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nmz-archiv
nmz 2003/06 | Seite 4
52. Jahrgang | Juni
Cluster
Die Hochkultur-Zentrale
Unsere nmz steht gewiss nicht im Verdacht, eine wohlfeile Plattform
für industrie-musikalische Produkte aus dem Dekadenz-Prozessor
der Major-Con-troller abzugeben. Gern aber pfriemeln wir aus den
Schlamm-Torten vom Hitparaden-Fließband die gar nicht so seltenen
authentischen Rosinen, haben längst erklärt, dass der
Unterschied zwischen „U” und „E” mit musikalischer
Wirklichkeit wenig zu tun hat. Klang-Konstrukte, die stinkend zum
Himmel dröhnen, werden – proportional betrachtet –
von gewissen Ausstattern Donaueschinger Experimentalflächen
in gleicher Masse produziert wie von Dieter Bohlen. Dass die Haupt-Quelle
des wirtschaftlichen Ertrages allerdings übel röche, konnten
wir den immer noch auf Zuwachs getrimmten Jahresberichten der Gesellschaft
für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte
(vulgo GEMA) keinesfalls entnehmen. Eher schien sich eine nasenschleimhaut-verhornte
Non-olet-Mentalität breitgemacht zu haben. Die paar in Stiftungen
und Fonds abgezwackten Sozial- oder Kultur-Kröten erregen nicht
mal mehr die Begehrlichkeit ansonsten verbissen centfuchsender Jingle-Generateure.
Ausgerechnet bei der Feier zum hundertsten Gema-Geburtstag wurden
wir drastisch eines Besseren belehrt. Die Gema sieht sich als Hochkultur-Zentrale.
Anders lässt sich die Programmgestaltung zum Jubelfest im Schinkel-Bau
des Berliner Konzerthauses (vom Volksmund inzwischen – wegen
der zahlreichen Moden-Shows dort in „Schinken-Burg”
umgetauft) nicht erklären.
Strauss, Matthus, Rihm, Henze, Weill – hießen die Komponisten
des musikalischen Rahmenprogrammes. Und im verbalen griff “Wunder-gibt-es
immer-wieder”-Erfinder und Gema-Vorstandsvorsitzender Christian
Bruhn weit auf Eichendorff und Ebner-Eschenbach zurück, um
seinem Fest-Vortrag den offenbar anempfohlenen Tiefgang zu verleihen.
Null Rock, null Pop, null Musical. Uns soll es recht sein. Wenn
so dokumentiert ist, dass es die eher immer noch sperrigen, klassischen
Experimentalfelder der Musik inzwischen zum offiziellen ästhetischen
Outlook der Gema gebracht haben, schmelzen unsere materiellen Sorgen
ums deutsche Musikleben dahin. Denn dieses hohe Bewusstsein wird
demnächst gewiss Ausdruck in veränderten Verteilungsschlüsseln
finden: Neunzig Prozent der Gema-Erträge gehen künftig
in Nachwuchs-Förderung, Musikerziehung, Forschung und Experiment.
Zehn Prozent – und das ist deutlich mehr, als es sich Beim
Gema-Jubiläum akustisch widerspiegelte, verbleiben den Erzeugern
unseres musikalischen Alltags-Ambientes. Hand aufs Ohr: Das ist
auch mehr als genug.