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nmz-archiv
nmz 2003/06 | Seite 3
52. Jahrgang | Juni
Zukunftswerkstatt
Bachelor-Studiengang für Popmusik-Designer
Neuartiges Ausbildungskonzept: Die Popakademie in Mannheim nimmt
ihren Betrieb auf
Wir leben im Zeitalter eines permanenten Paradigmenwandels. Wer
heute eine Ausbildung macht, muss damit rechnen, dass es das angestrebte
Berufsbild nach seinem Abschluss unter Umständen gar nicht
mehr gibt. Auch die Abgänger der Musikhochschulen werden sich
damit anfreunden müssen, nach dem Konzertdiplom nicht automatisch
den Platz im Kulturorchester zu finden und nicht die Dozentur annehmen
zu können, sondern andere Wege gehen zu müssen. Popmusiker
waren diesen beruflichen Risiken seit jeher stärker ausgesetzt.
Mit ihrem Ausbildungskonzept hat die Popakademie Mannheim nicht
nur für die Pop-Ausbildung, sondern auch für andere künstlerische
Studiengänge Modellcharakter. nmz-Redaktionsleiter Andreas
Kolb stellte dem künstlerischen Leiter der Popakademie Mannheim,
Udo Dahmen, einige Interviewfragen zur neugegründeten Akademie.
nmz: Die Popakademie Baden-Württemberg steht
für ein neues Konzept von Ausbildung. Für welche Berufsrealität
bildet sie ihre Absolventen aus?
Udo Dahmen zu Gast bei der
Live-Radio-Sendung „Contrapunkt“ von BR und
MDR in Leipzig (www.contrapunktonline.de). Foto: Dabdoub/MDR
Udo Dahmen: Change Management ist das Schlagwort.
Ich gehe immer von Patchwork-Lebensläufen aus: Jemand der als
Instrumentalist oder als Sänger oder im Team arbeitet, wird
vielleicht in einigen Jahren als Producer, als Komponist oder als
Texter arbeiten. Ein bisschen später mögli- cherweise
als Verleger oder als Label Eigner – oder Lehrer. Dieses Phänomen
wirkt sich im Übrigen auch auf den Lehrkörper der Popakademie
aus. Natürlich werden einige Dozenten länger als zwei
Jahre bleiben, aber oft wird man sehr schnell wieder neue Leute
mit neuen Ideen hinzuziehen.
nmz: Welche Faktoren mussten zusammenspielen,
um die Popakademie zu „erfinden“?
Dahmen: Hier in Baden-Württem-berg war es
das historische Ereignis, dass Staatsminister Christoph Palmer die
Musikbranche und verschiedene Künstler zu einem Abendessen
eingeladen hat. Man kam überein, dass man für die Popförderung
in Baden-Württemberg etwas tun sollte. Das liegt ungefähr
drei Jahre zurück. Vor zehn Jahren schon hatte Christoph Palmer
die Filmakademie in Ludwigsburg mit aus der Taufe gehoben, die zumindest
institutionell als Vorbild für die Popakademie gelten kann.
Darüber hinaus hatte die Rockstiftung Baden-Württemberg
als Vorläufer der Popakademie mit ihrem Geschäftsführer
Dirk Metzger in den letzten fünf Jahren mit Seminaren und Bandcoachingprogrammen
vorbildliche Arbeit geleistet, auf die wir aufbauen können.
nmz: Vor wenigen Jahren noch eine Zukunftsvision,
jetzt wird die Popakademie Realität. Wie funktioniert die Ausbildung?
Dahmen: Wir bieten zwei Studiengänge an:
Popmusik-Design als ein Studium für Musiker, Instrumentalisten,
Sänger/-innen, Producer, Songwriter, Texter und so weiter.
Parallel dazu wird ein Musikbusiness-Studiengang angeboten, in dem
Verwerter ausgebildet werden. Leute, die eigene Labels machen, Booking-Agenturen,
A & R Manager et cetera.
nmz: Wie viele Bewerber gab es für das erste
Semester?
Dahmen: Von insgesamt 700 Bewerbern und Bewerberinnen
wählten wir 25 für den Popmusikbereich und 30 für
den Musikbusiness aus.
nmz: Gibt es da objektive Kriterien der Auswahl?
