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nmz-archiv
nmz 2003/05 | Seite 3
52. Jahrgang | Mai
Zukunftswerkstatt
Die Lösungen liegen auf der Hand
Der Verband Bayerischer Schulmusiker und sein Engagement für
die musikalische Bildung
„Die besondere Bedeutung der musischen Erziehung ist von
der CSU-Landtagsfraktion vielfach festgestellt und im Rahmen von
konkreten Beschlüssen
und Anträgen unterstützt worden, beispielsweise zuletzt
im Beschluss der CSU-Landtagsfraktion „Zukunft der Schule – Schule
der Zukunft“, der im Rahmen der Klausurtagung der Fraktion
in Wildbad Kreuth im Januar 2003 gefällt wurde.“ – „Der
gefallene Stellenwert hängt eng mit der Zurückdrängung
des Faches Musik in der Schule zusammen. Gerade in der Schule muss
daher der musikalischen Bildung und einem an den Interessen junger
Menschen orientierten Musikunterricht wieder mehr Raum eingeräumt
werden. Außerdem muss das Interesse an Musik auch außerhalb
der Schule geweckt und gefördert werden, zum Beispiel durch
eine von uns schon seit Jahren immer wieder geforderte bessere
Ausstattung der Musikschulen.“ – „In meinen Vorträgen
zu PISA thematisiere ich, wie bereits eingangs erwähnt, stets
die Bedeutung der musischen Bildung. Durch unser Konzept der „Selbstständigen
Schulen“, gepaart mit der Möglichkeit, nicht nur Lehrkräfte
an einer Schule zu beschäftigen, sondern zum Beispiel auch
Musiker/-innen im Rahmen von Arbeitsgemeinschaften oder Projekten,
sehen wir für jede einzelne Schule eine größere
Möglichkeit, im Rahmen ihres Profils den musischen Bereich
zu stärken.“
Hat eine Vision: der vbs-Vorsitzende
Markus Köhler. Foto: Jürgen Scholz
So äußern sich Vertreter der im
bayerischen Landtag vertretenen Parteien zur Bedeutung
von Musik und des Musikunterrichts auf Anfrage des vbs im Frühjahr 2003.1
Versicherungen, auch in Zukunft die Musikerziehung nach allen Kräften
zu unterstützen, sind bekannt und gegenwärtig. Da die Zukunft aber
schon morgen wieder Vergangenheit ist, hat sie bereits längst begonnen:
Seit 100 Jahren gibt es in Bayern eine Standesvertretung für das Schulfach
Musik: 1903 wurde der „Bayerische Gymnasialmusiklehrer-Verein“ gegründet,
der nach Lage der Quellen erste Fachverband seiner Art, der die Hebung des
Musikunterrichts an den humanistischen Gymnasien Bayerns und die Förderung
der geistigen und materiellen Interessen der Musiklehrer bezweckte. Da der
Verein als ordentliche Mitglieder nur statusmäßig angestellte Gesang-
und Musiklehrer eines humanistischen Gymnasiums aufnahm, formierte sich 1913
zusätzlich der „Verband der Mittelschul-Musiklehrer“ für
Musiklehrer anderer höherer Lehranstalten. 1920 schlossen sich diese beiden
Vereine zum „Verband der Fachlehrer für Musik an den höheren
Lehranstalten Bayerns“ zusammen. 1928 wurde der Vereinsname in „Verband
der Fachlehrer für Musik an den höheren Lehranstalten in Bayern“ umbenannt.
Nach den dunklen Jahren des Dritten Reiches wurde 1949 die Wiedergründung
des Verbandes vollzogen, der sich ab 1960 „Verband Bayerischer Schulmusikerzieher“ nannte
und nunmehr seit 1991 unter dem Namen „Verband Bayerischer Schulmusiker“ die
Interessen für die Schulmusik in unserer Gesellschaft vertritt.
Bereich Vorrückungsfach
Vergleicht man Protokolle und Notizen, Verbandsrundschreiben
und Artikel, beschlossene und umzusetzende Anträge zur Verbesserung
des Musikunterrichtes der vergangenen Jahrzehnte, ist es schwer,
eine genaue zeitliche Einordnung vorzunehmen; einzig die Einzelformulierungen
belegen, wessen Zeiten Kind man war: Nur allzu sehr gleichen
sich nämlich die getroffenen Formulierungen und die behandelten
Themenbereiche. Dabei fehlte es nie an konkreten Lösungsansätzen.
