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nmz-archiv
nmz 2003/06 | Seite 46-47
52. Jahrgang | Juni
Dossier: Amateure
& Liebhaber
Von einem, der auszog das Klavierspielen zu lernen
Eindrücke vom VdM-Kongress „Musikschule mit Vergnügen!
Das Unterhaltende in der Musik“ · Von Andreas Bomba
„Können Sie für die nmz vom Musikschulkongress
berichten?“ Kann ich, wenn auch – zunächst –
mit wenig Begeisterung. Vor mir selbst aus wäre ich nicht auf
die Idee gekommen. Dröge Sitzungen, rituelle Forderungen, schneidige
Resolutionen, das Schmoren im eigenen Saft – man ist die Musikverbandsarbeit
allmählich leid. Kein Wunder, dass solche Themen in „den
Medien“ wenig attraktiv sind, auch die Verbände selbst
bemühen sich nicht, Journalisten entsprechend zu päppeln.
Lieber jammern sie über geringe öffentliche Resonanz ihrer
ach so wichtigen Arbeit. Große Orchester, potente Wettbewerbe
oder ehrgeizige Festivals stellen sich da schon geschickter an und
nehmen die Presse einfach mit auf die Reise – schön für
die Kollegen und eine Garantie für gute und ausführliche
Kritiken...
Hausmusik: Autor Andreas
Bomba mit seiner Tochter. Foto: Bomba
Was weiß ich über Musikschulen? Ein markiges Wort unseres
markigen Innenministers kommt mir in den Sinn: „Wer Musikschulen
schließt, schadet der inneren Sicherheit“, ausgesprochen
beim vergangenen Musikschulkongress in Leipzig. Warum gibt es für
Musik eigentlich gesonderte Schulen, ähnlich dem Autofahren,
aber anders als für Geschichte oder Mathematik (gut, hier wuchert
der staatlich unkontrollierte Nachhilfemarkt!). Es gibt ziemlich
viele Musikschulen in Deutschland, ungefähr tausend, oft in
Vereinsform geführt, von Städten, Kreisen und Gemeinden
finanziert. Der Begriff ist aber gesetzlich nicht geschützt,
eine Musikschule kann jedermann eröffnen und betreiben. Musikstudenten
(oder auch verhinderte Solisten oder nicht eingestellte Musiklehrer)
halten sich hier als Lehrkräfte mit Hungerlöhnen über
Wasser. Die Elternbeiträge sind bisweilen zu hoch, eine Stadt
wie Frankfurt stattet ihre Musikschule finanziell nur schäbig
aus, auch über den Standort wird ständig diskutiert. Meine
Kinder haben sehr unterschiedliche Erfahrungen hier gemacht, große
Lust am Musizieren ist nicht herausgesprungen dabei. Aber ich kenne
durchaus auch andere, positive Beispiele. Manchmal präsentieren
sich Musikschulen mit Konzerten und Aktionen in der Öffentlichkeit.
Es gibt Eifersüchteleien zwischen Musikschulen und Privat-Musikerziehern.
Ensembles von Musikschulen setzen, jedenfalls in einigen Kategorien,
Maßstäbe beim Deutschen Orchesterwettbewerb. Im Herbst
vergangenen Jahres hatte ich den Vorsitzenden des Landesverbandes
Hessen im VdM (Verband deutscher Musikschulen) zu Gast in meiner
Sendung „Musikszene Hessen“ (gibt’s jeden Samstag
ab 15.15 Uhr in HR 2 Kultur!), zuvor hatte man mich gebeten, eine
Podiumsdiskussion zu leiten, bei der es um die Folgen von PISA ging.
Der Geist Hans-Günter Bastians schwebt über solchen Veranstaltungen:
Musik und Musikerziehung ist das Allheilmittel für eine kranke
Gesellschaft – nur weiß es außer den Musikern
und Musikerziehern eben niemand oder will es jedenfalls nicht wahrhaben.
Der von Politikern reflexartig beschworene Segen der Ganztagsschule
kann sich auch ins Gegenteil verkehren: Wo bleiben Sportvereine,
Musikschulen und sonstige Jugendarbeit, wenn die Klientel künftig
bis abends in den Schulen verwahrt wird?
Und schließlich treibt mich noch eines um: Wenn zum Beispiel
ich selbst, nachdem die Kinder allmählich das Haus verlassen,
wieder Zeit und Lust hätte, Klavier zu spielen? Kann ich noch
einmal Unterricht nehmen? Kann ich mich dazu auch an die Musikschule
wenden? Ist das nicht für Musikschulen ein lukrativer Markt,
weil erwachsene „Überzeugungstäter“ vielleicht
auch bereit sind, reguläre Preise zu bezahlen? Also: hin zum
Musikschulkongress, machen wir solides Halbwissen und ein privates
„Problem“ zum Thema. Informieren kann man sich im Internet,
www.mu sikschulen.de/ seiten/projekte/msk. htm: Mit dem Titel „Musikschule
mit Vergnügen – Das Unterhaltende in der Musik“
lockte die diesjährige Veranstaltung nach Hannover. Ich suche
mir – aus Zeitgründen, aber auch weil – wenigstens
suggeriert das der Titel: „Erwachsenen-Instrumentalunterricht
am Beispiel Klavier“ – „mein“ Workshop dabei
ist, den Eröffnungstag aus.
