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2003/06 | Seite 14
52. Jahrgang | Juni
Musikvermittlung
Keimzelle für Solisten, Dirigenten und Lehrer
Ein Besuch beim Buskaid Streicherprojekt in Soveto/Südafrika
Hierzulande werden anstehende Kürzungen in den großen
Sinfonieorchestern zunehmend beklagt. In Südafrika dagegen
ist die Situation bereits seit mehreren Jahren katastrophal. Inzwi-schen
wurden nahezu alle Berufsorchester des Landes rigoros geschlossen.
In Soweto hat ein Jugendorchester die Profis regelrecht überrannt.
Mittlerweile ist das Buskaid Streicherprojekt unter künstlerischen
wie musikvermittelnden Aspekten so berühmt, dass es eigenverantwortlich
zunehmend die wichtigsten musikalisch repräsentativen Aufgaben
Südafrikas übernimmt.
Rosemary Neldon und ein
Assistant Teacher bei der Probenarbeit. Fotos: Christine
Heinrich
In nur 18 Monaten habe ich bereits gesehen, welche wunderbaren
Ergebnisse diese Jugendlichen mit allem erreichen können, mit
dem sie in Kontakt kommen. Ich bin sicher, dass sie in einem Jahr
ihr eigenes professionelles Ensemble gründen können; um
ihre eigene Zukunft zu gestalten und unzähligen anderen große
Freude zu bereiten. Aus dieser Gruppe werden Solisten, Dirigenten
und Manager hervorgehen und vielleicht als Wichtigstes von allem:
neue Lehrer. Alle verbunden durch ihren besonderen afrikanischen
Musikstil und der Gemeinschaft des Streicherunterrichtes.“
So schreibt Rosemary Neldon 1998 über ihre Arbeit in Soweto/
Südafrika.
Seitdem ist viel passiert: Samstag, der 12. Oktober 2002, 9.15
Uhr Treffpunkt in Parktown, einer der „guten“ Vororte
Johannesburgs. Dort lernen wir Rosemary Neldon, Bratschistin und
Musikerin bei Sir Eliot Gardiner, die Leiterin des Buskaid Projekts
(„buskaid“ ist der Korb eines Straßenmusikers)
kennen. Wir folgen ihrem zerbeulten weißem Nissan über
die M1 und den Soweto Highway, vorbei an Downtown Johannesburg nach
Diepkloof. Nach den blühenden Frühlingsgärten der
Vorort-Wohnhäuser und der Skyline der City nun das dritte Bild
Johannesburgs: eine kleine weiße, von einer privaten Security
Firma gesicherte Missionsstation, umgeben von so genannten „shacks“,
den kleinen Holz- und Blechhäusern. In diesen Townships leben
fast nur schwarze Afrikaner. Der Unterricht der Buskaid-Streicher
findet in dem kleinem weißen Kirchenraum mit einklappbaren
Rollos zur Verbesserung der Akustik statt.
Die jüngste Musikerin ist sieben Jahre alt. Nachdem neun Geigen
und ein Cello eingestimmt sind, beginnt die Stunde mit viel Musik.
Bogenübungen und technische Anweisungen für die linke
Hand folgen. Rosemary unterrichtet nach der Methode Paul Rollands,
bei der Geigen-, Bratschen-, Cello- und Bassschüler im Streichorchester
unterrichtet werden. Unterstützt wird Rosemary dabei von zwei
älteren Schülern, Lisiku, einem 19-jährigen Geiger,
und Gilbert, dem Cellisten.
Während Rosemary den Unterricht leitet, gehen die beiden „Assistant-Teacher“
leise durch die Reihen, korrigieren hier eine Bogenhaltung oder
erklären dort einen Rhythmus. Die Stunde endet mit einem Improvisationsspiel,
welches Lisiku leitet. Rosemary begleitet am Klavier und Gilbert
unterstützt die kleine Cellistin. Während die Anfänger
ihre Instrumente einpacken, bauen Lisiku und Gilbert mit Hilfe der
fortgeschrittenen Schüler Stühle und Notenständer
für eine Orchesterprobe auf. Währendessen zeigt uns Rosemary
die liebevoll sortierte Notenbibliothek und berichtet uns kurz,
wie es zu diesem Projekt gekommen ist: 1992 hörte sie in einer
BBC Radiosendung ein Interview mit den Mitgliedern des „Soweto
String Quartetts“, vier jungen schwarzen Musikern, die unter
schwierigsten Umständen ihren Weg begonnen haben. Beeindruckt
von dem musikalischen Potenzial erspielte sie in einer „Bus-
kaid“-Straßenmusik Aktion zusammen mit Kollegen in London
das Startkapital für ihr gleichnamiges Projekt.
Seitdem lebt sie zwischen London und Johannesburg, kämpft
und engagiert sich unermüdlich für ihre Schüler,
denen sie durch das Instru- mentalspiel Zukunftsperspektiven und
manchmal auch ein kleines Einkommen bieten kann. So studieren bereits
einige ihrer ersten Schüler in Europa, andere sind als Lehrer
in das Projekt eingebunden.
Begonnen hat Rosemary mit 15 Schülern, jetzt sind es 60.
Kommen darf jeder. Wer sich durch Einsatz und Zuverlässigkeit
auszeichnet, darf bleiben und bekommt nach einer Probezeit von einigen
Wochen sein eigenes Instrument.
Inzwischen konzertieren die jungen Musiker und Musikerinnen in
ganz Südafrika, spielen bei offiziellen Anlässen und füllen
dadurch einen Teil der Lücke, die die Schließung nahezu
aller professionellen Orchester hinterlassen hat. Jedoch nicht nur
in Südafrika sind sie gern gehört und gesehen. Mehrere
Konzertreisen haben die begabten Instrumentalisten nach Europa und
Amerika geführt, 2002 waren sie in Australien und Neuseeland.
Sie beeindrucken durch professionelles Niveau und mitreißende
Musikalität. Die besten Grundlagen für ein neues afrikanisches
Selbstbewusstsein in Zeiten des Aufbruchs und der Neuorientierung
eines ganzen Kontinents.