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nmz-archiv
nmz 2003/06 | Seite 45-46
52. Jahrgang | Juni
Dossier: Amateure
& Liebhaber
Manchmal ist der Hobby-Musiker seriöser als der Profi
Kleine Typologie des musikalischen Laien · Von Eckart
Rohlfs
Unter den Amateuren gibt es drei Typen. Die einen fühlen sich
bewusst als solche. Als Liebhaber der Musik sitzen sie tagsüber
in Büros, Studios, Praxen, konstruieren, verwalten, richten.
Neben dem Beruf beherrscht sie eine zweite, davon abgetrennte Welt.
Das ist die bewusste Wahl, die Berufung in den Amateur-Status. Mit
der Selbstverpflichtung für die eigene Aktivität. Jeden
Montag beispielsweise ist ihnen der Quartettabend heilig wie anderen
der Club oder Stammtisch. Ein Amateur sucht mit seinem Hobby –
in der Regel oder in erster Linie – nicht den wirtschaftlichen
Profit, sondern den persönlichen Gewinn.
Foto: Martin Hufner
Die andere Kategorie sind zwangsläufige Amateure, die sich
mit Ach und Tränen diesem Status gefügt haben. Sie wollten
wohl musikalisch hoch hinaus, aber nach einem vielleicht begonnenen
Musikstudium hat das Leben sie eingeholt, in andere Bahnen und Fährten
gebracht und so führen sie den Haushalt, die Kanzlei, Vaters
Betrieb weiter. Forschen, Lehren oder Dienstleisten. Samstagnachmittag
gehen sie in den Kirchen- anstatt in den Opernchor, in die Blaskapelle
statt Philharmonie. Bei jeder Gelegenheit betonen sie, bei dem oder
jenem immerhin einige Semester Klavier oder Gesang studiert zu haben.
A- ber es sollte, musste dann doch ein „vernünftigerer“
(sicherer?) Brotberuf sein, meinten die Eltern oder die eigene Einsicht,
eingestehend, dass die Studienkonkurrenz über das überzeugendere
Talentpotential verfügte. Deshalb schwingt zeitlebens und unmerklich
ein bisschen Wehmut mit über das nicht erreichtes Musikerparadies.
Und die dritte Kategorie gibt es eigentlich nicht. Es sind die
Noch-nicht-echten oder besser die All round-Amateure, die einmal,
vielleicht zweimal in der Woche beim Musiklehrer in der Musikschule,
vielleicht im Musikverein, im Schulorchester oder beim Privatlehrer
ihr „Date“ haben und dafür mehr oder weniger lust-
und freudvoll ihr Pensum üben. Alle andere Freizeit ist gemäß
vielseitiger Interessenlage gut und gleichgewichtig verplant mit
Sportverein, Theatergruppe, Tanz- oder Malkurs. Wenn sie aber zufällig
beim Laienwettbewerb „Jugend musiziert“ dann doch einmal
eine Preisurkunde nach Hause bringen, fängt die Phantasie bei
Vater, Mutter und Sohn oder Tochter zu arbeiten an: vielleicht gar
doch zur Musikhochschule, eine Karriere auf den Brettern der Welt
riskieren, Glück, Erfolg und Gagen sich erobern? Brotverdienen
mit Musik oder doch besser nicht? Vielmehr den Spaß und die
erreichte musikalische Technik weiterpflegen, weiterentwickeln.
Neben einem kunstfremden Studium, einem anderen Brotberuf lieber
ein kreatives ein aktives Pendant haben: Musizieren als Liebhaberei
bewahren, als Ausgleich, als schönste Nebenbeschäftigung
für mehr Lebensqualität. Mitspielen in der Wilden Gungl,
in der Blaskapelle, im Sängerkreis. Dazu Konzerte erleben,
wann und wo man will und kann, und nicht wann und wo man muss? So
wird man Musik-Amateur.