Wohltuend der erste Eindruck: hier kommt die Basis hin, die Leute
von den Musikschulen vor Ort, keine Delegierten, dafür eine
erwartungsfrohe, lernbegierige Atmosphäre. Der VdM nimmt den
– bei anderen Musikverbänden durchaus nicht ausgeprägten
– Service für seine Mitglieder mindestens genauso ernst
wie die Lobbyarbeit. Ja, Aufkleber und Infomaterial für die
Identität, das Zugehörigkeitsgefühl sind wichtig.
Fast drei Dutzend Workshops, konkrete Arbeit, Kennenlernen, Erfahrungsaustausch,
wenig Gerede. Das Podium des einleitenden Roundtable ist so groß
besetzt, dass jeder nur zweimal zu Wort kommt. Meistens ist damit
schon alles gesagt. So auch hier. Georg Kindt, der Unermüdliche
vom „Verband deutscher Schulmusiker“ (das ist was anderes
als „Verband deutscher Musikschulen“– schon an
solch feinen Differenzierungen scheitert der Auftritt in der Tagesschau...),
zeigt Wege auf für die Kooperation von Schulmusik und Musikschulen,
wenn denn die Ganztagsschule kommt. Der Vertreter der Landes Niedersachsen
kennt sich gut aus, spontaner Beifall kommt auf, als er die mangelnde
Ausbildung der Musikschullehrer an den Hochschulen benennt: Tatsächlich
gibt es, anders als bei den Schulmusikern noch niemanden, der es
aus einer Musikschule zum Professor geschafft habe und nun, solchermaßen
mit Basiswissen versehen, die Studenten auf diesen speziellen Beruf
vorbereiten könnte.
Natürlich will und muss ich den Verbandsvorsitzenden befragen,
Gerd Eicker, ob und welche politischen Botschaften denn von diesem
Kongress ausgingen. „Die musikalische Ausbildung muss sichergestellt
werden, sie muss für breite Schichten finanzierbar bleiben,
Musik, die Sprache der Emotion, ist nicht nur in prosperierenden
Zeiten Kulturgut“, kom-mt es wie aus der Pistole geschossen.
Ob denn Unterricht für Erwachse- ne nicht immer wichtiger würde
und auch die klammen Kassen aufbessern könnte? „Ja, das
schon, aber es ist ein untergeordnetes Thema, Kinder und Jugendliche
stehen im Mittelpunkt“. Das überrascht mich doch ein
wenig. Andere Musikschulleiter werden konkreter: Die Musikschulen
müssen am Puls der Zeit bleiben, auf die Leute zu-gehen –
andererseits ihre Interessen noch politischer befolgen. „Am
Puls der Zeit bleiben“: wer bislang glaubte, Musikschulen
seien Horte elitärer Musikausbildung, Hinführung zur heiligen
E-Musik, den belehrt schon der Blick auf die Workshop-Themen eines
anderen. „Pop-Songs für flexible Ensembles“ gibt
es, „Musik als Tanzvergnügen“, „Rappers Delight“,
„Spass bei Saite“ – ja, Musik macht Spaß,
oder besser: Freude, auch wenn im E-Musik-Konzert niemand lacht,
niemand sich zu bewegen wagt, das Befolgen des Rituals eindeutig
vor dem lustvollen Erleben von Musik rangiert. Kein Wunder, dass
junge Leute da nicht so gerne hingehen...
Musikmachen ist sowieso interessanter als Musikhören. In den
vergangenen Jahren – das hat jetzt mit Musikschulen nichts
zu tun – gab es (initiiert vom Peters-Verlag) in Frankfurt
den Wettbewerb für Amateurmusiker: mal waren Pianisten, mal
Sänger, Mal Ensembles angesprochen. Die Resonanz: überwältigend.
Beim Sänger-Wettbewerb hatte ich das (zeitraubende) Vergnügen,
in der Jury zu sitzen. Wir haben die aus ganz Deutschland angereisten
Leute auch gefragt, warum sie teilnehmen und warum sie überhaupt
Musik machen. Teilnahme, klar: Man muss mal auf den Punkt kommen,
öffentlich auftreten ist eine andere Herausforderung, eine
andere Erfahrung als das Singen in der Badewanne oder bei der Arbeit
(das gab es auch: einen Lokführer, der bei der Arbeit singt!).
