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nmz-archiv
nmz 2003/06 | Seite 21
52. Jahrgang | Juni
Bücher
Schuberts Psychodrama der Liebe
Eine Einführung in seine Liederzyklen, echte und vermeintliche
Elmar Budde: Schuberts Liederzyklen. Ein musikalischer
Werkführer, Verlag C.H.Beck (Reihe Wissen –
Musik) 2003, 123 S., Notenbeispiele, € 7,90, ISBN 3-406-44807-0
Die Modernität von Schuberts Liederzyklen scheint unendlich.
Neben der „Schönen Müllerin“, der „Winterreise“
und dem „Schwanengesang“ gehören längst auch
instrumentale und szenische Adaptionen zum Repertoire. Dabei scheint
das Geheimnis der enormen Wirkungsgeschichte dieser Werke noch nicht
einmal gelüftet. Der Berliner Musikhistoriker Elmar Budde hat
jedenfalls eine „Inkongruenz“ von Popularität und
analytischem Wissen beobachtet und diese nun mit einem kleinformatigen
„Werkführer“ weitgehend beseitigt.
Das Büchlein bietet auf knappem Raum detaillierte Informationen
zu Entstehung und Aufbau von Schuberts berühmten Liederzyklen
und führt dabei über die Grenzen eines „Musikführers“
hinaus. Allerdings erreicht Budde sein Ziel, das heißt, über
die Bedeutung von Schuberts Musiksprache aufzuklären, auf durchaus
schon beschrittenen Pfaden: Ausgehend von der klassisch-romantischen
Tonarten-Charakteristik sowie von der Semantik harmonisch-rhythmischer
Figuren erschließt Budde nicht nur die lyrische, sondern auch
die epische und existentielle Qualität von Schuberts Musik.
Im Motiv des Wanderns habe dieser nicht nur eine romantische Metapher
für die menschliche Existenz für sich entdeckt, sondern
auch eine musikalische Chiffre für den ungesicherten, ziellosen
Aufbruch in neue Dimensionen des Lebens und der Kunst. In Wilhelm
Müllers Gedichtzyklen dagegen scheint Budde eher biedermeierliche
Romanzen als grenzenlose Albträume erblicken zu wollen.
Bemerkenswert ist Buddes Plädoyer für eine kritische
Revision der Konzertprogramme: Die seit jeher berechtigten Zweifel,
ob der „Schwanengesang“ wirklich ein Zyklus sei, werden
einmal mehr erhärtet. Budde sieht darin zwei erweiterbare „Zyklusfragmente“
verborgen (die Rellstab- beziehungsweise die Heine-Lieder). Darüber
hinaus wird mit wünschenswerter Deutlichkeit aufgezeigt, wie
durch einschlägige „Sammlungen“ viele Schubert-Lieder
aus ihrem ursprünglichen Kontext gerissen wurden. Würde
man sich stattdessen anhand der Opusnummern an den „Liederheften“
orientieren, die Schubert für den Druck bestimmte, könnte
man erkennen, dass Schubert nicht nur zwei oder drei große
Zyklen geschrieben hat, sondern weitere zyklische Miniaturen komponierte.
Wie Budde zu zeigen vermag, lassen diese das Psychodrama der Liebe
ebenso im „Offenen“ münden, wie dies die großen
Liederkreise tun.