Musik lebte wohl schon immer aus den Grundmomenten von Wiederholung
und Abwandlung heraus. Immer wieder wurden diese Kategorien neu
formuliert. Der 1957 in Linz geborene Bern-hard Lang hat sich in
diesem Raster seit nunmehr zehn Jahren auf eine ganz spezifische
Betrachtungsweise des Phänomens festgeschrieben: auf spezielle
Formen von Loops mit mitunter leichten zeitlichen Verschiebungen
(man kann sich das grob in etwa so vorstellen: Von einem Satz mit
zehn Worten erklingen die sechs ersten Worte, die Loop-Wiederholung
schneidet das erste ab und fügt das siebente hinzu und so weiter
– ein Verfahrensprinzip, das sich bestens auch auf musikalische
Phrasen anwenden lässt).
Der Dirigent und das Double
in „Das Theater der Wiederholungen“ von Bernhard
Lang. Foto: mrs-lee.com
Mit dem szenischen Musikwerk „Das Theater der Wiederholungen“
hat Lang in Graz sein ambitioniertestes und wohl auch stimmigstes
Opus in dieser Reihe vorgelegt. Wieder einmal verweist er, hier
schon direkt im Titel, auf den französischen Philosophen Gilles
Deleuze, der ihn zusammen mit einer parallelen Erfahrung gewisser
Filmmontagetechniken in diesem Zusmammenhang immer wieder neu motivierte.
Nie freilich hat er bislang in einer schon ausufernden Werkkette
so vielschichtig über den Begriff Wiederholung nachgedacht:
von der Makro- bis in die letzte Mikrostruktur, von der Musik über
die Bewegung bis hin zur Sprache und zum Erzählten.
Lang fragt sich, was musikalisch geschieht, wenn Partikel eines
musikalischen Ablaufs plötzlich fast wie stotternd oder wie
ein Hänger im Videofilm in eine Wiederholungsmühle geraten.
Eine Sequenz, vielleicht etwas ganz Unbedeutendes wie ein Auftakt
oder der Atemansatz eines Bläsers, verselbständigt sich
und rückt ganz unmittelbar in den Mittelpunkt. Bei Denkprozessen
im Hirn, mögen sich manchmal ähnliche Prozesse abspielen:
Jemand erzählt etwas, redet weiter, das Denken aber bleibt
bei einem gewissen Begriff hängen, repetiert ihn auf paralleler
Zeitebene. Es wäre einmal ein interessanter Versuch, Langs
Musik von diesen Wiederholungsmechanismen zu befreien und das kohärente,
gleichzeitig aber um sein Wesen gebrachte, Stück zu vernehmen.
Ob er so komponiert – erst den Zusammenhang, um dann mit der
Schere und dem Kopierer die sich festsetzenden Repititionen herzustellen?
Wohl kaum, denn gerade diese Stillstand- und Stotterstellen sind
das Eigentliche. Sie berauben den Ausführenden, den Musiker,
den Sänger/Sprecher, den theatralisch Agierenden ihrer Subjektivität,
denn es scheint so, dass zum Subjektbegriff ein kohärenter
Zeitablauf gehört. Die Wiederholung macht sie zum mechanisierten
Klapperwerk, die Vervielfältigung zerstört das Individuum
(nicht zuletzt die Klon-Technologie verweist darauf).
Wiederholung aber auch, hier korrespondiert Lang direkter als
bisher mit Deleuze, im großen, im geschichtlichen Rahmen.
So ist die Erzählstruktur des Stückes als Theater der
Grausamkeiten angelegt. Lang greift zurück auf Marquis de Sades
Schlosserzählung mit Folter, Trieb- und Blutlust und letztendlich
konsequenter Auslöschung der Protagonisten, im zweiten Teil
kommt die literarische Pop-Ikone William Burroughs, mit ihm ein
Amerika der Waffen und ihres spielerisch-zynischen Einsatzes, zu
Wort. All diese mehr oder weniger virtuellen Gebäude fanden
und finden jedoch in der Realität noch drastischere Einlösung.
Im dritten Teil zieht Lang Augenzeugenberichte und Prozessakten
zu Auschwitz heran. Wenn de Sade sagt: „Ich bleibe dabei,
dass es Unglückliche auf der Welt geben muss“, dies als
Naturgesetz formuliert, dann mag man sich mit humanistischem Widerstand
dagegen wehren, die Geschichte aber bestätigt unbarmherzig.