Dahmen: Es hat sich herausgestellt, dass es eine
Balance zwischen der Originalität des Künstlers und den
instrumentaltechnischen Umsetzungsfähigkeiten geben muss. Die
Performance darf dabei natürlich auch nicht zu kurz kommen,
da Popmusik zu großen Teilen von der Performance lebt. Insgesamt
operieren wir aber von der Bewerberlage her auf einem handwerklich
sehr hohen Niveau.
nmz: Und die Musikbusiness-Leute?
Dahmen: Wir machen zur Vorraussetzung, dass die
Bewerber zwei Jahre im Musikbusiness gearbeitet oder Volontariate
und Praktika absolviert haben.
nmz: Man studiert projektbezogen?
Dahmen: Das Studium wird, vor allem im Hauptstudium,
ein sehr stark projektbezogenes Studium sein. Die Studenten können
ihre CDs aufnehmen, sie können Vermarktungsprojekte an den
Start bringen oder auch Veranstaltungsreihen. Das Interessante dabei
ist, dass wir die Musiker und die Business-Leute im Grundstudium
ganz stark miteinander verschränken. Beide Bereiche absolvieren
50 Prozent ihres Studiums in den ersten Semestern gemeinsam. Die
Studenten bilden in dieser Zeit bereits Projektteams, die wahrscheinlich
über die Studienzeit hinaus halten werden. Gleichzeitig haben
wir Public Private Partnerships: Universal wird die gesamte innerbetriebliche
Ausbildung an die Popakademie verlagern.
nmz: Gibt es da keine schrägen Blicke von
konkurrierenden Plattenfirmen?
Dahmen: Wir haben das im Vorfeld allen angeboten.
Universal hat sich als die Firma herausgestellt, die sehr visionär
war und sowohl im künstlerischen als auch im Business-Bereich
die Möglichkeiten gesehen hat, für sich entsprechende
Arbeitskräfte zu akquirieren. Wir sind weiterhin neuen potenziellen
Partnern gegenüber offen. Als Projektpartner haben wir zum
Beispiel die deutsche Phono-Akademie und MTV gewinnen können,
und wir hoffen, dass wir weitere Partner finden.
nmz: Public Private Partnership ist eine der
Stützen der Popakademie. Unter anderem gibt es auch eine Zusammenarbeit
mit der Jazz-/Rockschule Freiburg – warum?
Dahmen: Hier sehen wir den Bedarf im Weiterbildungsbereich
Pädagogik – das betrifft die Musik- und Schulmusiklehrer.
Zwei Projekte sind bereits aufgegleist. Ab Herbst wird es einen
berufsbegleitenden Lehrgang geben, der „Popmusik an der Musikschule“
heißen wird (gemeinsam mit der Bundesakademie Trossingen,
dem VdM der Jazz- und Rockschule Freiburg) Der wendet sich an Musikschullehrer,
die im klassischen Bereich ausgebildet sind oder die eine Unterfütterung
brauchen im methodisch-didaktisch-en Bereich. Die andere Seite diese
Be- reiches ist ein Pilotprojekt, das wir mit der Jazz- und Rockschule
Freiburg gemeinsam betreiben, das sich ab Herbst an Schulmusiker
wendet.
nmz: Mannheim hat Popmusik als einen Kulturstandort-
und als ökonomischen Faktor erkannt. Aber werden die Akademieabsolventen
wirklich Arbeitsplätze vorfinden?
Dahmen: Ich bin der Meinung, dass die Chancen
nicht schlecht stehen dafür, denn Musik ist neben ihrer kulturellen
Bedeutung auch ein Konsumgut. Wir sind an einem anderen Punkt als
vor 30, 40 Jahren, ich behaupte einfach, dass die Popmusik genauso
zum kulturellen Gut gehört, wie andere Richtungen, von denen
man das ganz selbstverständlich annimmt.
nmz: Neben der Popakademie, die am Ufer des Rhein-Neckar-Verbindungskanals
entstehen wird, wird es ein Pop-Musik-Gründerzentrum geben.
Was verbirgt sich hinter diesem Namen?
Dahmen: ...Studios, Probenräume, Büros für Labels
und Verlage, ein Club und ein Restaurant. Hier wird unter anderem
auch das neue Label von Xavier Naidoo mit Michael Herberger und
Hubert Wandjo seinen Sitz finden.
nmz: Im Gegensatz zur Musikhochschule verlangt
die Popakademie Studiengebühren. Warum?
