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nmz-archiv
nmz 2003/06 | Seite 16
52. Jahrgang | Juni
Portrait
Ich bin doch keine Knalltüte
Susanne Betancor ist die Popette und lebt gut damit
Seit 1995 ist die Multiinstrumentalistin (Klavier, Gitarre, Klarinette,
Orgel, Saxophon, Trompete, Rasselei…) Susanne Betancor als
„die Popette“ unterwegs und gehört inzwischen neben
Cora Frost, Timm Fischer oder Meret Becker zur ersten Garde der
neuen deutschen Chansonetten mit kabarettistischem Einschlag. Doch
eigentlich will sie gar keine Chansonette sein: „Das muss
ich ja immer im schwarzen Kleid rumlaufen, das ist mir zu gefährlich.“
Und Vorbilder sind eher Elvis Costello und Hanns Dieter Hüsch
als Brecht, Weill oder Tucholsky. „Die Popette“ ist
eine Berufsbezeichnung, „wie andere Leute eben Klempner oder
Radiomoderatoren sind, so bin ich Popette, und weil ich noch die
einzige bin, die.“ nmz-Redakteurin Ursula Gaisa sprach mit
der eigenwilligen Künstlerin nach einem Live-Auftritt ihres
Programms „Sitzclub elektrisch“ im Münchner Volkstheater.
Und was sich reimt, ist
gut: die Popette. Foto: Fenzl
Im Rheinland geboren, aufgewachsen im Ruhrgebiet lebt die Popette
seit 1989 in Berlin. Und das war wichtig. Vorher war sie zwar auch
schon musikalisch unterwegs, etwa mit Helge Schneider oder Stoppok,
aber mit den eigenen Liedern wollte es nicht so richtig klappen:
„Als ich noch in Essen saß, habe ich hauptberuflich
Platten gehört, nebenberuflich gekellnert und als Hobby studiert.
Da wollte ich schon deutsche Popmusik machen mit anspruchsvollen
ironischen Texten und anspruchsvoller Musik. Berlin war gut für
mich. Ich habe da eine Art Lehrzeit verbracht. Ich musste 500 Kilometer
von zu Hause weg sein, um meine Konzentrationsstörung zu überwinden,
mich hinsetzten zu können und zu arbeiten. Es gab viele Prüfungen,
ich musste plötzlich komponieren, eine Herausforderung nach
der anderen bewältigen. Was dazukam ist, dass Berlin eine harte
Stadt ist. Es ist eigentlich kein Spaß, nach Berlin zu gehen
und da wohnen zu müssen. Man kann nichts anderes machen als
zu kämpfen, den Herausforderungen trotzen. Man sagt ja immer,
wer leidet ist kreativ. Daraus entstand dann 1995 „Privat
ist modern“ – die erste Platte, das erste Programm.
Das sind Lieder, die ich in meinem Elendsdasein in meiner Einzimmerwohnung
so angehäuft habe. Fazit: Berlin war gut für mich.“
Im Booklet von „Privat ist modern“ begrüßt
sie die Zuhörer mit einer wirren Geschichte über fickende
Tauben, deren Küken man nie zu Gesicht bekommt, aber Programmatisches
kann man auch ausmachen: „Hallo nehmen wir mal an, man ist
Popette und hat sich dem Kammerpop verschrieben…“ Aber
was ist Kammerpop? Wer sie einmal auf der Bühnen live erlebt
hat, wird es nie wieder vergessen. Die „Songs mit Musik“,
die sie liebevoll schnoddrig dem Publikum vorwirft, handeln von
Jeep-Fahrerinnen, von der Einsamkeit, von Trennung – aber
auch von „Fallobst“, dabei schafft sie, die sich selber
als „penible Reimerin“ bezeichnet, immer den Spagat
zwischen Originalität, feiner Ironie und Poesie: „ich
bin krank vor liebe ich schwank vor liebe und ab und zu versteck
ich mich im schrank vor liebe ich weiß es ist zum brüllen
ich könnt dir jeden Wunsch erfüllen…“
Die Welt in einer Nussschale wird einem da präsentiert, und
man schmunzelt – brüllt nicht vor Lachen – über
ihre kleinen Geschichten von der Ossi-Familie, die zum ersten Mal
nach Spanien in Urlaub fährt, vom Holzhasen, der neben einem
netten Mann in einem Café sitzt, oder auch vom „Damenbart“,
der aus seinem Schattendasein herausgeholt wird: „Und die
Frauen? Seh ich Sie fragen. Was ist eigentlich mit den Frauen? Nun,
Frauen tragen im Großen und Ganzen auf keinen Fall einen Bart.
