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nmz-archiv
nmz 2003/06 | Seite 6
52. Jahrgang | Juni
Musikwirtschaft
Unterwegs mit der SchoolTour 2003
Musikwirtschaft und Bundesregierung beschließen Zusammenarbeit
für besseren Musikunterricht an deutschen Schulen
Der Pakt ist besiegelt, die Karawane zieht durchs Land. Gemeinsam
mit der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) und der
MAWA Film- und Medien GmbH entwickelte die Deutsche Phono-Akademie
e.V. ein völlig neues Konzept zur Vermittlung von Popkultur
für alle Schultypen.
nmz: Welchen Stellenwert hat die SchoolTour für
die Deutsche Phono-Akademie?
Oliver Schulten.
Foto: Phono-Akademie.
Oliver Schulten: Das Projekt hat einen extrem
hohen Stellenwert, weil es mit den ursprünglichen Aufgaben
und Zielen der Deutschen Phono-Akademie eng verbunden ist. Hierzu
gehört nicht nur die Unterstützung des künstlerischen
Nachwuchses, sondern eine Förderung der Musikkultur generell.
Die Schule und der gegenwärtige Zustand des Musikunterrichts
dort kann uns daher nicht gleichgültig sein.
nmz: Pop und Politik kennt man aus Debatten und
Kontroversen, meistens in jüngster Zeit verbunden mit Themen
wie Urheberrecht und Rundfunkquote für deutsche Künstler.
Jetzt gehen Pop und Politik erstmals gemeinsame Wege, wie ernst
muss man das nehmen?
Schulten: Das leitet sich aus den von uns gemeinsam
formulierten Ansprüchen und der bisher schon gemeinsam erlebten
Praxis deutlich ab. Ich denke, dass die Politiker inzwischen begiffen
haben, dass sie sehr viel besser wieder an Jugendliche herankommen
und dort mehr Glaubwürdigkeit aufbauen können, wenn sie
sich ganz konkret in Projekten engagieren, die diese Klientel auch
wirklich erreicht. Über ein solches Engagement mit uns in den
Schulen kann die Politik beweisen, dass sie die Jugendlichen ernst
nimmt und auch ihre Interessen vertritt, ein gutes Mittel gegen
Wahlmüdigkeit.
nmz: Was steht auf dem Stundenplan der Veranstalter?
Schulten: Das ist die direkteste Vermittlung
von Popkultur mit vielen interessanten inhaltlichen Zusammenhängen,
die man sich nur vorstellen kann, denn hier kommen die Themen aus
der Praxis in die Schule. Künstler können natürlich
viel besser vermitteln wie es ist, jeden Tag mit und von Musik zu
leben. Hierbei bietet eine Institution wie die Deutsche Phono-Akademie
mit ihren direkten Kontakten zu Musikwirtschaft und Künstlern
optimale Voraussetzungen für ein solches Vorhaben.
nmz: Wie kommt denn diese Idee bei Künstlern
an?
Schulten: Sehr gut, es hat ja auch bereits schon
vorher viele Versuche in dieser Richtung gegeben. Künstler,
insbesondere auch junge Künstler, haben ein grosses Interesse
an dem direkten Kontakt zu Schülern, an dem persönlichen
Gespräch, an Dialogen mit jungen Leuten.
nmz: Die Schule wird offenbar als neuer, interessanter
Ort wieder entdeckt - und das im Zeichen von PISA. Welchen Ort kann
man denn dort entdecken?
Schulten: In der Praxis muss sich natürlich
noch zeigen, wie sehr man am Aufbau eines moderneren Schulwesens
überhaupt mitwirken kann und welche langfristigen Aspekte hierbei
für alle Beteiligten entstehen. Wir haben unsere ersten Erfahrungen
mit sehr großem Erfolg gemacht. In den Projektwochen, die
wir initiiert und betreut haben, wurde die Schule tatsächlich
zu einem ganz anderen Ort. Für diesen eigentlich extrem kurzen
Zeitraum wurde die Schule zum kreativen Raum, wo einzelne Talente
nach vorne kamen, die gar nicht so selten zu den eher schwierigeren
oder zurückgezogeneren Schülern gehören. Für
alle Schüler entsteht offenbar eine offenere und spannendere
Atmosphäre, in der sie sich freiwillig engagieren und interessanterweise
oft auch nicht mehr auf die Uhr schauen. So erhält man hier
konkrete Anregungen für den normalen Schulalltag, der eigentlich
von einer solchen Atmosphäre mehr geprägt sein sollte.
nmz: Die PISA-Studie und weitere Untersuchungen
haben gezeigt, dass der deutsche Schulalltag mehr als kritikwürdig
ist und die dafür Verantwortlichen sich kaum mit Fragen wie
Kreativität und musischem Lernen befassen mögen. Kommt
diese Initiative nun zu spät oder lässt sich dieser Lernbetrieb
noch reparieren?
