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nmz-archiv
nmz 2003/10 | Seite 1
52. Jahrgang | Oktober
Leitartikel
Bellevue-Musik
Der Bundespräsident, zahlreiche mehr oder weniger prominente
Würdenträger des deutschen Musiklebens und zirka 1.000
Kinder mit und ohne Instrumente zählten zu den Glücklichen,
die sich am 9. September unter dem Motto „Musik für Kinder!“
im Schloss Bellevue einfinden durften. Die Idee dieser Veranstaltung
ist und bleibt großartig. Als das Fest mit einer eigens für
diesen Tag komponierten und von Schülern sehr ausdrucksstark
inszenierten „Schlossmusik“-Performance begann, knisterte
es nur so vor Spannung im wunderbar gestalteten Schlossgarten. Kinder
musizierten den ganzen Tag über in den Sälen des Schlosses,
in zwei Zirkuszelten im Park und auf einer großen Bühne
im Präsidentengarten. Dass eine inhaltliche Vorstellung über
„Musik für Kinder“ hier und da noch in den Kinderschuhen
steckt oder der Profilierung und den Interessen einzelner Verbände
weichen musste, lässt sich leider nicht ganz verhehlen.
Schnell wurde hörbar, dass Musik für Kinder nicht automatisch
mit Musik von – oder Musik mit Kindern gleichzusetzen ist.
Die Tatsache, dass bei vielen Darbietungen anscheinend mehr an das
ehrwürdige als an das junge Publikum gedacht wurde, verdeutlichte
der als Opener kunstvoll gesprochene Satz „Seien Sie willkommen,
seien Sie herzlich willkommen, seien Sie ganz herzlich willkommen
im Schloss Bellevue.“ Geduzt wurden die Menschen an diesem
Tage eher selten, der Bundespräsident persönlich war einer
der wenigen, der sich in seiner Rede zunächst an die Kinder
wandte. Mitunter wurden einzelne Beiträge von prominenten Paten
wie Peter Maffay, den Prinzen oder Götz Alsmann angekündigt.
Ihrerseits jedoch keine Spur von „Musik für Kinder“;
warum, fragt man sich, blieb Johannes Rau an diesem Tag eine Ausnahme,
als er mit seiner wunderbaren Erzählung in der Vertonung von
„Ferdinand der Stier“ künstlerisch aktiv wurde?
Workshops und Präsentationen hätten dagegen noch viel
zahl- und variantenreicher stattfinden dürfen.
Trotz aller kultur- und bildungspolitischer Bekundungen, die gebetsmühlenartig
bekräftigen, dass der Bewegungsaspekt in der Musikausübung
gar nicht hoch genug für die gesamte Persönlichkeitsentwicklung
anzusiedeln sei, kam ein im wahrsten Sinne des Wortes „bewegtes
Musizieren“ an diesem Tag, trotz einiger positiver Ausnahmen
insgesamt zu kurz. Ein Seminar für Erzieher, das lediglich
der kommerziellen Vermarktung eines Lehrprogramms diente und von
keinem einzigen Kind besucht wurde, wirkte auf die Zunft der deutschen
Musikpädagogen wohl eher beschämend.
Als gegen Ende des Festes das gesamte Auditorium ein stimmungsvolles
Abschiedsquodlibet anstimmte, da war es plötzlich wieder da:
dieses knisternde Etwas, welches man sich unter Musik vorstellt
– bei einem solchen Fest, nicht nur für Kinder…