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nmz-archiv
nmz 2003/06 | Seite 10
52. Jahrgang | Juni
Kulturpolitik
Der Idee die Flügel erhalten
Ein Gespräch mit Gabriele Minz, der Projektleiterin des
Festivals young.euro.classic
Veranstaltet wird das Festival vom Deutschen Freundeskreis Europäischer
Jugendorchester in Zusammenarbeit mit Jeunesses Musicales und dem
Konzerthaus Berlin. Alle Fäden laufen seit dem Start im Jahre
2000 in den Händen von Gabriele Minz, der Projektleiterin,
zusammen. Die nmz traf sich mit ihr inmitten der Vorbereitungen.
nmz: Wenn Sie in den Festival-Annalen blättern
– welches war in den bisherigen Jahren die schwierigste Situation,
die Sie zu meistern hatten?
Kompetenzen bündeln:
Gabriele Minz. Foto: Y.E.C
Gabriele Minz: Mein schrecklichstes Erlebnis war
gleich im ersten Jahr, als die Belgier ganz kurz vor dem Festival
ihre Teilnahme absagten, weil sie nicht genügend qualifizierte
Geiger zusammenbrachten. Sie hatten zunächst eifrig geprobt,
aber dann für sich beschlossen: So können wir nicht nach
Berlin fahren! Als sie mich anriefen, habe ich ihnen geantwortet:
„Das akzeptieren wir nicht. Für jedes Problem gibt es
eine Lösung. Ihr kommt!“ Und es fand sich natürlich
eine Lösung, sogar eine sehr einfache: Wir haben fünf
Geiger aus einem anderen Jugendorchester ausgeliehen. Und es wurde
ein sehr schönes Konzert. Besonders spannend finde ich, wenn
Musiker eines Orchesters, das am folgenden Tag spielt, einem anderen
am Vorabend zuhören. Daraus ergibt sich im Konzertsaal eine
ganz eigentümliche Atmosphäre. So hatten wir bei den Norwegern
plötzlich La-Ola-Wellen im Publikum – auf dem Rang saßen
die französischen Musiker.
nmz: Die Idee, ein Festival zu gründen, kommt
einem ja nicht alle Tage. Was gab den Ausschlag bei Ihnen?
Minz: Angefangen hatte es mit einem ehrenamtlichen
Engagement für das RIAS-Jugendorchester, das Anfang 1998 abgeschafft
werden sollte. Damals überlegten Willi Steul, seinerzeit noch
Chefredakteur für DeutschlandRadio, und ich, wie das zu verhindern
sei, denn uns faszinierte die Grundidee dieses Orchesters: Gut ausgebildete
jungen Leute erhalten die Gelegenheit, sich in professionellem Rahmen,
sprich: in einem wunderbaren Haus mit einem renommierten Dirigenten,
gegebenenfalls auch mit renommierten Solisten zu erproben. Erste
Schritte in die Wirklichkeit des Berufslebens unter so optimalen
Bedingungen zu machen – das ist ein Modell, das man jedem
Auszubildenden, jedem, der studiert hat, einrichten müsste.
Der zweite Impuls für dieses Festival war ein Erlebnis der
etwas anderen Art: ein Zusammentreffen mit Managern europäischer
Jugendorchester. Ich hatte das zuvor so noch nicht erlebt. Die waren
jeden Alters von Mitte zwanzig bis über sechzig – sie
brannten für die Musik, waren voller Leidenschaft für
ihre jungen Orchester. In diesem Rahmen kam das Thema eines Festivals
der europäischen Jugendorchester erstmals auf. Die Initiative
geht auf Arthur van Dijk zurück, den Manager des Niederländischen
Jugendorchesters, der sehr kompetente und sehr innovative Konzepte
entwickelt hat. Er war damals zugleich Vorsitzender der „Federation
of National Youth Orchestras“ mit Sitz in Amsterdam. Es war
seine Idee, europäische sinfonische Variationen überall
in Europa erklingen zu lassen.
nmz: Wie haben Sie sich motiviert, zu einem solchen
Unterfangen den ersten Schritt zu wagen?
