[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2003/06 | Seite 12
52. Jahrgang | Juni
Medien
Anregen, wachsen sehen und verantworten
Ein Interview mit dem Deutschlandfunk-Redakteur Frank Kämpfer
Anlässlich des Festivals „Forum neuer Musik“ vom
14. bis 16. März 2003 im Deutschlandfunk Sendesaal führte
Georg Beck ein Gespräch mit Frank Kämpfer, dem Redakteur
„Neue Musik und Oper“ beim Deutschlandfunk.
nmz: In einer Ihrer Konzerteinführungen haben
Sie an die mäzenatische Verpflichtung des öffentlich-rechtlichen
Rundfunks erinnert. Das schienen mir insofern ungewöhnliche
Töne zu sein, als der Mäzen heute ja doch mittlerweile
vollständig durch den Sponsor verdrängt ist…
Frank Kämpfer. Foto:
Archiv
Kämpfer: Suche nach Partnern schließt
nicht aus, dass man selbst Verantwortung übernimmt. Zudem ist
der öffentlich-rechtliche Rundfunk aus der jahrzehntealten
Verpflichtung, Neue Musik durch Auftragsvergabe und in Gestalt von
Konzerten zu fördern, bis heute nicht entlassen. Auch wenn
angesichts der stilistischen Inflation oder Explosion heutigen Komponierens
nicht mehr die Frage des Überlebens neuer Musik steht. Bei
uns im Deutschlandfunk ist es Tradition, selbständig zeitgenössisches
Komponieren zu fördern und zu initiieren, und es gibt diese
Möglichkeit immer noch. Wenn ich also heute ein Konzertwochenende
in unserem Sendesaal programmiere, so ist es meine Aufgabe zu erkunden,
wen ich zu unseren Konditionen sinnvoll fördern kann und womit
ich unser Publikum zugleich bereichere.
nmz: Gerade im Fall eines überregional strahlenden
Senders wie dem Deutschlandfunk stellt sich die Frage nach der Verantwortlichkeit,
nach der Ästhetik eines zuständigen Redakteurs für
Neue Musik und Oper ja doch in besonderem Maß, womit ich mich
hier einmal nach den Kriterien erkundigen möchte, nach denen
Sie Ihre (Aus)Wahl treffen, wenn Sie ein Festival wie das „Forum
neuer Musik“ planen?
Kämpfer: Ich halte als Redakteur eines deutschlandweiten
Programms meine persönlichen Vorlieben eigentlich für
ganz unwichtig. Verantwortung wahrzunehmen bedeutet heute vielmehr,
einen weiten Horizont zu haben, möglichst Unterschiedliches
wahrzunehmen und wiederzugeben. Das war letztlich auch die Kernidee
des Konzertwochenendes „Forum Neue Musik“ 2003. Vier
Projekte zu bündeln, die stilistisch nicht zusam-mengehören,
von denen aber jedes für sich eine Existenzberechtigung hat
und für eine Möglichkeit heutigen Komponierens einsteht.
Natürlich ist es wichtig, sich von anderen Veranstaltern zu
unterscheiden und niemanden nachzuahmen. Ich sehe es deshalb nicht
als meine erste Aufgabe an, Komponisten, die bereits in Donaueschingen,
Darmstadt oder Witten gefördert werden, automatisch in meine
Programme zu kopieren. Das hieße, es sich doch ein wenig einfach
zu machen. Viel mehr Spaß macht es doch, selbst etwas anzuregen,
wachsen zu sehen und zu verantworten.
nmz: Mit anderen Worten – einen Bogen machen
um die Megastars der Szene…?
Kämpfer: Es wäre zu definieren, wer
ein Megastar in dieser Szene ist. Hans Werner Henze wird ganz sicher
keine Oper für den Deutschlandfunk Sendesaal schreiben und
Lachenmann keine neue Orchestermusik. Das wäre ja ganz unverhältnismäßig.
Die Proportionen müssen stimmen. Und man muss Lücken erkennen
und füllen. Für meine Arbeit sehe ich es perspektivisch
als sinnvoll an, Aufträge an jüngere Komponisten und Komponistinnen
zu vergeben, die mit Hilfe unseres Förderungsschubs eine Weiterentwicklung
durchlaufen können und wollen. Die so genannten namhaften,
auf dem Markt der neuen Musik bereits etablierten Leute, mit deren
Uraufführungen sich mancher Veranstalter schmückt, sind
für mich an dieser Stelle also nicht die ,Zielgruppe‘
für unser Konzertwochenende. Aber ich verschließe mich
nicht grundsätzlich erfolgreichen Leuten oder den Vertretern
einer anderen Generation. Wir haben im Sendesaal bei- spielsweise
in Kooperation mit CD-Partnern Rihms Streichquartette mit dem Minguet
Quartett produziert – oder Stockhausens „Tierkreis“
mit einer Truppe um Mike Svoboda. Aber auch hier war dieser mäzenatische
Gedanke im Spiel – wir fördern jetzt diese jungen Musiker
beziehungsweise ein wirklich verrücktes Projekt.
nmz: Was die Ausgabe 2003 des Forums neuer Musik
anlangt, schien mir die Latte mit den beiden Aufträgen an Maria
de Alvear und Juliane Klein erfreulich hoch gehängt zu sein.
Also da gab es mit „Flores“ zunächst einen nach
außen gekehrten Blütentraum von Maria de Alvear, ein
von ihr sogenanntes „Ereignis“ für zwei Frauenstimmen,
Solotrompete, Ensemble, Elektronik einschießlich Videoinstallation…
Kämpfer: Das war in diesem Jahr eine große
Herausforderung für uns. Obwohl der Deutschlandfunk wahrlich
kein Veranstaltungszentrum für experimentelle Kunst sind, muss
ich meinen Kollegen von der Technik ein besonderes Kompliment machen.