Dahmen: Wir sind eine gemeinnützige Einrichtung.
Das Entscheidende da-bei ist – und deswegen auch die Studiengebühren
–, dass wir davon ausgehen, dass die Studenten auch einen
Beitrag dazu leisten sollen. Dazu muss man sagen, dass die Studiengebühren
bei weitem nicht die Kosten decken und nur einen ganz kleinen Anteil
an der Gesamtsumme haben. Diejenigen, die BaföG-berechtigt
sind, müssen keine Studiengebühren zahlen, denn wir wollen
nicht auf der einen Seite durch Staatsmittel den Studenten Geld
in die Tasche stecken, das wir ihnen dann auf der anderen Seite
wieder aus der Tasche ziehen. Abgesehen davon war dies bei den zahlreichen
Bewerbungen nie ein Thema – niemand hat sich über die
Studiengebühren beschwert.
nmz: Stichwort Foundraising: Die Söhne Mannheims
haben ein Festival in der Akademie installiert.
Dahmen: Das wird ganz wichtig. Xavier Naidoo und
Michael Herberger haben zugestimmt und gesagt, wir möchten
gerne teilhaben an der Akademie und wir sind bereit, dafür
auch finanzielle Mittel aufzubringen, und zwar in der Form, dass
ihr mit uns ein Festival etablieren könnt und der Reinerlös
aus diesem Festival geht in die Popakademie. Das ist eine sehr noble
Geste. In Mannheim sind unglaublich viele Künstler vor Ort,
neben Xavier Naidoo zum Beispiel Laith Al Deen, Rolf Stahlhofen,
Pe Werner, die Musiker der Söhne Mannheims und der Grönemeyer-Band.
Viele dieser Musiker haben zugesagt, als Gastdozenten zur Verfügung
stehen zu wollen. Es war mir sehr wichtig, die Popakademie in der
Region zu verankern: Regional handeln, global denken.
nmz: Kann man sagen, dass die Hochschulen einen
ernsthaften Konkurrenten bekommen, wenn sich das Mannheimer-Modell
etabliert hat?
Dahmen: Wir sind sehr gut kooperierende Partner.
Ein herzlicher Dank geht an die Musikhochschule hier in Mannheim:
Zum Beispiel in unserem ersten Jahr bis zu unserem Neubau werden
wir unseren musikalischen Bereich weitgehend in der Musikhochschule
in Mannheim durchführen können. Die Jazzabteilung und
andere Abteilungen des Hauses haben uns Räume zur Verfügung
gestellt, und wir werden auch in Zukunft in Bereichen kooperieren,
wo wir uns sehr gut ergänzen (Popmusikdesign, Musikbusiness,
Schulmusik). Ich werde im Herbst selbst einen Workshop für
Schulmusiker in der Hochschule für Musik geben. Wir kooperieren
darüber hinaus bereits mit der Filmakademie in Ludwigsburg
im „Videoclipworkshop“
nmz: Sind Rockbüro Süd, B.A. Rock und
andere bestehende Modelle der Rockförderung jetzt von gestern?
Dahmen: Das kann man nicht miteinander vergleichen.
Sowohl im Beratungsbereich als auch im Bandcoaching-Bereich haben
die alle ihre Berechtigung. Für die Zukunft wünsche ich
mir im Deutschen Musikrat in einem Präsidialausschuss eine
Vernetzung dieser Einrichtungen, damit man sich in den Programmen
auch stärker abstimmen kann. Wobei wir natürlich mit dem,
was wir hier im Südwesten tun, die Leadership-Funktion übernommen
haben.
nmz: Deutscher Musikrat und Popakademie –
was bedeutet die Tatsache, dass Sie Vizepräsident in ersterem
und künstlerischer Leiter und Geschäftsführer in
zweiter sind?
Dahmen: Ich sehe da ganz viele Perspektiven für
die Zukunft. Zum einen werden wir sicher in der Querverbindung Deutscher
Musikrat/Popakademie verschiedene Projekte aufgleisen können.
