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nmz-archiv
nmz 2003/06 | Seite 8
52. Jahrgang | Juni
Kulturpolitik
Lieber weniger Lorbeeren, aber mehr Vorschuss…
Grußwort von Bundespräsident Johannes Rau aus Anlass
des 100-jährigen Jubiläums der GEMA am 2. Mai 2003 in
Berlin
Ein Jubiläum, ein hundertjähriges, ist eine feierliche,
eine festliche Angelegenheit. Man versucht sich einzustimmen auf
den Jubilar und fragt sich: Wie macht man das? Gelegentlich bekommt
man auch unernste Gedanken, vor allen Dingen, wenn man zu vielen
Jubiläen muss. Und so habe ich überlegt: Wie bringe ich
Urheberrecht und meine Grußworte miteinander in Verbindung,
wie bringe ich die GEMA dazwischen? Und dann habe ich nachgedacht,
was wäre, wenn ich mein Grußwort nicht spräche,
sondern sänge? Welche urheberrechtlichen Konsequenzen hätte
das – zumal ich nicht mehr ganz sicher bin, ob ich eigentlich
für meine Rolle in der Oper vom Fuchs das Honorar bekommen
habe, als ich die Rolle zweimal gesprochen habe.
Den Boden bereiten für
Kreativität: Bundespräsident Johannes Rau.
Foto: GEMA-Kommunikation
Erschrecken Sie nicht! Ich werde nicht singen. Es spräche
zu vieles dagegen. Erstens, dass der Kreis der Freunde des Gesangs
hier in diesem Saal sofort abnähme. Zweitens, die Lärmschutzverordnung.
Denn meine stimmlichen Möglichkeiten stehen ein wenig im Widerspruch
zur der großen Freude, die ich selber am Singen habe. Aber
es wäre schon interessant, einmal zu überlegen, welche
urheberrechtlichen Folgen ein gesungenes präsidiales Grußwort
hätte. Wäre es genehmigungs- oder auch gebührenpflichtig?
Und was sagt die Verfassung dazu?
Als Richard Strauss, der schon Zitierte und der schon Gehörte,
und andere Kreative vor hundert Jahren den Grundstein dafür
gelegt haben, ihre Rechte und Interessen gemeinschaftlich wahrzunehmen,
da hatten sie auf diesem Gebiet in Deutschland Pionierarbeit vor
sich.Wenn wir heute an Richard Strauss denken, an Paul Lincke, an
Humperdinck oder auch an Gustav Mahler, dann werden für uns
Partituren zum musikalischen Erlebnis, ob im Konzertsaal, in der
Oper, oder zu Hause oder auf der CD. Wer käme da auf die Idee,
an Geld zu denken? Aber es gibt ein Zitat von Karl Valentin, das
schon ein wenig in die Richtung weißt: „Kunst ist schön“,
hat er gesagt, „macht aber viel Arbeit“.
Wer an der kreativen Arbeit anderer auf eine so schöne Weise
teilhaben darf, soll nicht nur nehmen, sondern auch geben. Denn
auch das, Herr Professor Kreile, steht in der Bibel. Geben ist seliger
denn nehmen. Und dass sie die feine Formulierung „Der Arbeiter
ist seines Lohnes wert“ der Bibel entnommen haben, habe ich
als freundlich empfunden. Denn im gleichen Buch heißt es an
anderer Stelle: „Man soll dem Ochsen, der da drischt, nicht
das Maul verbinden.“
Ich will also jetzt nicht so weit gehen, Geben und Nehmen als
die Wiege des Urheberrechts-Gedankens und der Verwertungsgesellschaft
darzustellen. Aber um Bezahlungsgerechtigkeit, um Teilhabe und damit
um die sichtbare materielle Wertschätzung von Kreativität
ging es damals – und geht es auch heute.
Hier in Berlin muss man Wolfgang Neuss zitieren, der wollte irgendwann
nicht mehr Kabarettist sein. Er blieb es in der Erinnerung doch
immer. Er hat einmal gesagt: „Lieber weniger Lorbeeren, aber
mehr Vorschuss“. Dem werden viele Künstler zustimmen.
Vor hundert Jahren hat die Frage, die sich die Genossenschaft deutscher
Komponisten gestellt hat, ja noch fundamentaler geklungen: Wie schafft
man eine gerechte Beteiligung der- jenigen, die dafür sorgen,
dass man überhaupt Werke aufführen kann? Als künstlerische
Ich-AG wären sie wirkungslos geblieben. Aber gemeinsam haben
sie es geschafft.
Komponisten, Textdichter und Musikverleger haben deshalb den richtigen
Weg gewählt, die Vertretung ihrer Interessen zu treuen Händen
zu geben. Das ist für die Verwertungsgesellschaft eine große
Verantwortung und heute – angesichts einer sich mit Hochgeschwindigkeit
verändernden Welt – auch eine tägliche Herausforderung.