Und wenn doch, geht es meistens schief. Und sie landen am Kreuz.
Oder stehen auf der Kreuzung ohne Kinderwagen. Oder verbrennen in
der Karwoche ihr Karnevalskostüm. Oder sind Komikerinnen und
per se erstmal nicht existent. Traurig…“
Sitzt man Tag für Tag an seinem Schreibtisch und denkt sich
so etwas aus? Wie kommt man auf solche Themen und Stoffe? „Bei
den meisten Geschichten gibt es einen Auslöser: Entweder ich
sehe etwas, habe eine Situation fast exakt so erlebt – wie
zum Beispiel den ,Holzhasen‘ – oder ich zwinge es herbei,
das geht auch. Etwa wenn ich Songs schreiben muss, ich muss ja kreativ
sein, es ist Broterwerb. Und ich will ja auch nichts anderes tun.
Ich kann davon leben und kann machen, was ich will. Es ist ein Luxusberuf.“
Und wie wird man Popette? „Ist ja ganz einfach in meinem
Fall. Indem man sie erfindet, ich hab’ sie einfach erfunden.
Und es hat natürlich auch mit Abgrenzung zu tun. Wir wollen
ja alle etwas Besonderes sein und einzigartig. Also müssen
wir uns immer wieder neu erfinden. Das ist auch gut gegen Langeweile.
Ich langweile mich sogar in meinem Programm, es langweilt mich,
immer wieder dasselbe zu spielen.“ Vielleicht ist das, was
sie tut, deshalb auch so schwer einzuordnen. „Pop ist ein
weites Feld, im Prinzip ist ja alles Pop,“ stellt sie lakonisch
fest, und weiter: „Die Kabarettpolizei schnallt ja ab bei
mir. Ich mach’ ja Sachen, die macht man ja eigentlich nicht.
Das kann man titulieren von unprofessionell bis schlecht –
alles mögliche. Manche können damit überhaupt nichts
anfangen. Aber mir ist das existenziell wichtig, wie gesagt, immer
wieder etwas Neues auszuprobieren.“
Auch musikalisch geht sie ganz eigene Wege. Inspirieren lässt
sie sich dabei vom Radio, von Platten, Musikzeitungen und Konzerten.
In ihren Live-Programmen begleitet sie sich am Klavier, Keyboard,
Trompete oder auch an der Wandergitarre meistens selber –
sehr minimalistisch aber auch immer mit einer gewissen harmonischen
Verspieltheit, die einen verzaubert und aus dem Alltag herausholt,
obwohl dieser eigentlich das Thema der Lieder ist. Dabei macht sie
sich nie über ihre Figuren lustig, will nicht der „bessere
Mensch“ sein. „Ich schlüpfe in die Figuren und
betrachte mit seinen oder ihren Augen die Welt.“ Oder noch
einmal mit unvergleichlichen Popette-Worten: „Ich will etwas
ausdrücken. Das will ich mit den Instrumenten und mit dem Text.
Ich bin in der glücklichen Lage, dass ich sowohl Musik als
auch Texte schreiben als auch singen kann und das alles sehr gerne
und aus tiefstem Herzen tue.“
Wenn es ihr zu einsam wird, nimmt sie „ihre Jungs“
mit auf Tour: „Meine ältesten Freunde: Buddy Casino,
Keyboarder, Organist, mit dem ich jahrelang zusammen bei Helge Schneider
gespielt habe und Schlagzeuger Kalle Mews, beide exilierte Rheinwestfalen
in Berlin lebend. Das macht großen Spaß. Ich bin dann
gefragt als Ententrainerin. Ich steh vorn, muss die Leute unterhalten,
Witze machen, was mir immer schwerer fällt. Aber wir machen
Musik. Das Gute an den beiden Jungs ist, dass wir uns so gut kennen,
wir unterhalten uns auf der Bühne, das macht Spaß.“
Spaß macht ihr vor allem auch immer wieder, alles „noch
mal zu brechen und noch mal zu brechen – wie Helge, der ist
auch ein großer Brecher“. Dann hat sie ihr Ziel erreicht
und kann sich wieder der drohenden Langeweile entziehen und sich
etwas Neues ausdenken. Langweilig wird das sicher nicht –
auch uns nicht.
Ursula Gaisa
CD-Tipps
Privat ist modern
Viellieb Rekords 011
Platzkonzert
Roof Music/BMG RD 97 33 71
Damenbart, Indigo RD 2033100
Roman „Damenbart“ erschienen im Eichborn Verlag, ISBN
3-8218-0851-9