Die Typisierung der Amateure mag man fortsetzen. Der Deutsche
Musikrat, Umbrello deutscher Musikorganisation, gibt vor, für
rund jene acht Millionen Menschen zu sprechen, die sich für
Musik aktiv engagieren. Immerhin zehn Prozent der Bevölkerung.
Sieben Millionen davon gehören, statistisch glaubhaft nachgewiesen,
der organisierten Amateurszene an. Den Großteil davon machen
die mehr oder weniger regelmäßig aktiven Sänger
und Instrumentalisten aus, die sich in zigtausend Vereinen oder
anderen gesellschaftlichen Gruppierungen und Spartierungen mit ihrem
Musik-Hobby zu Hause und in guter Gesellschaft fühlen. Ein
Drittel der sieben Millionen ist jener soeben geschilderte Typ Drei,
der nach Früherziehung, Schule, Musikschule, Privatunterricht
und Volkshochschule sich bewusst für lebenslange Musikliebhaberei
entscheidet, ganz gleich ob Pop, Folklore, Jazz-Combo, Kirchenchor,
Sängerkreis oder Liebhaberorchester.
Foto: Martin Hufner
Darüber hinaus bleibt da noch jene Dunkelziffer zigtausender
nichtorganisierter Amateurmusiker. Zum Beispiel die vielfältigen,
ganz privat gestrickten Zyklen und Zirkel, die ihre musikalischen
Rendevous in Heimeran-Manier betreiben, die mit Originalnachbauten
sachkundig Alte Musik zum Steckenpferd erkoren haben, oder die mit
Hackbrett, Zither, Mandoline ihren Spaß beim musikalischen
Weekendstammtisch haben. Und alle können, was sie spielen,
und spielen was sie können, mitunter ziemlich profi-like. Der
Amateurmusiker ist mitunter alles andere als ein musikalischer „Nichtfachmann“.
Denn als solchen erklärt ihn der Duden. Im Gegenteil: er gerät
aus lauter Begeisterung am Fachidi-otismus leicht an den Rand des
Sek- tierens. Der Weg zum Semi-Profi, der dem echten Profi das Wasser
reicht, ist oft nicht mehr weit. Mag auch sein, dass der passionierte
Hobby-Musiker sein musikalisches Tun und Fachwissen mit weit mehr
Spaß und Intension betreibt als manch Geiger nach 30 Orchesterjahren
am fünften Pult links innen.
Wie „Profi-like“ Amateure die Kunst beherrschen und
wie sich beweisen, belegen inzwischen die unter ihresgleichen ausgetragenen
Wettbewerbe. So der jährlich in Paris ausgetragene weltweite
„Grands Amateurs de Piano“, dem die nmz wiederholt Aufmerksamkeit
schenkte. Da wirbt ein Concours de piano amateur de l’Ecole
Polytechnique im französischen Palaiseauder oder für die
„Musikbesessenen“ in Paris ein Concours Européen
pour les Mélomanes ab 25 Jahren aufwärts. Nachahmer
und große Nachfrage auch in Amerika, zum Beispiel im neuen
Amateur Piano Competition Van Cliburn in Fort Worth/Texas. Kein
Wunder: die traditionelle Amateur Chamber Music Players gehört
zu den mitgliederstärksten Musikvereinigungen in der Neuen
Welt. Ähnlich die CAMAC, die Amateurmusikervereinigung Kanadas,
o-der die Amateur Music Association im Vereinigten Königreich.
Japan kündigt gerade einen weltweiten Folklore-Wettbewerb für
Jung und Alt an. Und gut frequentiert sind die zahlreichen competitive
Festivals der Volks-, Laien- und Chormusik ohne Alterslimit in aller
Welt, die für Reiselust und Ansporn zur Niveau- und Repertoirepflege
sorgen. Inzwischen laden hier-zulande gemeinsam der Klassik-Verlag
Peters, die Bach-Stadt Leipzig und mdr-Kultur schon wiederholt zum
Amateur-Wettbewerb alle Altersstufen in verschiedenen Fächern
ein.