Dass Musik, und zwar Musikmachen, ein emotionaler Ausgleich für
ein sonst als einseitig kopflastig empfundenes Leben ist, Befreiung
von Stress und äußeren Zwängen, bestätigte
auf seine Weise fast jeder der Teilnehmer. Die Sprache der Emotion,
verklausuliert in künstlerische Formen, auf eine andere Ebene
gebracht mit der Disziplin technisch perfekten Ausdrucks!
Herbert Wiedemann leitet „meinen“ Workshop. Der Raum
ist überfüllt. Der smarte Referent pflegt seinen bayerischen
Akzent, das macht ihn geradezu volkstümlich. Man hört
gerne zu, auch weil er konkrete Beispiele aus seinem Unterricht
anführt und sich hin und wieder selbst ans Klavier setzt. Für
Musikschullehrer mag es ein alter Hut sein, für mich als Musikjournalisten
aber ist es neu und faszinierend: Klavierspielen ohne Noten. Einfach
hinsetzen und zum Beispiel ein Lied, ein Stück nachspielen.
Ein formales oder harmonisches Muster herausfinden, über dieses
Muster eine eigene Melodie spielen, improvisieren. Musik erfinden
und plötzlich merken: das klingt so ähnlich wie Schumann.
Oder Chopin. Oder Keith Jarrett (den mag Wiedemann besonders, weil
Jarre- tts konzertante Improvisationen das Geniale so anschaulich
einfach her-vorbringen). Wiedemann animiert, mehr oder weniger schwierige
Rhythmen zu klatschen. Sie der Musik unterzulegen. Er hat in mehreren
Büchern das Zusammenspiel der beiden Hirnhälften mit den
Folgen für das Musizieren beschrieben. (Aber auch Praktisches
wie zum Beispiel „Impulsives Klavierspiel“. Der Verleger
ist auch da und weist darauf hin). An einzelnen Sätzen solcher
Fachwort-Friedhöfe hangelt sich nun sein Vortrag entlang. Die
hier vorgeführte Praxis zeigt, was sie wirklich bedeuten. Wiedemanns
improvisierte Stilvariationen erreichen Bühnen-Niveau, mir
fällt dazu Reinhard Buhrow ein, der Pianist des Bosart-Trios,
dessen abenteuerliche, den Mustern einzelner Komponisten abgehörte
Stilparodien jeden Auftritt des Freiburger Musik-Kabaretts krönen.
Das ist virtuos und macht dem Wiedereinsteiger Mut und Lust. Die
Leute sind wie ich auch animiert und begeistert. Wiedemann wird
in der nächsten Zeit ein paar Bücher mehr verkaufen. Wieder
draußen frage ich herum nach dem speziellen Problem des Unterrichts
für Erwachsene. Jedes Alter muss individuell angesprochen und
unterrichtet werden, auch Kinder und Jugendliche unterschiedlichen
Alters, wissen die Experten. Bei Erwachsenen kommt ein organisatorisches
Problem hinzu, weil diese nicht auf den Nachmittag fixiert sind,
sondern auch morgens oder nur abends können – da ist
Flexibilität gefragt, sagt mir ein Musikschulleiter aus dem
Brandenburgischen. Eine Kollegin aus Ludwigsburg, die später
noch von dem sehr guten Angebot an musikmedizinischen Themen schwärmte,
empfindet die Arbeit mit Erwachsenen auch als Herausforderung für
die Lehrer: Erwachsene seien intellektueller, aber oft auch gehemmter,
von schlechten Erfahrungen geprägt und, ja, im Lernvermögen
begrenzt...
Ich glaube, viel gelernt zu haben während des kurzen Aufenthaltes
auf dem Musikschulkongress. Auch wenn es mit dem Klavierunterricht
noch nichts wird, weil die Arbeit des freien Musikjournalisten regelmäßiges
Üben kaum zulässt. Aber: einfach mal hinsetzen und etwas
ausprobieren, das geht schon. Czerny bleibt im Schrank, für
immer. Der Verband präsentierte sich von einer äußerst
vitalen Seite, auch wenn an der Info-Theke sich niemand um die Presse
kümmerte oder auf Fragen allgemeiner Art hätte präzise
Antwort geben können. Was andere Verbände vom VdM in jedem
Fall lernen können: durch Taten überzeugen. Ich habe Hannover
mit dem Eindruck verlassen, Musikschulen seien – bei allen
Beschwernissen im konkreten Fall – Quellen von Kreativität,
künstlerischer Kompetenz, geistiger Beweglichkeit und Experimentierfreude.
Die Lehrerinnen und Lehrer (oder sagt man: Musikerzieherinnen und
-erzieher?) mögen ihre Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen
(vielleicht auch mit Erwachsenen....). Vielleicht täuscht der
Eindruck. Vielleicht auch nehmen die Beteiligten es im alltäglichen
Trott gar nicht so wahr. Ich empfehle dem sich in der Krise wähnenden
Musikbetrieb als Ganzes, mal in einer Musikschule vorbeizuschauen.