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nmz-archiv
nmz 2003/06 | Seite 10
52. Jahrgang | Juni
Kulturpolitik
Musikstadt Hamburg in a-Moll
Zu einer Diskussion im Hamburger Kulturforum im März 2003
Wie attraktiv ist Hamburg als Musikstadt – kann es der Konkurrenz
der deutschen Großstädte noch standhalten? Wie sehen
es seine eigenen Bewohner und – nicht zuletzt – kann
Hamburg noch auf die Unterstützung der Kulturpolitik bauen?
Es galt, den Standort Musikstadt Hamburg zu klären. Zu diesem
Anlass lud das Hamburger Kulturforum am 30. März in der Freien
Akademie der Künste zu einer Podiumsdiskussion ein. Unter der
Leitung Theo Geißlers (nmz) diskutierten der Staatsopernintendant
Louwrence Langevoort, der Komponist und Professor Peter Michael
Hamel, Konzertveranstalter Karsten Jahnke sowie die Journalisten
Werner Burkhardt (Süddeutsche) und Christoph Twickel (Szene
HH). Das im November 2000 gegründete Kulturforum setzte damit
seine Reihe „Glänzende Aussichten?“ fort, in der
Perspektiven für Hamburgs Kunst und Kultur erörtert werden.
Provokant eröffnete Theo Geißler den Abend mit der Feststellung,
dass man in der Reflektion über Musikstädte sofort an
München, Köln oder Berlin denke – der Name Hamburg
jedoch eher in die hinteren Ränge abtauche. Ein Statement,
das Protest erweckt, aber auch den Handlungsbedarf aufzeigt. Hamburg
erlebt derzeit eine starke öffentliche Diskussion über
die Kulturpolitik, die Kritik an Hamburgs Kultursenatorin Dana Horakova
macht auch vor bundesweiten Medien keinen Halt mehr. Der Kulturetat
wurde um 100.000 Euro gekürzt, ein Fehlbetrag, den die Kultur
in allen Bereichen zu spüren bekommt. Wichtige Musikfirmen
wie Universal haben der Stadt den Rücken zugekehrt, es folgen
die IFPI und der Deutsche Phonoverband – ganz zu schweigen
von den zahlreichen Musikern, die in eigenen Worten gesprochen,
„die Schnauze voll haben“ von Hamburg – einer
der größten Städte Deutschlands, die jedoch Musikschaffenden
wenig Unterstützung bietet.
Bei allen Kritikpunkten waren sich die Beteiligten schnell einig
– das Problem der Musikstadt Hamburg als Standort ist weit
vielschichtiger, als dass man den schwarzen Peter einfach der Kultursenatorin
unterschieben könnte. So spricht Werner Burkhardt seine Eröffnungsrede
„in a-Moll und nicht in strahlendem Dur“: Die Probleme
liegen in der Überalterung des Publikums – vom Silberlockenmeer
der Opernbesucher war gar die Rede.
Hinzu komme die Eventgeilheit der Jugendlichen, die Fantasielosigkeit
der klassischen Programme und nicht zu vergessen das Phänomen
„Crossover“, eine Mischung aus E- und U-Musik, von der
sich manch Veranstalter Massenpublikum erhoffe, in dem beide Musikstile
verlören und der Zuhörer letztendlich nur Leere zu hören
bekäme.
Klar ist, dass es in Hamburg – wie in jeder anderen Stadt
auch – zwei Seiten der Medaille gibt. Die Unterhaltungsbranche
boomt vergleichsweise mit ihren Musicals oder Megakonzerten in der
Colorline-Arena sowie im Stadtpark. Ein Faktum, weshalb Hamburg
in Karsten Jahnkes Urteil als beste Musikstadt im bundesweiten Vergleich
abschneidet. Auch die Clubszene Hamburgs scheint kommerziell und
ideell gesund dazustehen. Christoph Twickel spricht gar von einer
hohen Identität der Popkultur. Die Stadt ist voll von Rappern
und HipHoppern, Bands wie „Die Sterne“ und „Tocotronic“
locken viele Zuzügler in die Hansestadt.
Anders sieht es da im Bereich der sogenannten Kunstmusik wie Neue
Musik oder Jazz aus. Zeitgenössische Musik hat es naturgemäß
schwerer, Publikum zu ziehen – hier fällt jedoch die
städtische Förderung im bundesweiten Vergleich weit hinten
ab. Bietet die Hochschule eine hervorragende, breitgefächerte
Ausbildung für den Nachwuchs, werden die Künstler anschließend
jedoch kalt auf die Strasse entlassen. Der Humus der Stadt wird
geradezu ausgetrocknet – Peter Michael Hamel erklärt
Hamburg gar als Nullstadt für die Avantgarde.
Sieht man einmal von der Kulturpolitik ab, liegt ein großes
Problem für den Standort Hamburg im Marketing der Stadt. Das
interessierte Publikum ist existent, nur die Kommunikation scheint
zu fehlen. Die Medien berichten wenig über die eigenen Künstler
– 90 Prozent dessen, was in Hamburg veranstaltet wird, findet
beispielsweise im Radio keine Resonanz. Die freie Plakatierung wurde
abgeschafft, Werbung für die Konzerte ist für viele schlicht
unerschwinglich geworden. Ferner hat Hamburg zu lange stillschweigend
zugeschaut, anstatt seine Probleme nach außen zu kommunizieren,
zu lange jeder für sich still in seinem eigenen Bereich gejammert.
Das Kulturforum hat zu Beginn des Jahres mit seinem offenen Brief
an den Bürgermeister der Hansestadt die Diskussion unter den
Kulturschaffenden losgelöst, was nicht zuletzt das immense
Echo der Presse zeigt. Unumstritten bleibt der Fakt, dass Hamburg
ein großes Potenzial in sich birgt. Die Auftrittsmöglichkeiten
für Musiker sind in den letzten Monaten wieder stark gestiegen
– allein im Bereich der Jam-Sessions haben sich sieben neue
Spielorte erschlossen. Was Hamburg fehlt, ist neben der Kulturpolitik
die Kommunikation zwischen den unterschiedlichen Kulturschaffenden
und die Bereitschaft, sich gegenseitig zu unterstützen. Große
Konzerte laden keine lokalen Künstler ins Vorprogramm –
der Nachwuchs wird eher sträflich behandelt. Wenn die Kulturschaffenden
der Stadt erreichen, ihre hanseatische Vornehmheit beiseite zu schieben
und gemeinsam für die Kultur der Stadt zu arbeiten, schafft
Hamburg es vielleicht wieder, in der ersten Liga als Musikstadt
mitzuspielen.