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nmz-archiv
nmz 2003/06 | Seite 7
52. Jahrgang | Juni
Musikwirtschaft
Geplante und gebaute Stille
Akustikingenieur Karlheinz Müller zur Bauakustik des Essener
Saalbaus
Stille, das heißt Geräuschfreiheit und akustische
Ruhe, ist in einem Konzert-saal und Kongresssaal wie die Philharmonie
im Saalbau Essen von größter Bedeutung. Die Stille ist
die Basis für die Entwicklung einer guten raumakustischen Qualität.
Einer, der sich darauf spezialisiert hat, Stille zu produzieren
ist der Akustikingenieur Karlheinz Müller. Die neue musikzeitung
fragte ihn nach seinen Konzepten.
nmz: Herr Müller, Sie sind ein renommierter
und erfahrener Akustiker. Was machen Sie beziehungsweise Müller-BBM
im Einzelnen? Entwickeln Sie akustische Maßnahmen nur für
Konzertsäle oder auch für andere Räume?
Karlheinz Müller.
Foto: M. Hufner
Karlheinz Müller: Das Ingenieurbüro
Müller-BBM befasst sich mit der Baua-kustik und Raumakustik
unterschiedlichster Räume. Nicht nur Konzert- säle und
Theaterräume sind Gegenstand unserer Untersuchungen, sondern
auch Büro- und Verwaltungs- bauten, Wohnhäuser, Kirchen,
Mehrzweckhallen, Hörsäle, Seminarräume, Kinos, Studioräume,
Messehallen, Einkaufszentren et cetera. Auch elektroakustische Anlagen
sowie Durchsage- und Inspektionsanlagen werden von uns umfassend
geplant.
Darüber hinaus befasst sich Müller-BBM mit Schallschutzfragen
für Verkehr und Umwelt, mit Schwingung- und Erschütterungsschutz
sowie mit aktiven Schall- und Schwingungskompensationen. Im Bereich
der Fahrzeugakustik sind wir auf dem Gebiet der Kraftfahrzeugtechnik,
der Schiffsakustik und der schienengebundenen Fahrzeuge tätig.
Diese kurze Übersicht macht deutlich, dass wir alle Sparten
der Akustik abdecken. So können wir bei Konzertsälen und
Theaterbauten für alle bau- und raumakustischen Probleme funktionsfähige
Lösungen erarbeiten. Bei-spielsweise waren beim Konzerthaus
Wien schwierige Renovierungsaufgaben zu lösen. Bei den neuen
Konzertsälen in Rom, dem „Auditorium di Roma“,
wurden innovative Wege der Bauteiltrennungen und der raumakustischen
Konfigurationen sehr erfolgreich gegangen. Im gleichen Zeitraum
haben wir die Akustik bestehender, großer Industriehallen
für die Ruhrtriennale so umgewandelt, dass erfolgreiche Aufführungen
möglich sind.
nmz: Gibt es einen Favoriten unter ihren bisherigen
Projekten? Wenn ja, warum?
Müller: Nein. Alle unsere Projekte sind
meistens sehr interessant und erfordern oft das gesamte Wissen des
Müller-BBM Teams. Wir sind auf dem Gebiet der Akustik ein sehr
großes Büro, das sich jedoch auch mit vielen kleinen
Problemen und Fragestellungen auseinandersetzt und Lösungsmöglichkeiten
erarbeitet. Dazu noch eine rein persönliche Meinung: Akustische
Planung ist eine interdisziplinäre Ingenieurarbeit, die zwischen
unterschiedlichen Gewerken und unter-schiedlichen subjektiven Auffassungen
angesiedelt ist. Dies heißt nichts anderes, als dass man in
ein vielschichtiges Planungs- und Nutzerteam eingebunden ist. Das
Wissen zur Lösung akustischer Probleme ist in unserem Haus
vorhanden. Die erfolgreichen Projekte spiegeln die gute Zusammenarbeit
des Planungsteams und die richtige Abstimmung mit den Auftraggebern
und den Nutzern wieder.
nmz: In unserem heutigen Interview geht es vor
allem um die Begriffe Bauakustik und Raumakustik. Bitte erklären
Sie diese unseren Lesern am Beispiel Saalbau Essen, der derzeit
zur Philharmonie Essen umgebaut wird.
Müller: Die Begriffe Bauakustik und Raumakustik
sind relativ einfach zu unterscheiden.
Bei der Bauakustik schütze ich mich oder einen Raum vor fremden
Geräuschen. Der Akustikplaner muss komplexe Isolationsmaßnahmen
gegen Luft- und Körperschalleinwirkung entwickeln. Hier wird
der Schall und die Schallausbreitung als etwas angesehen, das uns
oder den späteren Nutzer stören wird. Für einen Konzert-saal
wie dem Saalbau Essen bedeutet dies, dass Ruhe und Stille trotz
vieler umliegender lauter Störquellen entstehen muss.
Bei der Raumakustik ist es umgekehrt. Hier hat der akustische
Planer die Wirkungsweise einer Schallquelle, sei es ein Sprecher,
ein Sänger, ein Instrumentalmusiker oder ein ganzes Orchester
zu unterstützen. Die Schall-ausbreitung sollte möglichst
gleichmäßig, klang- und lautstärketreu über
eine große Zuhörerschaft erfolgen können. Die akustische
Qualität des Saales muss so ausgestattet werden, dass die Künstler
oder die Musiker das Gefühl haben vom Raum akustisch „getragen“
zu werden. Bei den Zuhörern muss der Eindruck entstehen, in
den Musikvortrag „eingebunden“ zu sein. Die Sprechakustik,
sei es mit oder ohne elektroakustische Anlage, muss eine entsprechend
gute Satz- und Silbenverständlichkeit garantieren, ohne dass
Klangfärbungen und Echos hörbar sind. Die Raumakustik
unterstützt also die Schallausbreitung und sieht den Schall
hier als wünschenswertes Ereignis an.
nmz: Der Saalbau der Philharmonie Essen ist ein
Bauen im Bestand: Welche besonderen Anforderungen entstehen hier
für die Akustiker?
Müller: Das Bauen in einem bestehenden eventuell
sogar historischen oder denkmalgeschützten Gebäude erfordert
ein noch intensiveres Planen und noch bessere Abstimmungen zwischen
Bauherrschaft, Architekten und den anderen Planungspartnern als
bei einem Neubau. Es müssen oft Lösungen gefunden werden,
die außerhalb des üblichen technischen Rahmens liegen.
Außerdem können bei solchen Bauten nicht alle Normen
aber auch Wünsche des Nutzers eingehalten werden, da der Schutz
des historischen Bestands Priorität hat. Beim Saalbau Essen
konnten jedoch bisher Lösungen gefunden werden, die den großen
Konzertsaal in die bestehende historische Hülle des Saalbaus
einbindet, ohne dass Beschädigungen des Bestands und akustische
Kompromisse, die die Nutzung beeinträchtigen, eingegangen werden
mussten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass auch bei Neubauten
häufig Kompromisse ein-gegangen werden müssen, die entweder
aus einem engen finanziellen Rahmen oder von der Größe
des Grundstücks herrühren.
Das Interview führte Andreas Kolb
Welche verschiedenen Lösungen zur Klärung der Fragen
der Bauakustik und der Raumakustik beim Saalbau Essen aufgegriffen
wurden, wird in den folgenden Ausgaben beschrieben.