Schulten: Zu spät kommt es eigentlich immer,
natürlich hätte man solche Aktivitäten schon viel
früher starten können. Wenn man sieht, dass einzelne Schulen
über Jahre vergeblich nach einem Musikpädagogen suchen,
nennenswerte Musikangebote im Grund- und Hauptschulbereich fast
schon ausgestorben sind, dann sollte es aber nie zu spät sein,
dann müssen wir jetzt endlich das Ruder mit allen Beteiligten
herumreißen. Auch die Musikwirtschaft erlebt derzeit eine
schwere Krise, muss sich ebenfalls umorientieren und sich für
die Zukunft neu aufstellen. Wir müssen uns weiter öffnen,
in der Krise entgegensteuern, jetzt besonderns aktiv werden, gerade
auch auf neuen Feldern, zurückziehen und bemitleiden dürfen
wir uns auf keinen Fall. Wir wenden uns verstärkt an die Öffentlichkeit,
sind der Politik enger verbunden als noch vor wenigen Jahren und
die Jugend bleibt generell eine wichtige Zielgruppe, weshalb wir
mit dieser Kulturförderung an Schulen auf lange Sicht auch
für unsere legitimen wirtschaftlichen Zielen nutzen, was hier
allerdings in keiner Weise irgendwie im Vordergrund steht.
nmz: Was heißt das konkret?
Schulten: Musikalische Bildung ist für jeden
Menschen notwendig, es macht die Menschen souveräner und hilft
ihnen auch bei der Entwicklung ihres persönlichen Musikgeschmacks.
Nimmt man dagegen eine Bildung ohne Musik und dann den Alltag, der
auf beklagenswerte Weise von einem relativ eindimensional sendenden
Radio geprägt ist, dann wird eine Entwicklung weg von jeglichem
Niveau und höherem Anspruch begünstigt, die der gesamten
Gesellschaft eigentlich Sorgen machen müsste. Es kann nicht
die alleinige Aufgabe der Musikindustrie sein, der Gesellschaft
und hierbei insbesondere Jugendlichen und Kindern, die Vielfalt
von Musik sowohl historisch als auch in der Gegenwart zu zeigen,
das überfordert unsere Mittel und Möglichkeiten und wäre
in etwa so, als würde die Kultusministerkonferenz beschließen,
dass der Deutschunterricht zukünftig von den deutschen Buchverlagen
realisiert werden sollte. Wir dürfen die Hauptverantwortlichen
für unser Bildungsdesaster nicht aus der Verantwortung entlassen,
es muss auch ein Recht auf musikalische Bildung geben.
nmz: Selbst wenn musikalische Bildung energischer
an den allgemein bildenden Schulen betrieben werden würde,
wäre der Weg zu besseren Inhalten damit doch aber noch lange
nicht sicher gestellt.
Schulten: Insofern darf unser gemeinsames Projekt
mit der Bundeszentrale für politische Bildung auch nicht unterschätzt
werden. Dieses Beispiel ist absolut positiv! Nach direkten Verhandlungen
im Kanzleramt mit Vertretern der Deutschen Phono-Akademie wurde
dieses Projekt auf der Ebene mit dem Leiter der bpb, Thomas Krüger,
zur beschlossenen Sache. Wir haben dann sehr lange in einer gemeinsamen
Arbeitsgruppe an den Inhalten gearbeitet und ein anspruchsvolles
Paket geschnürt. Das Signal heisst eben auch: die Politik hat
verstanden, jetzt arbeitet man gemeinsam mit Fachleuten aus dem
Musikbereich an Alternativen für den Unterricht, an sinnvollen
Ergänzungen, an einem dauerhaft installierten Netzwerk, welches
die Phono-Akademie modellhaft mit Schulen bereits vorher entwickelt
hat. Ein neuer Anfang ist also gemacht.
nmz: Welche Veränderungen könnte SchoolTour
an den jeweiligen Schulen bewirken?
Schulten: Musik ist einerseits liebste Freizeitbeschäftigung
der Jugendlichen, andererseits oft das unbeliebteste Schulfach.
An vielen Schulen sagen heute die Jungs: Musik ist doof, ist uncool,
ist was für Mädchen. Wo wir waren, sagt das hinterher
keiner mehr, an einzelnen Schulen konnte quasi vom Nullpunkt angefangen
in nur einem Jahr das Interesse so angehoben werden, dass dort inzwischen
mehr als 70 (!) Schüler am Instrument sind. Was die Zusammenarbeit
mit einer Bundesinstitution hierbei bedeutet, ist klar, wir können
hier ein interessantes Modell für die Zivilgesellschaft und
privates Engagement der Bürgerinnen und Bürger öffentlich
erproben. Dort, wo wir Netzwerke an Schulen unterstützten,
sind neben kleineren Kulturverbänden und Künstlern eben
auch Eltern dabei, die ebenfalls etwas ändern wollen und eigene
Möglichkeiten hierfür entdecken. Für die PISA-Diskussion
bedeutet das eine interessante Anregung: Mit privatem Engagement
und einer grösseren Einbeziehung relevanter Praktiker kann
man schneller aus dem Dilemma heraus.