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nmz-archiv
nmz 2003/06 | Seite 25
52. Jahrgang | Juni
Laienmusik
„KLASSIK IS’ COOL!“ will junge Menschen begeistern
Ein Gemeinschaftsprojekt der Deutschen Oper und der Dresdner
Bank AG in Berlin
Das Projekt KLASSIK IS’ COOL! hat die Zielsetzung, junge Menschen
für die klassische Musik zu begeistern und erhielt im Jahr
2003 den 2. Preis des “Innovationspreises Ehrenamt”
der Bundesvereinigung Deutscher Musikverbände e.V.
KLASSIK IS’ COOL! ist das Jugendprogramm der Deutschen Oper
Berlin. Es besteht seit 1995 und hat seitdem eine kontinuierliche
Entwicklung vollzogen. Aus reinen Marketingüberlegungen ist
es entstanden. Man wollte versuchen, möglichst viele Jugendliche
zum Besuch des Opernhauses zu animieren, und startete einen Modellversuch
an sechs Schulen in Berlin-Charlottenburg. Die Begeisterung aufseiten
der jungen Menschen war so groß, dass man bereits im zweiten
Jahr von den rein marketingtechnischen Überlegungen Abstand
nahm und sich auf ein kulturpädagogisches Vermittlungskonzept
einigte, welches bis heute die Grundlage von KLASSIK IS’ COOL!
darstellt. Es gelang 1996, die Dresdner Bank AG in Berlin als Exklusivsponsor
zu gewinnen und damit innerhalb der Deutschen Oper Berlin eine Unabhängigkeit
von den Abteilungen Marketing und Dramaturgie zu erreichen. Mittlerweile
nehmen rund 400 Schulen (Schüler von 5 bis 20 Jahren, alle
Schultypen) in Berlin und dem Bundesland Brandenburg an KLASSIK
IS’ COOL! teil und rund 30.000 jungen Menschen pro Spielzeit
wird Kultur vermittelt. Seit 1996 wurden über 250.000 junge
Menschen mit der Deutschen Oper Berlin vertraut gemacht.
System der Vermittlung
Kulturinstitutionen sind oftmals in sich geschlossene Kleinstaaten
mit unterschiedlicher Führung. Mit KLASSIK IS´COOL! wurden
innovative We-ge gefunden, die Grenzen der Deutschen Oper Berlin
zu erweitern, sie transparent zu gestalten und den Jugendlichen
und ihren Familienmitgliedern die Scheu zu nehmen, sich mit Opern
zu beschäftigen. Der erste konkrete Schritt besteht in einem
Erzeugen von Interesse und Begeister- ung für das Metier der
Oper. Schüler und Lehrer suchen sich ein Werk des Spielplanes
aus. Nach Kontaktaufnahme mit KLASSIK IS’ COOL! erhalten sie
ein Referat in ihrer Schule durch einen Referenten des Jugenpro-gramms.
Die Referenten sind ausgewählt nach den Kriterien der Begeisterungsfähigkeit
und des Fachwissens. Ein Schwerpunkt der Referate ist, einen Einblick
in eine Inszenierung der Deu-tschen Oper Berlin zu geben und eventuelle
Fragen im Vorfeld mit den Schülern zu klären. Der wissende
Zuschauer sieht und hört mehr. Nach dem Referat in der Schule
wird das Auditorium an einem der folgenden Tage in eine Probe oder
zu einer Führung in die Oper eingeladen. Die Schüler lernen
die verschiedenen Räume des Hauses (Malsaal, Werkstätten,
Bühnen, Orchestergraben) und die unterschiedlichen Berufe kennen,
deren besondere Ausübung zum Erfolg des Opernabends beiträgt.
Diese beiden Schritte tragen zur Motivation des freiwilligen Opernbesuches
der Jugendlichen bei. Hier hat KLASSIK IS’ COOL! spezielle
Preise mit der Theaterleitung ausgehandelt: Für acht Euro haben
die Jugendlichen auf bevorzugten Plätzen mit optimaler Sicht
und Akustik (meist Parkett, Reihen 10 bis 15) die Gelegenheit, die
Vorstellung zu erleben, und können ihre Freunde und Eltern
auch mitnehmen. So gelingt es oft durch begeisterte Schüler,
Eltern, die zuvor nie in einem Opernhaus waren, in Vorstellungen
des Hauses zu locken. Die Freiwilligkeit der Schüler ohne den
Druck einer Arbeit über das gehörte Werk ist hier elementar
entscheidend für eine spätere Wiederholung des Opernbesuches.
Jugendarbeit und Marketing
Hat Jugendarbeit etwas mit Marketing zu tun? Ist es problematisch,
die Kinder und Jugendlichen in der Motiva-tion für Kunst und
Kultur als eine „Zielgruppe“ zu bestimmen und nach marketingadäquaten
Faktoren einzuordnen? Marketing bedeutet vereinfacht die Grundeinstellung
eines Unternehmens zum Markt, die besagt, dass „der Schlüssel
zur Erreichung unternehmerischer Ziele darin liegt, die Bedürfnisse
und Wünsche des Zielmarktes zu ermitteln und diese dann wirksamer
zufrieden zu stellen als die anderen Wettbewerber.“1 Als wohlfahrtsorientiertes
Marketingkonzept bezeichnet man ein Konzept, „das besagt,
dass die Aufgabe der Organisation darin besteht, die Bedürfnisse,
Wünsche und Interessen der Zielmärkte zu ermitteln und
auf eine Weise zu erfüllen, die die Lebensqualität der
Gesellschaft bewahrt oder verbessert.“2 Die individuellen
Bedürfnisse der Jugendlichen liegen, wie es in diesem Entwicklungsstadium
des Menschen normal ist, in der Suche nach der eigenen Identität.
