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nmz 2003/12 | Seite 26
52. Jahrgang | Dez./Jan.
Deutscher
Tonkünstler Verband

Sampling – Kunst oder Ideenklau?

Vortrag von Poto Wegener bei der D-A-CH-Tagung 2003

Joseph Haydn (1732–1809), Wolfgang Amadeus Mozart (1756–1791) und Ludwig van Beethoven (1770–1827) würden heute das Orchester durch den Sample-Computer ersetzen. Alle drei klassischen Komponisten schrieben Stücke für Flötenuhren, ein mechanisches Musikinstrument, rühmten dessen Perfektion und schwärmten, dass die Instrumente ihre Kompositionen besser als vom Orchester gespielt wiedergeben konnten. Seit circa 20 Jahren ist dieser Wunschtraum Wirklichkeit: Urheber/-innen sind nicht mehr darauf angewiesen, die Werke in der Interpretation dieser oder jener Band, dieses oder jenes Orchesters oder Einzelmusikers zu hören. Der Sample-Computer erfüllt damit die „uralte Vision der Komponisten“, „im Dialog mit der Maschine sind sie alleine im kreativen „Elfenbeinturm“ ohne Streit mit Interpreten“ 1, die Musikgruppe wird zur one-man-band.

Unabhängige Komponisten, überflüssige Interpreten

Die Suche nach neuen Klangerzeugungssystemen diente schon im vordigitalen Zeitalter immer auch dem Streben nach Autonomie des Komponisten. Bereits die Imitations- und die Reproduktionstechnik (wie music for tape-Kompositionen von John Cage, Mellotron) erhöhten die Ungebundenheit des Musikers, das endgültige Ziel, die völlige Selbständigkeit, wurde aber erst durch die Transformationsmöglichkeiten des Sample-Computers erreicht. Primär äußert sich das durch die Verfügbarkeit aller Klangfarben anderer Instrumente auf einer Tastatur. Dem Musiker und dem Komponisten steht nicht nur das Spielen anderer Instrumente ohne deren Erlernen offen, weitaus wichtiger erscheint eine weitere Auswirkung der Entwicklung: die Unabhängigkeit des Komponisten vom Interpreten. Herkömmlicherweise bestand zwischen den beiden eine klare Arbeitsteilung: Die vom Komponisten kreierten Werke wurden durch den Musiker interpretiert. Sind nun aber die unterschiedlichsten Instrumentenklänge auf einer Tastatur verfügbar, ist der Komponist nicht mehr vom Interpreten abhängig, er ist nach dem Schreiben des Werkes alleine fähig, die Schöpfung mittels der neuen Aufnahmetechniken auf einen Tonträger zu bannen.

Die geschilderte Entwicklung weist neben den positiven Auswirkungen auf die Stellung des Komponisten aber auch eine Kehrseite auf. Die Autonomie des Werkschöpfers macht nämlich in ihrer letzten Konsequenz die Arbeit des Interpreten hinfällig. Wenn über die Tastatur des Keyboards die im Computer gespeicherten Klänge von Studiomusikern abrufbar sind, müssen diese nicht mehr zu Aufnahmen beigezogen werden. Die ersten, die diesem Rationalisierungseffekt zum Opfer fielen, waren die Schlagzeuger/-innen. Der Beruf „Studioschlagzeuger“ gehört der Vergangenheit an, gefragt sind heute Programmierer von Drum-Computern. Doch auch andere Instrumentalisten – so vor allem Bassisten und Gitarristen – sind durch den Computer ersetzbar.

Die Zukunft gehört dem Künstler, der als Spezialist den Umgang mit dem Sampler beherrscht. Der neue Musiker ist Komponist, Interpret und Produzent in einer Person. Der deutsche Komponist Karl-Heinz Stockhausen verwies bereits 1972 darauf, dass infolge der Computerisierung der Gesellschaft von allen am Arbeitsprozess beteiligten Menschen eine Fortbildung oder Umschulung verlangt wird, um mit den neuen elektronischen Apparaturen umgehen zu können. Auch die Musiker/-innen könnten sich diesem Fortschritt nicht entziehen. Stockhausen schlug deshalb vor, dass „jeder Musiker zusätzlich zu seinem Instrument ein modernes elektronisches Spielinstrument als Zweitinstrument lernt, beziehungsweise sein eigenes Instrument mit elektronischen Transformationsgeräten (Kontaktmikrophone und Modulatoren) ergänzt“ 2.

„Neue Volksmusik“

Die Massenproduktion und der damit verbundene Preiszerfall der musikalisch-technischen Hilfsmittel bewirkt zudem, dass breitere Gesellschaftsschichten den Zugang zum Musikinstrument und zum Komponieren haben. Doch nicht nur die Instrumente werden für mehr Leute erschwinglich. Während in früheren Zeiten das Musizieren und das Komponieren im Proberaum und in Heimarbeit als Vorbereitung für den Gang ins Tonstudio dienten, erlaubt die moderne Technik nun auch die Aufnahme von Musiktiteln im eigenen Heim unter professionellen Bedingungen (etwa Homerecording).