Und eigentlich wären die Lösungen ganz einfach.
Nehmen wir zum Beispiel den Bereich „Vorrückungsfach“:
Die Einführung des Vorrückungsfaches in den Jahrgangsstufen
neun bis elf des Gymnasiums vor über zehn Jahren stärkte
das Fach und hatte bessere Leistungen unserer Schülerinnen
und Schüler zur Folge. Mit dem in Aussicht gestellten Vorrückungsfach
für die Jahrgangsstufen sieben und acht – warum nicht
auch für fünf und sechs? – im kommenden Schuljahr
verbinden wir die gleichen Erwartungen. Eine im vergangenen Jahr
vom vbs erhobene Umfrage zeigte, dass die durchschnittliche Jahresnote
bei Schülerinnen und Schülern nicht-musischer Gymnasien
in der achten Jahrgangsstufe bei 2,45, in der neunten Jahrgangsstufe
hingegen bei 2,38 liegt, wobei besonders die absolut negativen
Ergebnisse in Jahrgangsstufe neun nicht mehr auftreten. Nicht viel,
aber immerhin. Eindeutig zu widersprechen ist den Vorstellungen,
wonach es nicht sinnvoll erscheint, die Attraktivität des
Fachs Musik und damit verbunden die Bereitschaft der Schülerinnen
und Schüler, sich verstärkt diesem Fach zuzuwenden, einzig
durch das Vorrückungsfach steigern zu wollen. Zum einen muss
es prinzipielles Ziel sein, die Leistungsbereitschaft unserer Schülerinnen
und Schüler zu stärken. Zum anderen lässt sich die
Argumentation auch umkehren: Vielleicht wäre die Leistungsbereitschaft – und
damit verbunden auch die Leistung – unserer Schülerinnen
und Schüler in Deutsch, Mathematik und Naturwissenschaften
besser, wenn diese Fächer keine Vorrückungsfächer
wären? Vielleicht wären dann auch bessere Ergebnisse
bei PISA zu erhalten gewesen? Dass es sich bei dem Vorrückungsfach
schließlich um eine absolute kostenneutrale Umsetzung handelt,
darf in Zeiten leerer Kassen nicht unerwähnt bleiben.
Trinken oder Essen?
Die Tatsache, dass sich schließlich die meisten Schülerinnen
und Schüler, wenn sich ihnen die Wahl zwischen Musik und Kunsterziehung
stellt, für das letztere Fach entscheiden, können und
dürfen wir nicht weiter hinnehmen. Sicher stellt sich auch
Kunst als ein hoch bildungswirksames Fach dar. Hinzu kommt, dass
der gestaltende Umgang mit Farbe und Pinsel, mit Material und Werkzeug
Schüler oft zu schnellen Erfolgen führt, die sie im Klassenzimmer
oder im Schulhaus öffentlich präsentieren können,
die ihnen Anerkennung einbringen und sie so in ihrer Persönlichkeitsentwicklung
stabilisieren und für schulisches Lernen insgesamt aufschließen,
wie es den Ausführungen der CSU-Landtagsfraktion zu entnehmen
ist. Trinken oder Essen? Was ist für ein im übertragenen
Sinn nach Wissen hungerndes und nach Erziehung dürstendes
Individuum notwendiger? Warum gibt es keine Wahlpflicht zwischen
Deutsch und Musik oder zwischen Kunsterziehung und Mathematik?
Glücklicherweise stellt der ab dem kommenden Schuljahr für
das Gymnasium neue Lehrplan sowohl für Kunsterziehung wie
auch für Musik einen Pflichtunterricht bis einschließlich
der elften Jahrgangsstufe sicher. Damit ist ein Zeichen gesetzt,
das zumindest die nächsten Jahre Gültigkeit haben wird.
Nur schade, dass dies mit dem Verlust der dritten Musikstunde in
der fünften Klasse (und der dritten Kunsterziehungsstunde
in der sechsten Klasse!) erkauft werden musste.
Die neuen Lehrpläne aller Schularten stellen ja allesamt die
Forderung auf, in Musik wirklich auch von Musik auszugehen und
diese ins Zentrum zu stellen. Nur so können Schülerinnen
und Schüler als Ganzheit angesprochen und auch erreicht werden.