Wiederholung aber geht, so beschreibt Deleuze, im geschichtlichen
Prozess einher mit Differenzierung. Das Gleiche ist nicht das Gleich,
sondern geht zwangläufig einher mit anderer Gewandung, anderem
Aussehen. Auschwitz ist nicht de Sade, ein Waffenamoklauf ist nicht
Burroughs. Das ist vielleicht das Stärkste an Langs „Theater
der Wiederholungen“: Drei Mal läuft Musik ab, jeweils
siebenteilig, jeweils mit deutlichen formalen und inhaltlichen Entsprechungen
(oder Deckungsgleichheiten), jede aber kommt mit anderer klanglicher
Außenseite daher. Die Musik ist wie ein Chamäleon, sie
schlüpft in französische Diskretion und Spiel des Feinsinnigen,
wandelt sich zum Hardcore-Gestus eines widerständigen, amerikanischen
Pop-Undergrounds und nimmt schließlich streiflichtartig Klangassoziationen
zwischen spätromantisch-deutschem Pathos und Militärkapelle
auf. Der Sound also ist akzessorisch, macht die jeweilige geschichtliche
Umgebung kenntlich, die Struktur aber spult sich wie ein ehernes,
unabänderliches Gesetz ab.
Die Regie (Xavier Le Roy) geht damit in Deckungsgleichheit. Das
ist eine zweite wichtige Erfahrung: Musiktheater heute geht in Konfrontation
zu dem zur Konvention erstarrten Gestus des Brechens, wo das Visuelle
dem zu Hörenden in die Parade fällt. Man zieht an einem
Strang, sagt das Nämliche akustisch wie visuell, (also doch
wieder ganz anders!), und verdoppelt damit die Kraft. Le Roy, er
hatte im Grunde ohne Szene auszukommen, entwickelte eine Palette
von Bewegungsabläufen (der Musiker, der Sänger, der drei
akzessorischen Tänzer), die sich in bildschnittartiger Widersinnigkeit
in ihren lapidaren Bewegungsabläufen (Umblättern der Notenseiten,
das Geben von Zeichen, Abtreten und so weiter) abstoppen und sie
vom Ausgangspunkt wieder aufnehmen. Spannende Korrelationen entstanden,
denn ein wiederholtes musikalisches Motiv, auch wenn es aus dem
Sinnzusammenhang gerissen ist, ist etwas ganz anderes als ein wiederholtes
Sprachpartikel und wieder etwas anderes, wenn eine begonnene Bewegung
neu von null anfängt. Le Roy schuf eine Choreographie widersinniger,
ins Leere laufender Bewegungen. Es ist ein ins Zeitliche versetztes
Spiegelkabinett, das dann noch in der Verdoppelung des Dirigenten
(Johannes Kalitzke) mündete. Das Double dirigierte zunächt
eine Bandwiedergabe, am Schluss, deckungsgleich Rücken an Rücken
zu Kalitzke, das Publikum, während dieser die Auschwitz-Erzählung
konturiert. Auschwitz, das sind wir alle. Der Spiegel der Wiederholung
machte das ebenso trivial wie beklemmend deutlich.
Dass die Ausführenden, die durch blonde Perücken zu
gedoppelten Wesen konfirmiert wurden (Klangforum Wien, Solosänger,
das Gesangsensemble „le jeunes solistes“), hierbei Außerordentliches
zu leisten hatten, versteht sich fast von selbst. Es war ein choreographierter
Prozess, immer im Widerstand zum individuellen Voran-Wollen der
Gesten, der musikalischen Motive. So wird Theater nicht gemacht,
Musik nicht gespielt. Und gerade darum greift es. Ob freilich die
Tragweite von Auschwitz damit zu fassen ist (wer überhaupt
könnte dies?), bleibe dahingestellt. Fatal verkündete
Langs „Theater der Wiederholungen“ ein nächstes
Mal. Die Geschichte stolpert voran in einem unendlichen Prozess
immer anders gewandeter Repetitionen. Das Kunstwerk stellt nach.
Wenn es absurd wirkt, was es in seiner gestückten Kohärenz
vollzieht, dann ist diese Absurdität nur Spiegel des menschlichen
Werdegangs.