Jerrentrup schliesst aus der Tatsache, dass in der heutigen Gesellschaft der Zugang zum Musizieren nicht mehr wie früher durch soziale Barrieren eingeschränkt ist, darauf, dass auf kulturellem Gebiet ein Paradigmenwechsel bevorsteht. Er bezeichnet diesen als „neue Form eines volkstümlichen (oder massentypischen?) Musizierens“3. Unterstützt wird diese
Tendenz durch verschiedene Rahmenbedingungen wie etwa die internationale Ausrichtung der Musik, die Standardisierung im technischen Bereich oder die Bedeutungszunahme der Technologie mit den sich daraus ergebenden Möglichkeiten und Erleichterungen.
Einen wesentlichen Beitrag zum Aufkommen dieser „neuen Volksmusik“ leistet wegen seines umfassenden Anwendungsbereiches der Sample-Computer. Eröffnet sich nun aber jeder Person die Chance unbeschränkten Musikmachens, so mag zwar quantitativ mehr Musik produziert werden, doch der Quantitätssprung wird nicht zwangsläufig eine Qualitätssteigerung zur Folge haben. Um sich von der großen Masse der Produktionen abzuheben, muss die einzelne Produktion über Merkmale verfügen, die sie von der Vielzahl von Schöpfungen unterscheidet und unverwechselbar macht. Da die kompositorische Tätigkeit jedem offensteht, nicht aber jeder der Personalunion, Komponist/-in, Interpret/-in und Produzent/-in gewachsen ist, dürfte der Einzelne mit Hilfe des Sample-Computers auf bestehendes Tonmaterial zurückgreifen. Dieser Rückgriff erfolgt oft auf Musiksequenzen mit grösstmöglichem individuellem Charakter, da nur diese sich in der grossen Masse der Produktionen durchzusetzen vermögen, und dem Konsumenten bereits durch die Originalversion bekannt sind. Dass Passagen und Sounds gerade jener Interpreten, die durch hochstehende Individualität hervorstechen, beliebte Sampling-Objekte sind, hat eine widersinnige Konsequenz: Jener gute Künstler, der unverwechselbare Töne und Klänge kreiert, wird ersetzbar. Schliesslich kann diese Entwicklung sogar dazu führen, dass aufgrund der häufigen Nutzung der gleichen Samples diese ihren individuellen Charakter verlieren, so dass sie vom Publikum gar nicht mehr dem ursprünglichen Interpreten zugeordnet werden (können)4.

Rechtliche Fragen

Dass die Sampling-Technik neben den tatsächlichen Veränderungen auch neue rechtliche Problemstellungen provoziert, ist bekannt. In erster Linie stellt sich die Frage, ob bestehende musikalische Schöpfungen ein Selbstbedienungsladen für neue Kreationen darstellen sollen?

Sieben Töne, fünf Sekunden oder zwei Takte Musik sind frei und können mittels Sampling einer fremden Produktion entnommen und in einen neuen Titel integriert werden. Dies besagen jedenfalls viele Gerüchte. Dass auch Profis in dieser Frage nicht sattelfest sind, zeigen folgende Beispiele: Massive Attack mussten den Release ihres Albums „Mezzanine“ wegen der ungeklärten Rechte an einem Sample um Monate verschieben. Brainbug waren gezwungen, die Hälfte ihrer Einkünfte des Hits „Rain“ Everything But The Girl abzutreten. Die Erstauflage von Björks Tonträger „Post“ musste 1995 aufgrund von ungeclearten Samples zurückgezogen werden, 130.000 CDs wurden eingestampft.

Um einen Ansatz für eine Antwort auf die Frage zu finden, welche Sequenzen frei entnommen werden dürfen, ist primär Folgendes zu beachten: Mittels Sampling wird einerseits ein Fragment aus einer bestehenden Aufnahme entnommen, andererseits verwendet der Sample-Nutzer Teile der Originalkomposition. Das bedeutet, dass der Sample-Nutzer in der Regel neben der Bewilligung der Rechtsinhaber/innen der Aufnahme (Tonträgerfirma, Interpret und eventuell Sendeunternehmen), auch die Zustimmung der Berechtigten am Werk (Verlag, Urheber/-in) einholen muss, um die Songsequenz im neuen Track legal verwenden zu dürfen. Die Erlaubnis wird mit dem sogenannten Sample-Clearance-Vertrag übertragen, wobei der Sample-Nutzer in der Regel einen bestimmten Anteil seiner Einnahmen den Originalberechtigten abtreten muss.