Hinter dieser Suche verbergen sich wichtige psychologische Prozesse,
individuelle Werthaltungen und Einstellungen, eine Koordinierung
des eigenen Ich mit anderen, Authentizität und Glaubwürdigkeit
im eigenen sozialen Kontext. Ein wohlfahrtsorientiertes Marketingkonzept
ist kein Verkaufsprogramm. Das wirtschaftliche Ziel eines Opernhauses,
nämlich bei einer vollen Auslastung einen höchstmöglichen
Ertrag an Eintrittsgeldern zu erzielen, wird durch eine spezielle
Preisstruktur für die Jugendarbeit beeinträchtigt. Langfristig
gesehen bleibt der vorbereitete Opernbesuch den jungen Menschen
in so positiver Erinnerung, dass eine Wiederholung noch im Schulalter
oder später im Erwachsenenalter dann zu normalen Preisen erfolgt.
Somit verlagert sich für die Kulturinstitution der monetäre
Erlös in die Zukunft. Dadurch dass sehr viele Schüler
jährlich durch KLASSIK IS’ COOL! die Deutsche Oper Berlin
besuchen, wird diese Jugendarbeit auch als Wirtschaftsfaktor zu
einer bestimmten Größe innerhalb des Hauses. In der Hauptsache
kommt es dem Team von KLASSIK IS’ COOL! jedoch auf den Reichtum
der Gefühle an, die jedes Opernwerk in sich trägt.
Die Multiplikatoren
Will man die Schüler in Berlin und Brandenburg erreichen,
kann dies in erster Linie nur über die Lehrer als wichtigste
Multiplikatoren geschehen. Generell bietet KLASSIK IS’ COOL!
in allen Schulen Flyer an und ist über die Homepage www.klassikiscool.de
zu erreichen. Der persönliche Kontakt und die persönliche
Beratung in der Auswahl der Opernwerke ist jedoch entscheidend für
ein Vertrauensverhältnis zu der Lehrerschaft. Besonders Info-Tage
sind hier sehr wichtig. In Anlehnung an eine Premiere werden Lehrer,
Referendare und Oberstufenschüler einen ganzen Tag in die Deutsche
Oper Berlin eingeladen. Während dieses Tages erhalten sie über
den Inhalt des Opernwerkes, die zeitgeschichtliche Einordnung der
Entstehung (Parallelen zur Kunstgeschichte), die Inszenierung und
die Probenarbeit die wichtigsten Informationen, besuchen eine Bühnen-Orchesterprobe
und haben in einer Gesprächsrunde Kontakt zu den Protagonisten
der Premiere. Hier waren bereits Stars wie Katharina Thalbach (Regisseurin
von „Das schlaue Füchslein” von Janacek) oder Spitzeninterpreten
wie Christina Gallardo-Domas und Marcello Alvarez (die gefeierte
Premierenbesetzung zu „La Traviata”) Gesprächspartner
der Lehrerschaft. Für andere Kulturinstitutionen sind solche
Info-Tage mitt-lerweile ebenfalls ein Modell geworden, um eine Inszenierung
in Berlin einer neuen Publikumsschicht zu präsentieren.
Bundesweite Resonanz
Täglich erreichen KLASSIK IS’ COOL! neue Anfragen.
Das Jugendprogramm erhält mittlerweile auch bundesweit eine
Resonanz. So wurde ein in ganz Deutschland publizierter musikpädagogischer
Tag zu „Saint Francois d´Assise“ von Olivier Messiaen
im Juni 2001 sehr gut angenommen. Im März 2003 wurde KLASSIK
IS“ COOL! auf der Frankfurter Musikmesse mit dem „Innovationspreis
Ehrenamt 2003” des Bundes der Deutschen Musikverbände
(BDMV) ausgezeichnet. Im Rahmen des „Flottenversuches”
durch die Konzerne Shell und Volkswagen wird dem Jugendprogramm
am 6. Mai 2003 in Anwesenheit des Bundeskanzlers ein VW-Golf GTI
für ein halbes Jahr zur Verfügung gestellt.
Der Weg der Vermittlung von Kultur an junge Menschen ist manchmal
mit Mühen verbunden, aber im Erfolgsfall umso dankbarer –
ein Weg, auf dem KLASSIK IS’ COOL! – Ein Gemeinschaftsprojekt
der Deutschen Oper und der Dresdner Bank AG in Berlin in den kommenden
Jahren noch viele junge Menschen begleiten möchte.
Holger Simon ist in diesem Monat Gastautor der von Nico Lauxmann
und Stefan Liebing in der meuen musikzeitung (nmz) initiierten Artikelserie
„Laienmusik im Umbruch“.
Der Autor dieses Artikels ist seit 1991 Fagottist im Orchester
der Deutschen Oper Berlin. 1995 hat er das Jugendprogramm KLASSIK
IS’ COOL! an der Deutschen Oper Berlin ins Leben gerufen.
Von 1996 bis 2001 studierte er den Diplomstudiengang „Kulturelles
Management” an der Fernuniversität in Hagen und hat bereits
zahlreiche Projekte und Konzerte organisiert. Neben seiner Tätigkeit
als Konzertbei- rat und Orchestervorstand der Deutschen Oper Berlin
galt sein besonderes Interesse der Arbeit mit jung- en Musikern.
Von 1997 bis 2000 war er Manager der Deutsch-Skandinavischen Jugend
Philharmonie in Berlin und danach Interimsgeschäftsführer
des Bundesjugendorchesters (BJO).