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nmz-archiv
nmz 2003/12 | Seite 4
52. Jahrgang | Dez./Jan.
Cluster
TÜV oder: aus einem Totenhaus
Kritik soll etwas Nützliches sein. Kulturstaatsministerin
Christina Weiss wünscht sich daher einen „TÜV für
die Kultur” – hört hört: einen (in Worten)
„Technischen Überwachungs-Verein für Kultur”.
Also rein in den Blaumann und den Theaterunterbodenschutz testen:
„Dieses Theater ist Kritik-überwacht”, GKS-Siegel
drauf für „Geprüfte Kultur-Sicherheit”. Doch
Kritik alten Schlages ist doppelt in der Mangel.
Aus jedem jungen Alleswisser schwallt es, dass sowieso und überhaupt
alles „Pop” sei. Die Zukunft ist Pop, die Zukunft ist
unter 25 Jahre alt (aber mindestens 6 Jahre) – und die Zukunft
sitzt offenbar gerne vor dem Computer und steht auf Style. Die Zukunft
tankt, trägt und trinkt Diesel. Opas Kultur jedenfalls ist
tot. Die erstklassig jämmerliche Popkultur hat geschafft, was
nicht einmal ein Bürgerkrieg geschafft hätte, die fast
komplette Ersetzung von Kulturbedürfnissen durch Surrogate,
unter dem Deckmantel des Revolutionären, der Abweichung, des
Neuen verbunden mit dem unbedingten Versprechen von schnellem Glück.
Pop ist ein Schmier- und Rauschmittel. Nur wird dieses nicht mehr
in Kolumbien oder Afghanistan produziert, sondern ist das Stoffwechselprodukt
der gegenwärtigen Gesellschaft selbst. Karl Marx, laut ZDF-Pop-Auswertungsmaschine
Platz drei unter Deutschlands Besten, würde heute knackig formulieren
„Pop ist Opium fürs Volk.”
In so einer Welt ist man als Kulturkritiker endgültig unnütz
und kann eigentlich alles nur noch schlimmer machen. Es reicht,
ich bin es satt. Soll doch Dieter B. aus dem Presseorgan des Deutschen
Musikrats quäken. Ich jedenfalls gehe zum endgültigen
Abhusten in den Keller; doch nehme ich mir die Partitur von Schuberts
Streichquintett mit, denn das ist immer noch eine musikalische Verheißung
von Glück und Trost für den Trostlosen.