Unter Umständen kann ein Sample aber auch ohne Bewilligung entnommen werden. Denkbar sind folgende Konstellationen:

• Ablauf der urheberrechtlichen Schutzdauer
Ohne Probleme möglich ist die Entnahme einer Sequenz aus einem Tonträger, falls der Komponist des Werkes vor mehr als 70 Jahren verstorben ist5 und die Aufnahme vor mehr als 50 Jahren hergestellt wurde.

• Nachspielen einer Sequenz
Weit verbreitet ist die Meinung, die Problematik der Sampling-Entnahme könne dadurch umgangen werden, dass die gewünschte Sequenz nicht gesampelt sondern nachgespielt wird. Doch dieses Vorgehen hilft nur bedingt weiter: Zwar hat das Nachspielen der Passage zur Folge, dass keine Aufnahme des Originals verwendet wird und somit keine Einwilligung von Tonträgerhersteller, Interpreten oder Sendeunternehmen notwendig ist. Doch wird beim Nachspielen die Komposition verwendet, so dass die allenfalls notwendige Erlaubnis der Rechtsinhaber/-innen am Werk eingeholt werden muss.

• Privatgebrauch
Entnimmt ein Sample-Nutzer die Werkfragmente dem Original und speichert er sie in den Sampler ein, wird jedoch seine neue Kreation nicht vervielfältigt und in keiner Weise veröffentlicht, handelt es sich um einen reinen Privatgebrauch, der urheberrechtlich frei ist. Sobald aber der Sample-Nutzer die schutzfähigen Sequenzen öffentlich verwendet, ist eine Sample-Clearance notwendig.

• Fehlende Schutzfähigkeit des Werkteils
Nicht nur ganze Kompositionen, sondern auch Teile eines Werkes sind gemäß Urheberrechtsgesetz schutzfähig, „sofern es sich um geistige Schöpfungen mit individuellem Charakter handelt.“ Melodien, Licks et cetera sind also gesetzlich geschützt, falls sie Individualität im Sinne einer eigenständigen Prägung aufweisen. Im Umkehrschluss kann davon ausgegangen werden, dass ein Werkteil, der im neuen Song nicht mehr als Sample des Originals erkennbar ist, übernommen werden kann, da die ursprünglich vorhandene Individualität nicht mehr wahrnehmbar ist.

Wie aus obigen Ausführungen – insbesondere bezüglich der Schutzfähigkeit – ersichtlich ist, gibt es keine klaren Antworten auf die Frage, welche Teile frei entnommen werden dürfen. Anzumerken ist, dass Vertreter/-innen der Tonträgerindustrie teilweise der Ansicht sind, jeder noch so kleine Songteil sei schutzfähig, so dass keine Ausnahmen der Bewilligungspflicht bestehen. Aufgrund dieses Umstandes und infolge der Tatsache, dass die Abgrenzung zwischen schutzfähigen und nicht schutzfähigen Werkteilen eine Gratwanderung darstellt, ist Vorsicht bei der Sample-Nutzung geboten. Wird die notwendige Bewilligung nicht eingeholt, so steigt mit dem Erfolg der neuen Produktion das Risiko, von den Rechtsinhaber/-innen des Originals belangt zu werden.

Poto Wegener (Referent)

Anmerkungen
1 Ruschkowski Andre: Elektronische Klänge und musikalische Entdeckungen, Stuttgart 1998, S. 9.
2 Stockhausen Karlheinz: Vorschläge für die Zukunft des Orchesters, in: Neue Musik, Sondernummer 1972, S. 111 ff.
3 Jerrentrup, Ansgar: Künstlerische Chancen, aktuelle und mögliche Auswirkungen der neuen Musiktechnologie, in: Neue Musiktechnologie, Vorträge und Berichte vom Klang-Art-Kongress 1991 an der Universität Osnarbrück (Hrsg.: Enders), Mainz 1993, S. 15.
4 Ein Beispiel für diese These bildet die Aufzählung der Nutzungen von Samples von George Clinton in „The Best of George Clinton“, S. 52 ff. So verwendeten 108 Künstler/-innen und Bands Samples aus dem Titel „Atomic Dog“ (unter anderem mit Bobby Brown, DJ Jazzy Jeff & Fresh Prince, Dr. Dre, Ice Cube, Public Enemy, Red Hot Chili Peppers und Snoop Doggy Dogg), 73 nutzten Sequenzen aus „Flashlight“ (unter anderem mit De la Soul, Dr. Dre, Ice Cube, N.W.A und Salt’ N’ Pepa). Zu beachten ist, dass die Liste nur die bekanntesten Nutzer/-innen der Samples aufführt.
Unzählige weitere Musikschaffende dürften die gleichen Sequenzen
verwendet haben, werden jedoch nicht aufgeführt, da sie keine
Sample-Clearance vornahmen.
5 Waren mehrere Urheber/-innen an der Werkschöpfung beteiligt, so ist auf das Todesjahr des/der Letztverstorbenen abzustellen.

 

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