[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2003/06 | Seite 37
52. Jahrgang | Juni
Jazz, Rock, Pop
Gegen den Strom
Wer mit der Hamas tanzt
Wir tolerieren uns zu Tode. Wer Popkultur als Seismographen gesellschaftlicher
Um- und Zustände begreift, als Medium mit Signalfunktion im avantgardistischen
Vorfeld, der sollte gleich in den nächsten Military Shop rennen und sich
dort mit dem grossen Survival-Package für harte Zeiten eindecken. In
der neuesten Ausgabe des Metal-Magazins RockHard dominiert auf den Leserbriefseiten
die Wiedergabe verbaler Schlammschlachten, die interessante Aufschlüsse
zulässt.
So schreibt ein Daniel Polsinger, er habe sich wegen des Songtextes „Zero
Tolerance“ der Gruppe Impaled Nazarene auf deren Homepage über
die darin enthaltene Intoleranz und den faschistoiden Charakter derselben
beschwert. Polsinger staunte nicht schlecht, als er folgende Antwort der Band
erhielt: „Du besitzt die Unverschämtheit, hierher zu kommen und
dich über solch sinnlosen Scheiß zu äußern? Ich hoffe,
du kriegst Aids und krepierst qualvoll, du schwules Stück Scheiße!“
Wer jetzt abwinkt und mutmaßt, dass es halt in der harten Rockmusik
schon immer nicht ganz stubenrein zuging, dem kann leider keine Entwarnung
mit auf den Weg gegeben werden.
In der benachbarten Jugendszene der Dancefloor-Macher gab mir unlängst
ein Hamburger Techno-Pionier zu Protokoll, er würde von einem Konkurrenten
telefonisch terrorisiert, mit Worten wie: „Ich reiße dir den Arsch
so weit auf, dass ich hinterher eine Melone reinschieben kann!“ Auch
das nur schmutziger Rand in einer ansonsten sauberen Gesellschaft? Es gibt
einen bekannten deutschen Filmproduzenten, der so von Kennern und Kunden zitiert
wird: „Wer bei mir einen fucking Deal haben will, der muss hier erst
mal einen Arsch voll Kohle auf den Tisch schütten!“ Alles klar
im wilden Westen?
Wenn Pop Avantgarde ist und der derzeitige tiefe Fall der Umgangsformen damit
Trend, dann haben wir übermorgen zwischen Wanne-Eickel und Flensburg
Verhältnisse wie im Kosovo. Die derzeitige Krise begünstigt offenbar
Gestus und Habitus des Stärkeren, des Härteren, des Rücksichtsloseren.
Die Rapper von Fettes Brot beklagen, dass es in der HipHop-Szene zunehmend
an Respekt gegenüber anderen mangelt und sich Intoleranz breit machen
würde. Wie unten so auch oben. Es kann einem nämlich auch derzeit
passieren, dass man in der ersten Klasse der Deutschen Bahn nach Berlin sitzt
und zwei Reihen weiter so genannte „junge Wilde“ aus den Chefetagen
deutscher Entertainment-Kultur ihren spiessigen Geist kübelweise ultralaut-selbstbewusst
ausschütten: „Jetzt haben wir die Macht, die Generation der Dreissigjährigen
wird es nun allen zeigen“ – so wird in gewissen Berliner Kreisen
sinngemäß schwadroniert und dann am Montag mit Gutsherrenblick
haufenweise unten entlassen.
Auch im deutschen Feuilleton hat diese Haltung des ewigen Spießers
längst Sitz um Sitz erobert, probt man Macht, Ignoranz und Diktat. Oben
ist in Deutschland zunehmend feiste Fettschicht, seit dem Yuppie-Boom am Neuen
Markt der Hype der kleine Bruder des Hilflos-Althergebrachten, dazwischen
wird jede Vernunft zerrieben und – siehe Popkultur – schon mal
die Rolle des fiesen Mafiabosses geprobt. Wenn dann noch in Berlin antiamerikanisch
und altachtundsechzig-romantisch gemeinsam mit Hamas-Anhängern und NPD
gegen Bush und Bagdad demonstriert wird, naive Multikulti-Jünger noch
die tausendste Moschee-Eröffnung in Deutschland bei „Tagen der
offenen Tür“ begrüssen und nicht hauptsächlich (Ausnahme
bestätigt Regel) als Akt gezielter Unterwanderung durch uns verachtende,
alles Humanistisch-aufklärerische ablehnende Muslime und deren Tarnorganisationen
begreifen, dann sind wir tatsächlich auf dem falschen Weg und demnächst
wohl ohne Vernunft, Anstand und Moral endgültig sturmreif und damit –
entschuldigen Sie die Formulierung – komplett im Arsch...