Minz: Es hörte sich tatsächlich zunächst
mal ganz abgehoben an. Wissen Sie, ich selbst spinne auch gern,
bin immer für abgehobene Ideen. Aber zu meinen Fähigkeiten
gehört genauso, dass ich solche abgehobenen Ideen vom Kopf
auf die Füße stellen kann. Ich kann sie so sortieren,
dass die Flügel bleiben, aber ohne die Gefahr, die Bodenhaftung
zu verlieren. Projekte müssen zunächst einmal Interessenten
finden. Wo kein Bedarf ist, muss man ihn wecken. Ein einzelnes Jugendorchester
wird meist als „nett“ wahrgenommen, als Laienspielgruppe.
Dass es sich dabei oft um ein höchst professionelles Unternehmen
handelt, weiß kaum jemand.
nmz: Der „Deutsche Freundeskreis europäischer
Jugendorchester“ ist Organisator, zugleich stehen hinter so
einem Festival ja immer konkrete Menschen – wie beispielsweise
Sie als einer der Initiatoren und Motor zugleich…
Minz: „Freundeskreis“ haben wir uns
genannt, weil da wirklich Freunde zusammen gekommen sind. Wir haben
die Idee eines Festivals sehr pragmatisch in Angriff genommen. Es
ging ja zunächst darum, ihr auf die Füße zu helfen.
Wir haben zum Beispiel den großartigen Dieter Rexroth als
Künstlerischen Leiter – ein Fundus mit enormer Kompetenz
und Kreativität. Es gehört sicher auch zu den Fähigkeiten
unseres Festival-Büros, Kompetenzen zu bündeln. Anfangs
machten uns insbesondere einige Orchestermanager den Vorwurf, wir
hätten doch gar keine Ahnung von Musik. In gewissem Sinne hatten
sie Recht – wir haben schließlich nicht Musikwissenschaft
studiert. Aber wie viele Orchestermanager gibt es, die nicht wissen,
wie man managt!
nmz: Das Festival ist institutionell weder durch
das Land Berlin oder den Bund noch durch eine andere öffentliche
Instanz getragen. Das liest sich wie: „Es ist ganz und gar
unabhängig!“ Ist das von Vorteil oder wäre es nicht
besser, es fände Platz unter einem Dach, wo ihm regelmäßige
Fürsorge zuteil würde?
Minz: Da wohnen zwei Seelen in meiner Brust, und
ich bin, offen gestanden, da auch nicht festgelegt. Es sollte ja
zunächst eine einmalige Angelegenheit werden, aber durch den
überraschenden Erfolg wird man natürlich trunken und sagt
sich: Das machen wir gleich noch mal. Wir haben daraufhin viele
gescheite Leute angesprochen – schließlich hatten wir
ja etwas mitzubringen: eine Organisationseinheit und private Sponsoren.
Uns ging es jetzt um die öffentliche Seite. Unser Motto war
immer: für eine private Mark eine öffentliche. Letztendlich
ist diese Förderung am Geld gescheitert – weil sich niemand
in der Lage sah, für die öffentlichen Gelder einzutreten.
Also haben wir bei der EU gefragt. Die Verbindung dorthin kam mit
Hilfe von „Jeunesses musicales“ zustande. Drei Jahre
lang – in diesem Jahr wahrscheinlich zum letzten Mal –
haben wir durch die EU eine formidable Unterstützung erfahren.
Wir sind in dieser Hinsicht tatsächlich das größte
Projekt, das in Deutschland jemals gefördert wurde. Wir finden
das angemessen – und sind zugleich ganz stolz darauf.
nmz: Die Dirigentenliste weist ja auch eine Reihe
sehr prominenter Namen auf, wie etwa Lothar Zagrosek, Ingo Metzmacher
oder Jukka-Pekka Saraste. Da liegt die Vermutung nahe, dass dies
ein nicht unerheblicher Kostenfaktor für das Festival ist…
Minz: Theoretisch schon. Aber unser Budget ist
insgesamt nicht so ausgestattet, dass wir uns Honorare wie sonst
üblich leisten können. Da reden wir eher über Kostenerstattung.
So ist es ja auch bei den Orchestermusikern, da geht es höchstens
einmal um ein Taschengeld. Wir haben aber festgestellt, dass man
mit allen Dirigenten und Solisten reden kann. Das sind Menschen,
die ihr Können, die reichen Gaben, die das Leben ihnen zur
Verfügung gestellt hat, auch ganz bewusst in den Dienst der
jungen Musiker stellen.