Nur so verstehen sie auch die Bedeutung von Musik für ihr
eigenes Leben. Dass zugleich Musikunterricht Musik auch in Beziehung
zu der die jungen Menschen umgebenden Welt setzen soll, ohne dabei
aber auf Musikimmanentes zu verzichten, unterstreicht dies. Schließlich
ist Musik Freizeitinteresse Nummer eins bei den jungen Menschen:
ein Tatbestand, dessen Chance in Zukunft sinnvoll und verstärkt
genützt werden sollte. Entsprechend dieser Erkenntnisse müsste
auch mit größerer Vehemenz der Weg weiterverfolgt werden,
neben den Musischen Gymnasien und den Grundschulen mit erweitertem
Musikunterricht auch Haupt- und Realschulen mit Schwerpunktfach
Musik zu etablieren. Es steht fest, dass einzelne Politiker diesem
Ansatz aufgeschlossen gegenüber stehen. Es ist unsere Aufgabe,
sie darin zu unterstützen.
Wie bei der Festveranstaltung der „Tage der Bayerischen Schulmusik
2003“ am 11. April 2003 in Großen Konzertsaal der Münchner
Hochschule zu hören gewesen ist, kann Musik den Schülerinnen
und Schülern sehr unterschiedliche Welten aufschließen:
Neben einem balinesischen Gamelan, das in Folge eines Schulversuchs
am Mühldorfer Ruperti-Gymnasium eingerichtet worden ist, repräsentierte
ein Streichorchester die traditionelle Seite der bayerischen Schulmusik.
Dies erscheint wichtig: Bezogen auf Hip-Hop und Polka, auf Winterreise
und Gothic ist einzig der Musikunterricht in der Lage, alle Schülerinnen
und Schüler mit dem breiten Spektrum unterschiedlicher Musiken
bekannt, vielleicht im Idealfall auch ansatzweise vertraut zu machen.
Und gerade bei sehr unterschiedlichen klanglichen und zeitlichen
Erscheinungsformen der Tonkunst finden wir enorme Ähnlichkeiten
bezogen auf Idee, Konzept und Lebensweltbezug. Dies muss noch mehr
genutzt werden, vor allem aber auch im Bereich der Musiklehrerausbildung
eine größere und weiterreichende Bedeutung gewinnen.
Musik ändert sich, Hits folgen einander unablässig, musikalische
Präferenzen entstehen und verschwinden wieder – von
Tag zu Tag und das überall auf der Welt in einer anderen Art
und Weise. Um seinen Inhalten gerecht zu werden, muss sich demnach
auch Musikunterricht ändern; nicht von Tag zu Tag, aber im
steten Wandel begriffen.
Qualität der Lehrerbildung
Lehrerbildung – das Patentrezept dazu scheint noch nicht
gefunden worden zu sein. Einzig die bereits im vorletzten Jahrhundert
erhobene und seitdem stets litaneiartig wiederholte Forderung nach
mehr Praxisbezug kann wohl nicht der Weisheit letzter Schluss sein.
Richtig wäre es nach meiner Meinung, wenn die Qualität
der zukünftigen Lehrerbildung nicht mehr an der Spiegelung
bekannten Lehrerverhaltens, an der Wiederholung bestimmter Unterrichtseffekte
definiert werden würde, weshalb Unterrichtsbeobachtungen ja
oft mit dem Begriff der „Show-Stunde“ belegt werden.
In den Vordergrund bei der Beurteilung von Ausbildung muss die
Frage rücken, inwieweit die Grundlagen für ein schülerorientiertes
kooperatives Berufshandeln gelegt werden. Es geht nicht mehr um
die Zielsetzung, wie ein störungsfreies, stundenziel-erreichendes
Lehrerhandeln zu verwirklichen ist, sondern um die Frage der kooperativen
Herbeiführung von Schüler-Selbstlern-Prozessen. Ein grundsätzliches,
in seinen Voraussetzungen geändertes Selbstverständnis,
besonders des Gymnasiallehrers, muss eingefordert werden, nämlich
nicht mehr in erster Linie Fachmann für Unterricht zu sein,
sondern als Fachmann für Lernen zu agieren, also für
die organisierte systematische Optimierung von Selbst-Lernprozessen
in optimierten Lernarrangements. Das Ganze unter der Anleitung
von Lehrkräften, die sich als gelernte Lernberater verstehen.