Richard Strauss hatte zu seiner Zeit die Schellackplatte als Tonträger.
Die digitale Welt von heute verlangt andere Antworten.
Die GEMA wird heute wahrgenommen als ein engagierter Streiter
und Anwalt der Interessen der Urheber. Sie ist gut vernetzt –
wie man heute sagt – und sie pflegte die internationale Zusammenarbeit
schon zu einer Zeit, als es das Wort Globalisierung noch gar nicht
gab. Diebstahl kreativen Eigentums macht ja vor Ländergrenzen
nicht Halt. Ich verstehe die Sorgen vieler – nicht nur hier
im Saal – und manche haben mir auch geschrieben, dass die
technische Entwicklung die Hemmschwelle herabgesetzt hat, sich ungeniert
geschützter Werke zu bedienen.
Aber nicht jeder Wanderverein, der auch singt, hat eine große
Rechtsabteilung, die ihm das Urheberrecht in allen Verästelungen
nahe bringt. Gewiss, das Interesse, Urheberrechte wahrzunehmen,
ist berechtigt. Aber ich meine, auch Sensibilität sei ein guter
Ratgeber, wenn es darum geht, sie durchzusetzen.
So wichtig es ist, an einem solchen Jubiläumstag auf das
zurückzuschauen, was erfolgreich geleistet worden ist, so notwendig
ist es, auch die Zukunft nicht aus dem Auge zu verlieren, was die
Grundlage des Verwertungsgedankens ausmacht: Kreativität und
schöpferische Fantasie.
Die fallen ja nicht vom Himmel. Sie sind auch das Ergebnis von
Bildung und Förderung junger Menschen im Elternhaus und in
der Familie, wenn Elternhaus und Familie versagen. Wir diskutieren
heute über die Folgen der demografischen Entwicklung für
unsere sozialen Sicherungssysteme. Das ist nötig und das ist
richtig. Ge-nauso nötig ist es aber, darüber nachzudenken,
was es für eine Gesellschaft bedeutet, wenn es immer weniger
junge Menschen gibt, die selber Musik machen, weil an Musikschulen
oder an der musischen Bildung in den Schulen gespart wird.
Bei mancher Diskussion um Einsparungen in diesem Bereich habe ich
die Sorge, dass wir uns in einigen Jahren verwundert die Augen reiben
werden, wenn Kreativität oder Neugier auf Kreativität
nicht mehr nachwachsen oder wenn wir erkennen, dass Talente sich
nicht haben entfalten können, wie sie es verdient hätten.
Darüber müssen wir öffentlich sprechen, damit kein
Schaden im Interesse unserer Kinder entsteht. Da geht es auch um
die kulturelle Zukunftsfähigkeit unseres Landes.
Ich weiß mich mit vielen Institutionen und vielen Verbänden
in diesem Ziel einig. Als ich mir vor einiger Zeit überlegt
habe, was ich dazu beitragen könnte, dem Thema wieder den nötigen
Rang zu verschaffen, ist die Idee eines Projekttages „Musik
für Kinder“ entstanden. Ich lade für den 9. September
musikalische Initiativen und Projekte ins Schloss Bellevue und in
den Schlosspark ein. Sie sollen stellvertretend für viele andere
dazu anstiften, dass Kinder und Jugendliche nicht nur Musik hören,
sondern auch selber Musik machen.
Was ich heute vom Programm weiß, das zeigt mir, es kann mit
ganz einfachen Mitteln gelingen, Kinder und Jugendliche zum Musizieren
anzustiften. Ich möchte die natürliche Bereitschaft, die
Neugier fördern, zu singen oder ein Instrument zu spielen.
Vielleicht entsteht daraus eine Aktion, die all denen hilft, die
sich um musikalische Bildung und Erziehung in Deutschland kümmern
und die damit zur Menschenfreundlichkeit, zur Lebensqualität
und zur kulturellen Zukunftsfähigkeit unseres Landes beitragen.
Die GEMA hat zu den ersten gehört, die mich bei diesem Vorhaben
unterstützen wollten. Dafür danke ich und darüber
habe ich mich gefreut. Das zeugt auch von Weitblick, weil das Verwertungsrecht
ja die Folge einer schöpferischen Tätigkeit ist. Die Folge
und nicht die Ursache.
Die Musikerziehung in Deutschland muss – auch in Zeiten
knapper Kassen – einen hohen Stellenwert behalten und sie
muss ihn zurückgewinnen, wo sie ihn verloren hat. Bildung ist
mehr als PISA. Musikalische Bildung erst recht. Wir brauchen Bildung
und Erziehung, auch jenseits von Nützlichkeit und Verwertbarkeit.
Wir müssen den Boden bereiten für Kreativität. Und
wenn daraus später einmal auch Erfolge im ökonomischen
Sinne wachsen, Erfolge in Euro und in Cent, dann wird das meine
Freude jedenfalls nicht schmälern.