Das Zusammenspiel von Live-Musik, Elektroakustik und Videoprojektion
hat perfekt und zur Zufriedenheit der Komponistin funktioniert.
Das wird uns anspornen, auch künftig Multimedialem nicht aus
dem Weg zu gehen. Die Grundlage für einen Erfolg wie diesen
ist es aber vor allem, die vielen Kollegen, deren Mitarbeit bei
einem Konzertwochenende unverzichtbar ist, die sich aber nicht unbedingt
für neue Musik begeistern, zu motivieren und als Menschen zu
behandeln.
nmz: Aufwändig war auch Juliane Kleins „Psalm
23“. Auch hier zwei Sänger, dazu siebzehn Instrumentalisten
und darunter wechselnde Streichergruppen ohne Blickkontakt zum Dirigenten,
was ja bedeutet, dass sie aus der Partitur spielen müssen,
womit zwar keine neue, aber eine doch vergleichsweise wenig praktizierte
Verantwortlichkeit in die Orchesterarbeit hineinkommt, was das Ensemble
Resonanz letztlich unglaublich sensibel, aufmerksam und präzis
umgesetzt hat…
Kämpfer: Juliane Klein war ein Glücksfall.
Sie ist in einem großen Entwicklungsprozess und was wir ihr
hier bieten konnten, erfolgte genau im richtigen Moment. Dass eine
junge Frau von Mitte dreißig einen Psalm komponiert, das ist
heute sicher schon etwas völlig Verrücktes. Aber dazu
dann noch in der zeitlichen Dimension einer Bruckner-Sinfonie –
das ver-langt wirklich Respekt. Sie hat unseren Auftrag für
sich wirklich auch wörtlich genommen: etwas zu komponieren,
was sie sonst nicht machen würde und auch nicht realisieren
könnte.
nmz: Noch einmal konkret nachgefragt zur Programmauswahl
in diesem Jahr: Was sind Ihre Kriterien und Überlegungen?
Kämpfer: Maria de Alvear und Juliane Klein,
Katia Tchemberdji und Jacob ter Veldhuis sind Leute, die alle etwas
Eigenständiges versuchen und trotzdem von den großen
Festivals eher gemieden werden. Die haben wir zusammengeführt,
um das Verschiedenartige heutigen Komponierens zu betonen. Ein zweiter
Aspekt resultiert aus den zwei großen Auftragswerken, die
ich mit dem Anspruch umschreiben möchte, existenziellere Fragen
behandeln zu lassen. Maria de Alvear natürlich in einer spirituelleren
Weise als Juliane Klein, die den großen Bekenntnispsalm eher
von außerhalb des zu behandelnden Glaubens anging. Und drittens
– ich möchte natürlich auch ein wenig wider den
Stachel des Traditionellen löcken.
nmz: Sie meinen Jacob ter Veldhuis, der einen
handelsüblichen Ghettoblaster provokant auf einen Tisch stellt
und diesen – daran hat es mich erinnert – wie auf dem
„Genter Altar“ mit einem roten Tuch umhängt, nur
dass der „Altar“ ein Tisch und das „Lamm“
ein Musikautomat ist…
Kämpfer: Wahrscheinlich bestimmt man mit
Jacob ter Veldhuis keine künftige Richtung zeitgenössischen
Komponierens, aber man kann zeigen, dass man keine Scheu vor populäreren
Klängen hat und dass man den bisher gehegten Elfenbeinturm
für unrelevant hält. Außerdem war ter Veldhuis ein
guter Ansatzpunkt, um die Zusammenarbeit mit dem Luise von Duesberg-Gymnasiums
in Kempen fortzusetzen. Schüler der oberen Klassenstufen haben
im Stil von ter Veldhuis komponiert und das interessanteste Stück
wurde dem Publikum vorgestellt. Da sind wir also wieder beim Pädagogischen
und von mir aus auch beim Mäzenatischen. Dieses Mal aber auch
im Bezug auf das Publikum, das sich übrigens dringend noch
weiter verjüngen muss. Eben darum heißt meine Maxime:
sich öffnen, weg von falscher Stringenz, herunter vom Sockel,
auf Leute zugehen. Deshalb liefen die Konzerte im März auch
mitten im Saal, mit dem Publikum auf gleicher Höhe. Das war
mir ein sehr wichtiger Punkt und meine Kollegen vom Sendesaal haben
mich dabei unterstützt.
nmz: Zum Schluss noch ein Wort zu künftigen
Ausgaben des Forums Neuer Musik: Sind hierfür Auftragswerke
im Umfang wie 2003 geplant?
Kämpfer: Selbstverständlich –
vorausgesetzt, dass es auch in der Zukunft einen Etat dafür
gibt. Davon gehe ich allerdings aus. Größere neue Arbeiten
sind allerdings erst für das Jahr 2005 vorgesehen. Natürlich
kann ich die Namen jetzt noch nicht nennen, aber die Vorbereitung
dafür ist längst in Gang. Im kommenden Jahr, also vom
12. bis 14. März 2004, ist das Programm stärker auf Interpreten
konzentriert. Auf Interpreten und Projekte, die in den Osten und
in den Westen Europas schauen und viel-leicht Wechselwirkungen beleuchten.
Aus Prag kommt das junge Ensemble „Mondschein“, aus
Holland der Pianist Marcel Worms, mit „Icebreaker“ aus
London bin ich im Gespräch – und es gibt ein sehr interessantes
Konzert mit neuen Namen und Werken aus dem Baltikum.
Interview: Georg Beck
DLF-Konzertmitschnitt im Juni
8.6., 21.05 Uhr, Jacob ter Veldhuis: Porträtkonzert