Ein Projekt, an dem wir uns als DMR beteiligen, ist School Jam,
ein Wettbewerb, der sich ausschliesslich an Schüler wendet
und damit anderen Wettbewerben keine Konkurrenz macht. Wir haben
außerdem eine Bandcamp-Idee angedacht, die schon etwas länger
in der Schublade liegt, die man hervorragend mit der Popakademie
umsetzen könnte. Solche Dinge wird es für die Zukunft
sicher geben, da sollte man auch die Synergien mit allen anderen
Akteuren im Aus- und Weiterbildungsbereich Popmusik pflegen und
nutzen. Wir sind mit den wichtigen Personen und Institutionen sehr
gut vernetzt, was wir mit unserem Popforum Branchenmeeting und dem
Kongress „Zukunft Pop“ am 10. Mai wieder gezeigt haben.
Das Gespräch führte: Andreas Kolb
Pop-Akademie Mannheim
Struktur und Dozenten
Träger der Akademie sind das Land Baden-Württemberg,
die Stadt Mannheim, der Südwestrundfunk, Universal Music,
die Mannheimer Unternehmensgruppe (bestehend aus den Unternehmen
Radio Regenbogen, bigFM, Mannheimer Morgen, Roche Diagnostics
, Fuchs Petrolub und Richard Engelhorn) sowie die Landesanstalt
für Kommunikation Baden-Württemberg.
Hinzu kommen unter anderem folgende Projektpartner, die sich
über Projektzuschüsse an der Akademie beteiligen: Xavier
Naidoo/Michael Herberger sowie die Söhne Mannheims, der Musiksender
MTV, IHK Rhein Neckar und die Deutsche Phonoakademie e.V.
Kooperationspartner sind unter anderem die Filmakademie Baden-Württemberg
in Ludwigsburg, die Jazz- & Rockschule Freiburg, die Musikhochschule
Mannheim sowie die Musikpark Mannheim GmbH.
Außerdem soll ein Förder- und Freundeskreis die Popakademie
unterstützen.
Das Führungsteam der Popakademie Baden-Württemberg:
Hubert Wandjo, Geschäftsführer, derzeit auch Geschäftsführer
des Musiklabels ma’Music in Mannheim (Label mit Xavier Naidoo
und Michael Herberger).
Prof. Udo Dahmen, künstl. Leiter und Geschäftsführer,
bisher Hochschule für Musik und Theater Hamburg, Vizepräsident
des Deutschen Musikrates, Präsident Percussion Creativ (Deutscher
Schlagzeugerverband), Musiker, Autor und Produzent.
Dirk Metzger, Geschäftsführer, kaufm Leiter, ist seit
Gründung der Rockstiftung im Jahre 1997 deren Geschäftsführer.
Dozenten Popmusikdesign:
Kernteam:
Prof. Udo Dahmen, Peter Wölpl (E-Gitarre, Producing), Florian
Sitzmann (Keyboards, Producing, Theorie), Annette Marquard (Vocals),
Frank Itt (Bass), Marcus Thiel (Producing, Studio), Arno Müller
(Producing, Studio), Alex Päffgen (Theorie, Keyboards)
Gastdozenten (Auswahl):
Xavier Naidoo (Vocals), Dieter Falk (Keyboards), Ralf Gustke (Drums),
Lui Ludwig (Drums), Michael Koschorek, (Gitarre), Edo Zanki (Vocals),
Jane Comerford (Vocals), Peter Weihe (Gitarre), José Cortijo
(Percussion), Michael Küttner (Drums), Jörg Reiter (Piano),
Markus Sprengler (Vocals, Band), T.M. Stevens (Bass), Jojo Mayer
(Drums), Wayne Krantz (Gitarre), Volker Griepenstroh (Keyboards,
Theorie), Michael Koschorek (Gitarre)
Dozenten Musikbusiness:
Kernteam:
Dirk Metzger (Studiengangsleiter – Unternehmensführung),
Prof. Udo Dahmen (Artistdevelopment), Helge Haas (Medien), Martin
Kaiser (Existenzgründung, Rechnungswesen, Controlling), Hubert
Wandjo (Musikwirtschaft )
Gastdozenten (Auswahl):
Anne Berning (Mute Tonträger GmbH), Gerold Hug (SWR3), Xavier
Naidoo, Tim Renner (Universal Music), Michael Smilges (Hidden
Force Entertainment), Birgit Wiekhof (Roadrunner Records)