Paradigmenwechsel
Insofern geht es wirklich um einen Paradigmenwechsel. Es muss
gelingen, Schülerinnen und Schüler zu aktivieren, zu eigenen
Denkanstrengungen zu ermutigen, sie bei der Überwindung
von Schwierigkeiten und Fehlern zu unterstützen und ihnen
beim Aufbau einer wohlorganisierten Wissensbasis behilflich zu
sein: Der Lehrer als ein Fachmann für das Organisieren von
Lernen und als Berater bei Lernschwierigkeiten und nicht als
reiner „Stoff-Vermittler“ – besonders auch
im Musikunterricht. Dabei können Lehrer ihren Schülerinnen
und Schülern nur dann aufregende und produktive Lernerfahrungen
vermitteln, wenn sie selbst aufregende und produktive Lernerfahrungen
gemacht haben. Wem kann dies besser gelingen als einem Schulmusiker?
Einzig in Musik erfahren unsere Lehrkräfte Fortbildung ja
auch als einen eigenen Gewinn an zusätzlichen Kompetenzen.
Interesse am Lehrstoff
Das persönliche Verhältnis der Lernenden zum Stoff ist
ja nichts anderes als das pure Interesse am Stoff. Der objektive
Stoff ist in der Regel von Natur aus langweilig. Wenn ein Schüler
Interesse am Stoff hat, wird er von sich aus, ohne dazu gezwungen
oder ermahnt zu werden, sich mit dem Stoff beschäftigen, er
wird lernen. Wie weckt man nun das Interesse des Schülers
an einem Stoff? Das hängt zum größten Teil von
uns, von den Lehrkräften ab. Ein Lehrer, der selbst keinen
Bezug zu dem von ihm gelehrten Stoff hat, wird in alle Ewigkeit
keinen solchen Bezug in seinen Schülern schaffen können.
Der Lehrer muss für die Schüler ein lebendiges Beispiel
für die Möglichkeit sein, dass man zu dem von ihm gelehrten
Stoff eine persönliche Beziehung haben kann. Hier abschließend
die gleiche Frage: Wo ist das besser möglich als in unserem
Musikunterricht?
Es ist zu hoffen, dass sich dafür bei in der Tat schlechten
Rahmenbedingungen – denken wir nur an das nicht angeglichene
Stundendeputat – genügend junge Kolleginnen und Kollegen
finden werden, besonders auch um den in allen Schularten eklatanten
Unterrichtsausfall in unserem Fach zu verringern. Nur ein Musikunterricht,
der auch wirklich stattfindet, kann sich als erfolgreicher Musikunterricht
bewähren.
Rückzug der Eltern
Der Rückzug der Elternhäuser von den allgemeinen Erziehungsaufgaben
und damit auch der von der Verantwortung für die musikalisch-musisch-kulturelle
Erziehung stellt die Schule vor neue Aufgaben und Verantwortlichkeiten.
Angebote des Wahlbereichs Musik und die Schulmusik ergänzende
(!) Maßnahmen der Musikschulen im Rahmen von Ganztagesschulen
und Ganztagesbetreuung könnten die einmalige Chance bieten,
bislang Vernachlässigtes seiner eigentlichen Bedeutung zuzuführen.
Leider fehlt es noch an Modellen, an Ideen und vor allem an Umsetzungsmöglichkeiten,
um derart Sinnvolles flächendeckend Realität werden zu
lassen.
Ein fächerübergreifender Beleg mag abschließend
dazu dienen, die Bedeutung von Musikunterricht herauszustellen
und weiterhin vehement für ihn einzutreten: US-Biologen konnten
nach Focus vor kurzem Folgendes nachweisen: Starenweibchen fliegen
auf Männchen, die exzessiv singen und längere Lieder
im Repertoire haben. Diese besitzen nachgewiesenermaßen ein
vererbbares starkes Immunsystem. Gibt es noch ein schöneres
Beispiel?
Markus Köhler
1 Der vbs wird demnächst über die an die Parteien gestellten
Wahlprüfsteine zur Landtagswahl in Bayern in der nmz noch
ausführlich berichten.