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nmz-archiv
nmz 2003/12 | Seite 42
52. Jahrgang | Dez./Jan.
GNM
Neue Musik und Globalisierung
„Ist die Neue Musik auf ihrem außereuropäischen
Auge blind?“
Die Welt wächst zusammen. Und das natürlich nicht erst
mit dem Begriff Globalisierung, der seit Anfang der neunziger Jahre
fröhlich Konjunktur feiert, wenngleich die damit geschaffenen
Tatsachen nicht jede und jeden so froh stimmen, wie Wirtschaft und
Politik es sich erträumen. Die anvisierte Grenzenlosigkeit
für alles, was Profit bringt, kennt keine Grenzen, weder humane
noch ökologische noch ...
Auch die Kunst, vornehmlich die Musik und insbesondere ihre Sparten
Pop, Jazz sowie die des zeitgenössischen E-Sektors, ist an
diesem Globalisierungsprozess beteiligt. Allerdings nicht nur aus
Profitgründen, wobei auch diese oft kaum zu leugnen sind, als
vielmehr, um andere Kulturen kennen zu lernen, um die eigene zu
hinterfragen, um ästhetische Fragen oder gesellschaftliche
Probleme vor Ort zu studieren, um sich vom Fremden faszinieren und
inspirieren zu lassen. Aber auch und eben nicht selten, um sich
via Exotik aus einer künstlerischen Krise zu befreien, um sich
am anderen zu bereichern oder um mit geklauten Garnierungen den
mangelnden Pep der eigenen Fantasie wettzumachen. Über die
Aneignungsresultate besagen die Motivationen jedoch noch nichts:
Sie können – wie die Gründe selbst – naiv
oder billig sein, kolonial und euroman, aber auch raffiniert, von
neuer, zuvor nicht gekannter ästhetischer Substanz.
Das Problemfeld der musikalischen Akkulturation zwischen den nummerischen
Welten und Kulturen ist riesig, vielschichtig, kaum überschaubar
und weitaus älter als die Globalisierungsvokabel oder der Begriff
und die Sache Neue Musik. Das Verhältnis zwischen Neuer Musik,
die sich vor einigen Jahrzehnten anschickte, auch andere als nur
ihre eigenen Welten (produktiv) zu erkunden und diese mithin brachial
zu erobern, und den nicht (mittel)europäischen wie nordamerikanischen
Musikkulturen evoziert immer noch viele Fragezeichen. Denn die Idee
von so manchem Neue Musik-Protagonisten, Musik – wie auch
immer sie beschaffen ist – sei eine universelle Sprache oder
jedweder Klang der Welt könnte überall und gleichermaßen
verstanden werden wie die letztlich erfolglos gebliebenen Kunstsprachen
Volapük und Esperanto, hat sich ebenso wenig bewahrheitet wiewohl
dieser Glaube immer noch grassiert – im übrigen weltweit
und oft unter Preisgabe der eigenen kulturellen Provenienz oder
Authentizität, um jetzt ein zentrales Reizwort zu nennen. Ein
weiteres wäre das der Ignoranz gegenüber den fremden Musikkulturen,
weil man die eigene als die bedeutsamste begreift.
Um Reizwörter, provokante Statements, weiterführende
Thesen und klärende Positionen zur Beziehung von außereuropäischer
Musik und Neuer Musik soll es in den folgenden Wochen gehen und
hoffentlich auch darüber hinaus. Der konkrete Anlass für
die aktuelle Diskussion über dieses brisante Thema ist das
„transonic“-Festival, das das Berliner Haus der Kulturen
der Welt zwischen dem 20. und 28. Januar 2004 zum zweiten Mal veranstaltet.
Flankiert wird diese Veranstaltungsreihe (mit Konzerten und international
besetztem Symposium) durch ein moderiertes Internet-Forum. Es öffnet
sein Portal Anfang Dezember und steht allen offen, die das Sujet
für ebenso aktuell und diskutabel erachten wie das Haus der
Kulturen der Welt und die Gesellschaft für Neue Musik, die
als Kooperationspartner dieses Projekt unterstützt und ihre
Mitglieder zur regen Mitarbeit einlädt. Zumal die GNM als die
Deutsche Sektion der Internationalen Gesellschaft für Neue
Musik die Weltmusiktage 2006 in Stuttgart ausrichtet, federführend
projektiert und realisiert vom Team der „Musik der Jahrhunderte“.
Das Stuttgarter Thema der WMT 2006: „Grenzenlos. Über
Chancen und Gefahren im Zeitalter der Globalisierung“. So
sind die GNM-Mitglieder und natürlich auch andere Interessierte
eingeladen, ihre Positionen über Fragen und Auswirkungen der
Globalisierung auf die aktuelle Musik sowie über die Beziehung
zwischen Neuer Musik und außereuropäischer Musik auf
der Internet-Plattform zu platzieren und mit den anderen Teilnehmern
zu diskutieren. Das Haus der Kulturen der Welt und die GNM erwarten
ein spannendes Forum, deren Ergebnisse über die eigenen Tellerränder
hinausführen und neue (musikalische) Denkansätze mit sich
bringen. Die bewusst provokant formulierte Initialfrage lautet:
„Neue Musik will grenzenlos und global sein. Aber ist sie
nicht auch auf ihrem außereuropäischen Auge blind oder
eurozentristisch?“
Dieter Mack (Lübeck), Sandeep Bhagwati (Berlin) und Guillermo
Gregorio (Chicago), drei Komponisten, die sich seit Jahren intensiv
mit diesem Problem auseinander setzen, haben bereits zwei grundlegende
Statements formuliert. Sie eröffnen die Diskussion im Internet-Forum,
das bis Mitte Februar geöffnet ist und deren Ergebnisse anschließend
publiziert werden.