei Liebermann; Ondine bei Note 1; Cello Classics und MDG bei Naxos; cpo bei jpc; RCA bei BMG; Beaux, Delos und APR bei MusikWelt.

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