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nmz-archiv
nmz 2003/12 | Seite 7
52. Jahrgang | Dez./Jan.
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Medienesel
Es gibt manchmal Bilder oder Worte, die erhellen mit der Kraft
eines Symbols blitzartig eine Situation, der man sich vorher nur
ungenau bewusst war. Ein solches Bild war am 21. November in Spiegel
Online zu sehen: Zwei schwer bewaffnete US-Soldaten und ein Zivilist
untersuchen einen Eselskarren. Offenbar eine hoch gefährliche
Situation. Aus einem solchen Karren – oder war’s genau
der auf dem Bild? – wurden Raketen auf ein von Amerikanern
bewohntes Hotel abgefeuert. In einem sonderbaren Kontrast zu der
bewaffneten Aktion steht der Esel, der alles mit stoischer Ruhe
über sich ergehen lässt.
So haben sich die Strategen im Weißen Haus den „clash
of cultures“ sicher nicht vorgestellt: Eine Hightech-Armee,
die auf’s schnelle, saubere Töten abgerichtet ist, steht
einem ungreifbaren Feind gegenüber. Sie stolpert durch ein
Land, in dem sie nicht einmal „Bahnhof“ versteht, muss
bei ihren Razzien Frauen und Kinder mit dem Gewehr bedrohen und
wühlt in den Kleiderschränken der Einwohner nach Waffen
herum. Zu guter Letzt wird sie mit einem Eselskarren vorgeführt.
Dass ein solches Bild ungehindert in die Presse gelangt, kommt
einem medialen GAU gleich. Ähnlich wie im Vietnamkrieg das
Foto mit dem nackten, schreienden Mädchen, das aus einem von
der US-Armee mit Napalm bombardierten Dorf heraus rennt. Nur wiederholt
sich jetzt die Tragik als Farce. Das Eselsbild ist an Lächerlichkeit
kaum zu überbieten und entlarvt die ganze Dummheit der amerikanischen
Kriegführung.
Nicht umsonst wird bei den ständigen Attentaten auf patroullierende
Soldaten das Umfeld jedes Mal abgeriegelt: Die Toten und Verwundeten
müssen verschwinden, bevor die Presse kommt. Die heimischen
Bildschirme sollen clean gehalten werden, um das Märchen von
den Bösen und den Guten, die große Narration von den
Lichtbringern aus den USA, nicht in Frage zu stellen. Im Irak selbst
glaubt zwar keiner mehr daran, aber darauf kommt es ohnehin nicht
an. Es geht darum, die Glaubwürdigkeit des Medienfakes zu retten,
der von der Politik mit allen Mitteln der Kunst in die Welt gesetzt
wurde und nun durch die Wirklichkeit entlarvt zu werden droht.
Das Unternehmen Irak ist ein Lehrbeispiel für die prekäre
Instrumentalisierung der heutigen Massenmedien durch die Politik.
Was als perfekt inszenierter Medienkrieg angefangen hat, landet
in der glanzlosen Selbstdemontage der einzigen Weltmacht vor der
globalen Öffentlichkeit.
Mit dem Eselskarren sind auch die „spin doctors“ überfordert.
Diese Formulierungskünstler und offiziellen Tatsachenverdreher,
die die Politik als Waschmittelreklame verkaufen, sitzen als hoch
bezahlte PR-Fachleute in allen Regierungsstellen, von London über
Washington bis Berlin und anderswo. Sie unterscheiden sich allenfalls
im Grad ihrer Schamlosigkeit, aber nicht in der Methode, die stets
auf dasselbe herausläuft: der Öffentlichkeit einen Fehler
als Erfolg, eine Niederlage als Sieg, das eigene Interesse als das
allgemeine zu verkaufen. Hin und wieder treibt es einer zu bunt,
und wenn es einen Toten gibt, muss er gehen, damit sein Dienstherr
nicht selbst ins Straucheln gerät, wie neulich Tony Blairs
Sprachrohr Allistair Campbell.
Aus ihrer Sicht ist Wahrheit nicht die Übereinstimmung einer
Aussage mit der Tatsache, die sie sprachlich bezeichnet, sondern
ein Konstrukt zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung mit
dem Ziel, die eigene Position mehrheitsfähig zu machen. Die
Wahrheit des Konstrukts gilt dann als erwiesen, wenn durch Beeinflussung
der Medien diese Mehrheit vorübergehend erreicht ist. Das nennt
sich Öffentlichkeitsarbeit und ist traditionellerweise das
Geschäft der Verbandslobbyisten und PR-Fachleute in den Unternehmen.
Neu ist, dass sich nun auch die Politik mehr und mehr danach richtet.
Dabei werden gelegentlich Wunsch und Wirklichkeit miteinander verwechselt.
Die Pleite der New Economy, die nicht von ungefähr mit einer
Pleite der neuen Medien einherging, war eine Lektion, die viele
Politiker nicht gelernt haben. Noch glauben sie an die Zauberkraft
der Medien und merken nicht, wie ihr Stuhl wackelt.
Wie hilflos Kommunikationsstrategien gegenüber der banalen
Wirklichkeit sein können, hat sich jüngst auch in andern
Fällen gezeigt. So bei einer offiziell von der EU in Auftrag
gegebenen Erhebung in den Mitgliedsländern: Auf die Frage,
welche Staaten mit ihrer Politik den Weltfrieden bedrohen, wurde
von 59 Prozent der Befragten Israel an erster Stelle genannt, noch
vor Iran und Nordkorea. Da man es eigentlich umgekehrt erwartet
hatte, wurde die Umfrage kurzerhand als ungültig erklärt.
Der EU-Ministerratsvorsitzende Berlusconi zeigte sich laut Spiegel
„überrascht und empört“ und erklärte,
dass es sich beim Ergebnis der Umfrage überhaupt nicht um die
tatsächliche Haltung der Europäer gegenüber Israel
handele. Irgend etwas scheint hier bei den Zauberlehrlingen schief
gelaufen zu sein.
Bei geschäftsschädigenden PR-Pannen wird gern auf das
Ablenkungsmanöver der Medienschelte zurückgegriffen. Den
Journalisten der Zeitschrift „Capital“, die in einem
gut recherchierten Artikel die Unternehmensstrategie der Deutschen
Bahn auseinander genommen hatten, warf neulich der Finanzvorstand
des Unternehmens Rufmord vor. Offensichtlich kamen da die „falschen“
Informationen an die Öffentlichkeit. Noch vor einem halben
Jahr wollten die „spin doctors“ der Bahn die neue Bahncard
den Kunden mit abenteuerlichen Sprüchen als Vorteil verkaufen.
Der Versuch ging brutalstmöglich daneben. Nun glaubt ihnen
keiner mehr, erst recht nicht, wenn sie den Journalisten die Schuld
am Kommunikationsdesaster zuschieben wollen.
Jeder Heimatdichter weiß und arbeitet gezielt damit, dass
Erfahrungswelt und Abbild zwei verschiedene Dimensionen der Wirklichkeit
darstellen. Diese simple Tatsache wird von den Mächtigen dieser
Welt, die ihr Schicksal mit den Medienmechanismen verknüpft
haben, offenbar manchmal übersehen. Der 1992 verstorbene argentinische
Liedermacher Atahualpa Yupanqui hat das in seinem Lied „Basta
ya!“ seinerzeit auf einen einfachen Nenner gebracht: „Wer
gewann den Krieg in Vietnam? Der Guerillero im Busch und der Yankee
in seinem Kino.“