Sieben Millionen und mehr Menschen in Deutschland, die man der
musikalischen Amateurszene zurechnet, eingeschlossen all jene, die
im Ehrenamt der Sache dienen, das darf – zitiert nach dem
Musik-Almanach – , „nicht nur unter dem Gesichtspunkt
der Kunst- und Traditionspflege gesehen werden. Die gemeinschafts-
und gesellschaftsbildende wie auch jugendpflegerische Aufgabe der
Laienmusik und ihrer organisatorischen Zusammenschlüsse haben
hohen gesellschaftspolitischen Stellenwert“. Vereinigungen
der Musikamateure verstehen sich nicht nur als Ort regionaler Kunst-,
Musik- und Heimatpflege, „sondern auch als Institution sozialer
und kommunikativer Repräsentanz“. Vor allem sind die
Mitglieder der zahlreichen Amateurverbände auch greifbare Wählerstimmen,
also politisch relevant. So stellen sich Politiker bei Fest und
Feier gerne mit auf den hohen Wagen und singen oder blasen mit oder
reden zumindest wohlgetönt der Volks- und Laienmusik recht
güldne Worte.
In hohem Maße ist alles rings um die Laienmusik auch wirtschaftlich
bedeutsam. Allein für die eigene und der Kinder Musikausbildung
wenden Familien alljährlich Millionen auf. So stellt die Amateur-Riege
für die Musikbranche ein kommerziell bedeutsames, nutzbares
Käuferpotential dar. Denn der Hobbymusiker muss schließlich
seinen „hortus musicus“ bestellen. Dafür wird schwer
verdientes Geld gern und leicht ausgegeben. Für Instrument,
Noten, allerhand Zubehör, und ebenso für die Geselligkeit
da-nach. So wirken Amateur-Aktivitäten überall hin. Gastronomie,
Tourismus, Garderobe, und was immer als steuerrelevante Umwegrentabilität
evident erscheint. Was wiederum deutlich macht, wie sich ein der
Laienmusik zukommender Förderimpuls öffentlicher oder
privater Hand letztlich rechnet. Auf das Geschäft, Amateure
zu professionalisieren, verstehen sich die Medien auf ihre Weise.
Spektakuläre Amateure zum Superstar der Popszene zu hieven
und daraus ihr Kapital zu schlagen.
Wenn Bundespräsident Rau – jüngst bei der 100-Jahrfeier
der musikalischen Verwertungsgesellschaft GEMA – vor weiteren
Einsparungen bei der Musikerziehung in Deutschland warnt und Kinder
und Jugendliche ermuntert, „wieder mehr zu singen oder ein
Instrument zu spielen und damit vielleicht auch zu mehr Menschenfreundlichkeit
in diesem Land beizutragen“, dann denkt er sicher nicht an
weitere arbeitslose Musiker, sondern an das, was Musik und Musizieren
an Lebensqualität bringt. Und weil er den Wert der Laienmusikpflege
gesellschaftspolitisch hoch einschätzt, hält der Bundespräsident
dafür zwei spezielle Auszeichnungen bereit, die „Zelter-Plakette“
und die „Pro Musica-Plakette“. Sie werden jährlich
an besonders traditionsreiche Chöre und Orchester, „für
künstlerische und volksbildende Verdienste“ verliehen.
Und deshalb ist er auch Schirmherr der Laienwettbewerbe „Jugend
musiziert“, die seit 40 Jahren der Breite des Amateurmusizierens
in all seinen Facetten einen ebenso bedeutsamen Zuwachs an Qualität
gebracht haben wie in der künstlerischen Spitze für den
musikalischen Berufsnachwuchs. In der Quantität hat die Amateurszene
hiervon zweifellos den noch größeren und nachhaltigeren
Gewinn. Deshalb muss es „Jugend musiziert“ weiterhin
geben, vielleicht mit noch mehr darauf abgestimmten Zielvorstellungen.
„Jugend musiziert“ – das ist zu 90 bis 95 Prozent
eine Demonstration für die über sieben Millionen jungen
und sich musikalisch jung fühlenden Amateur-Musiker in unserem
Land.